Hagen. . Wie soll Hagen im Jahr 2035 aussehen? Diese Vision sollen Politik, Verwaltung und Bürger in diesem Jahr gemeinsam entwickeln.
Die Aufgabe wirkt gewaltig, die Herausforderungen gelten als äußerst ambitioniert: Vor allem die Hagener Bürger sollen im kommenden Jahr durch ihre Ideen, Forderungen, lokales Wissen und reichlich Kreativität mithelfen, zumindest gedanklich ihre Stadt mitzugestalten und damit Weichen in Richtung Zukunft des Hagener Miteinanders zu stellen.
Der Überbegriff für diesen äußerst anspruchsvollen Prozess lautet „Integriertes Stadtentwicklungskonzept“ (ISEK) – ein Wortungetüm, mit dem zweifelhaften Charme eines Steuererklärungs-Formblattes. Dennoch versprechen sich Verwaltung und Politik von diesem Vorstoß wesentliche Impulse, die zu einer neuen Hagen-Identität sowie einem Leitbild führen, das politisches Handeln bis ins Jahr 2035 hinein prägt.
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Im Rahmen des von der WP-Stadtredaktion vor gut zwei Jahren angestoßenen Diskussionsprozesses „Was braucht Hagen?“ kamen jetzt im Pressehaus an der Schürmannstraße unter der Moderation von Stadtredaktionsleiter Michael Koch Spitzenvertreter der Ratsfraktionen sowie der Oberbürgermeister zusammen, um über die anspruchsvollen Ziele eines gesamtstädtischen ISEK-Prozesses zu diskutieren und auch eigene Erwartungen zu formulieren. Bislang existiert lediglich eine übergeordnete Arbeitsgruppe, in der Politik und Verwaltung hinter verschlossenen Türen zusammensitzen.
Fachwissen der Hagener ist gefragt
Gibt es für den Dialog einen besseren Namen?
„ISEK ist ein merkwürdig-komischer Begriff, mit dem bislang kaum ein Bürger etwas anzufangen weiß“, plädiert CDU-Fraktionschef Wolfgang Röspel dafür, hier etwas griffigere Vokabeln zu nutzen, um die Menschen mit ins Boot zu ziehen.
Claus Rudel, SPD-Fraktionschef, sieht es ähnlich: „Das muss man bestimmt noch griffiger gestalten, wenn man mit dem Bürger in den Dialog eintreten will.“ FDP-Fraktionschef Claus Thielmann hat sogar schon einen konkreten Vorschlag: „Was wir wollen: Hagen 2025“, schlägt er als zielführendere Überschrift vor und plädiert für einen überschaubareren Zeitraum für das ISEK-Verfahren.
Wie lassen sich die Bürger zum Mitreden begeistern?
Grundsätzlich hält Wolfgang Röspel (CDU) das Verfahren durchaus für lohnenswert. Schon bei den Themen Haushaltssicherung und Schulentwicklungsplanung sei es in der Ära von Oberbürgermeister Jörg Dehm gelungen, im Rahmen von Stadtteilkonferenzen die Bürger für eine konkrete Mitarbeit an Zukunftsthemen zu gewinnen und das Feld nicht bloß Gutachtern, Experten und der Fachverwaltung zu überlassen.
Ein Anspruch, den Oberbürgermeister Erik O. Schulz gerne erfüllen möchte: „Wir haben einen so breiten, beteiligungsorientierten Ansatz, der neben Stadtteilkonferenzen auch eine Online-Beteiligung vorsieht, so dass es in diesem Prozess keinen Mangel an Transparenz gibt.“ Dabei sieht der Verwaltungschef keine Probleme, jene Persönlichkeiten der Stadtgesellschaft zu motivieren, die sich sonst auch gerne in den innerstädtischen Diskurs einbringen. Aber in der Breite bleibe es schwierig, Bürger zu motivieren, sich einzubringen.
