Hagen-Mitte. . Die Stadtredaktion hat den Extrabreit-Sänger Kai Havaii zum Gespräch getroffen. Über das Musik-Wunder von Hagen, freien Sex und die Kommune B 56.

Es wäre ein schwerer Anfall von Heuchelei. Man kann sich nicht hinsetzen und einen romantisch-nostalgischen Rückblick über die großen Jahre von Kai Havaii schreiben, ohne zur Einordnung zur erwähnen, dass im Leben des Extrabreit-Sängers auch viele Dinge wirklich, sagen wir mal: aus der Spur geraten waren. Heroin, Knast, Rausch. Wenn man sagen würde, dass es ziemlich gekachelt hat in seinem Leben, wäre das wohl auch nah an der Wortwahl seiner Autobiographie „Hart wie Marmelade“. Gestern haben wir den heute 60-Jährigen auf dem Weihnachtsmarkt getroffen.

Havaii beim Weihnachtskonzert der „Breiten“ im vergangenen Jahr.
Havaii beim Weihnachtskonzert der „Breiten“ im vergangenen Jahr. © Alex Talash

Die „B 56“ war quasi „Kommune 1“ in der Hagener Provinz in den 70er-Jahren. Da lebten sie: Jörg, Wolfgang, Gabi, Sybille, Inge und eben Kai. „B 56“ heißt Buscheystraße 56. Jede Menge Sex in allen Räumen, kreuz und quer, mit Partnern, die man im Biotop Wehringhausen aufgegriffen hatte, wo man, wie Havaii es in seinem Buch schreibt, „dem Austausch von Körperflüssigkeiten gegenüber sehr aufgeschlossen war.“ Dazu Drogen. Angebaut im eigenen Blumenkasten, zubereitet in der eigenen Küche. Immer zugedröhnt.

Verrückte Zeit

Verrückte Zeit. Sponti-Zeit. Freie Liebe. Revoluzzer-Denken. Bis heute ist musikwissenschaftlich und historisch ungeklärt, warum genau in dieser Zeit in Hagen ein Musik-Wunder entsteht. Die Neue Deutsche Welle rollt los. Hagen als Keimzelle neuer und geiler Musik. Das Nachtleben an der Volme brummt. Extrabreit, Grobschnitt, Nena, die „Ramblers“, sie alle prägen eine Ära – und Hagen. „Vielleicht, weil vieles so war wie es heute noch ist“, sagt Havaii. Hagen steckt fest im Hamsterrad des Strukturwandels, nahezu pleite, Graue-Maus-Image, nicht gerade der „Place to be“.

Musik-Genuss hat sich verändert

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Dass nicht wieder ein Musiksturm von hier losbricht, liegt laut Havaii eher daran, dass die großen Räder der Musik nur noch in Metropolen gedreht werden. Und dass der Wert von Musik sich verändert habe. Heute gibt’s alles und jeden im Streaming-Dienst. „Früher kauftest du eine Scheibe und hast dich wochenlang stolz wie Bolle hingesetzt, sie gehört und dazu mit deinen Kumpels philosophiert.“

Der Nachahmer-Effekt

„Früher dachten andere junge Musiker doch, wenn sie uns in der Kneipe gesehen haben: Wenn die das können, kriegen wir das auch hin. So rollte das alles los. Aber diese Gruppen fehlen doch heute“, sagt Havaii. Extrabreit war zwischen den Jahren 1981 und 1983 in ihrer Hochphase angekommen. Goldene Schallplatten, ausverkaufte Konzerthallen, Bravo-Titelseiten, jede Menge Geld.

Alte Kneipen sind längst verschwunden

Havaii lebt heute in Hamburg. Er ist noch Sänger bei Extrabreit, produziert Dokus fürs Fernsehen und schreibt. Seine Frau, 17 Jahre jünger, hat er in einer Fernsehproduktion kennengelernt. Sie ist Cutterin. Die „alten“ Orte in Hagen, wie die Kneipe von Rainer am Wilhelmsplatz oder das „Chakra“ in der Auguststraße sind längst weg.

Extrabreit-Konzerte und Signierstunde

Am Freitag, 8. Dezember, spielen Extrabreit ihr Weihnachtskonzert in der Hagener Stadthalle. Einlass 20 Uhr, Beginn 21 Uhr. Karten kosten im Vorverkauf 27 Euro. Tickets gibt es unter anderem in der Stadthalle (3450), im Leserladen unserer Zeitung (Hohenzollernstraße 3-11) und online unter www.eventim.de.

Am Samstag, 9. Dezember, gibt Kai Havaii im Leserladen unserer Zeitung, Hohenzollern­straße 3 - 11, eine Signierstunde und präsentiert seine Autobiografie „Hart wie Marmelade.“

Die Signierstunde findet zwischen 11 und 13 Uhr statt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.

„Die Orte, an denen wir uns mit der Szene getroffen haben“, gibt es nicht mehr. Einige Menschen sind aber sehr wohl noch da. Wie „Mausi“, heute Mitte 60, die unweit der Pelmke lebt. Sie schnitt in der „Kommune B 56“ ­Haare und führte das „Chakra“.

Hagen bleibt seine Heimat

Kai Havaii sagt, dass es etwas ruhiger geworden sei. Und meint damit mehr die Mentalität als den Terminkalender. „Eines Tages nach Hagen zurückkehren, um hier zu leben? Ja, das kann ich mir vorstellen“, sagt er, „das hier ist ein wertvoller Ort für mich. Es ist meine Heimat. Sein 94-jähriger Vater lebt noch hier. Am 14. Dezember liest Havaii aus seinem Buch „Hart wie Marmelade“ in der Pelmke. Gemeinsam mit Bandkollege Stefan Kleinkrieg spielt er auch Extrabreit-Songs „unplugged.