„Bei dem Begriff ISEK muss es sicherlich noch den einen oder anderen Stupser geben, um Lust zu bekommen, auch mitzumachen“, so Schulz. Hier müssten niederschwellige Formate gefunden werden, um sich auch mit konkreten Einzelvorschlägen und einfachen Botschaften einzubringen. „Immerhin geht es um konkrete Zukunftsfragen: Wie wollen wir im 15 bis 20 Jahren in dieser Stadt leben, wo wollen wir uns bewegen, wo wollen wir uns erholen, wo wollen wir radeln, wo wollen wir wohnen und was bedeutet das für einen künftigen Flächennutzungsplan?“
„Umso mehr müssen wir das Thema jetzt schon bewerben“, appelliert SPD-Fraktionschef Claus Rudel, schon jetzt den Draht in die Bürgerschaft hinein zu spannen. „Wir machen im Februar ein Hagen-Forum, wir machen im April und Mai Stadtbezirkswerkstätten – so lange ist das nicht mehr.“
Gleichzeitig wirbt er dafür, die Themen etwas greifbarer und konkreter zu machen: Stadtstruktur und Städtebau, Bevölkerung und Sozialstruktur, Wohnen und Wohnraumentwicklung, Gewerbe, Einzelhandel und Dienstleistung, Freiraum, Freizeit, Tourismus, Kultur, Mobilität, Verkehr und technische Infrastruktur sowie soziale Infrastruktur und Bildung seien alles abstrakte Begriffe, die dem Gros der Menschen nach getaner Arbeit nicht automatisch jenen Energieschub vermittelten, um sich noch einmal zu einem Diskussionsforum auf den Weg zu machen.
Josef Bücker, Fraktionsvorsitzender bei Hagen Aktiv, bleibt skeptisch: Er glaubt, dass lediglich ein Leitbild gestaltet werden kann, das Verfahren jedoch an den feingliedrigeren Lösungen scheitern könnte. Zweifel formuliert auch Thorsten Kiszkenow (Piraten/BfHo): „Eine Vision für Hagen ist sicherlich auch für die Bürger wichtig, aber es wird schwierig sein, die Menschen für diese Form der Diskussion zu begeistern.“
Wie verbindlich ist der entwickelte Plan?
Es bestehe die Pflicht, so Linken-Ratsherr Ingo Hentschel, aus den Vorschlägen der Menschen auch etwas zu machen. „Wenn man mit den Bürgern diskutiert, muss man sie auch für voll nehmen. Die Anhörung im Ratssaal zum Thema Deerth kann hier nur als schlechtes Beispiel dienen. Am Ende muss tatsächlich was dabei rauskommen.“
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Das Thema sei so sperrig, weil es so komplex geworden ist, meint Grünen-Fraktionssprecher Jochen Riechel. Allerdings sei es notwendig diesen ganzheitlichen Ansatz zu wählen, weil man sonst keinerlei Fördermittel mehr abgreifen könne. „Allerdings ist das nicht bloß auf Bürger ausgerichtet, sondern das muss natürlich von Verwaltung gelenkt werden, weil es am Ende diejenigen sind, die die Fördergelder abgreifen. Sonst habe ich die Befürchtung, dass dies am Ende wieder nur ein Planungsprozess bleibt, dem die Umsetzung fehlt. Deshalb muss die Verwaltung im Boot bleiben.“ Ein effektloses Versanden müsse unbedingt vermieden werden.
Der Rat, so Riechel, dürfe seine Rolle als Leitorgan in dieser Stadt nicht aus der Hand geben. Die Politik müsse das Ganze im Fokus haben, die Ideen und Einzelinteressen zu einem Zielbild formen und zu einem Masterplan entwickeln. Andererseits, so Hentschel (Linke), seien die Menschen im Rahmen eines Zukunftsprozesses eher bereit, erforderliche Einschränkungen in Kauf zu nehmen, wenn sie von Beginn an daran beteiligt waren. Nur so sei es auch am Wilhelmsplatz gelungen, ein mit allen beteiligten Gruppen abgestimmtes Konzept zur Neugestaltung der Fläche zu finden.
„Wichtig für den Erfolg ist die Kontinuität bei den handelnden Personen und den Finanzen, um den Prozess zielgerichtet verfolgen zu können“, betont Jochen Riechel.
Für Hagen-Aktiv-Chef Josef Bücker ist der ISEK-Prozess weiterhin rätselhaft: „Er wird von jeder Fraktion anders gedeutet. Da sind viele Fäden ausgesendet worden, aber ich sehe nicht, wie diese wieder zusammengeführt werden sollen.“ Zudem brauche der Bürger die Zuversicht, dass seine Vorschläge auch zu einem Ziel führen. „Bürger beteiligen sich dann, wenn sie betroffen sind. Zu einem allgemeinen Planungsprozess kommt kein Mensch“, warnt Claus Thielmann (FDP ) vor zu hohen Erwartungen.
Welche Themen müssen im Vordergrund stehen?
Oberbürgermeister Schulz hält den Zeitpunkt für gekommen, die vielen Einzelaspekte, die in zahlreichen Runden in Hagen diskutiert werden, zu bündeln und dem Ganzen den überfälligen Überbau – eine Stadtvision – zu geben. Natürlich könne in dem Prozess nicht geklärt werden, wo am Ende welcher Parkplatz entsteht.
„Aber wir müssen natürlich grundsätzlich darüber reden, wie wir uns in Zukunft Mobilität in dieser Stadt vorstellen. Einzelpunkte aneinanderzureihen, ergibt dabei noch lange keine Strategie. Natürlich wird es deutlich schwieriger in einem abstrakten Leitbild- oder Stadtvisionsprozess eine Beteiligung der Menschen herzustellen.“
„Unabdingbare Voraussetzung auf dem Weg, Hagen ein neues Gesicht geben zu wollen, ist doch die Entschuldungsperspektive“, meint Wolfgang Röspel (CDU). Hier seien weiterhin Bund und Land in der Verantwortung. Nur so könne man in eine Umsetzungsphase kommen, wenn man sich parallel auch mit dieser Frage beschäftige. „Der finanzielle Grundstock muss genauso her, sonst nützen uns die besten Ideen nichts. Dazu muss Hagen wieder eigenständig Kreativität entwickeln können.“
Linken-Sprecher Ingo Hentschel warnt hingegen davor, zu hohe Hürden zu formulieren: „Wenn wir erst wieder handlungsfähig sein müssen, um gestalten zu können, dann sind wir in 40 bis 50 Jahren noch nicht da, wo wir hinwollen. Da brauchen wir bei 1,2 Milliarden Euro Schulden jetzt auch gar nicht anzufangen.“ Eine Kritik, die Röspel durchaus teilt: „Daher muss auch ein Schuldenschnitt her, anders kann es gar nicht funktionieren.“
Schulz betrachtet den ISEK-Prozess vor allem als einen Ausgleich von Interessen, bei dem abstrakte Vorstellungen und konkrete Lösungsansätze miteinander verknüpft werden. Nur dadurch könnten übergreifende Linien für die Stadtentwicklung kreiert werden. „Wir müssen es auf jeden Fall versuchen“, plädiert Rude l (SPD) dafür, die ISEK-Plattform für Zukunftsimpulse der Bürgerschaft zumindest anzubieten: „Wir dürfen so nicht weiterwurschteln und von Einzelmaßnahme zu Einzelmaßnahme hüpfen. Die Bürger müssen auch verstehen, dass sie, wenn sie sich nicht einbringen, am Ende Gefahr laufen, überhört zu werden.“
„Dieser Stadtvisionsprozess ist keine Planungswerkstatt wie wir sie mit den Bürgern zur Gestaltung des Wilhelmsplatzes gemacht haben“, stellt Schulz klar. Vielmehr gehe es darum, Schwerpunkte auszuprägen. Dafür Bürgerbeteiligung zu finden, sei die große Herausforderung. „Dafür kennt noch niemand den Königsweg. Aber ich bin überzeugt, dass die Menschen nicht bloß über den abgesenkten Bürgersteig vor ihrer Tür diskutieren wollen, sondern auch über das Zukunftsbild ihrer Stadt.“