Wehringhausen. . Die Hagener Bürgerschützen führen ihre Gründung auf das Jahr 1775 zurück. Ihre Geschichte ist 242 Jahre alt. Sie residieren im Stadtwald.

  • Hagener Bürgerschützen sind der älteste Verein in der Stadt
  • Sie entstanden aus zwei Vorgängervereinen, einer davon wurde 1775 gegründet
  • Heute konzentriert sich der Verein nahezu ausschließlich auf das sportliche Schießen

Verwunschen wie Dornröschens Schloss dämmert das stattliche Haus versteckt im Wald einer ungewissen Zukunft entgegen. Dock kein Prinz wird kommen, um es zu erlösen, vielmehr steht ein wenig märchenhafter Termin bevor: die Zwangsversteigerung. „Das Gebäude ist dermaßen von Schimmel und Schwamm durchsetzt, dass es kaum mehr sanierungsfähig erscheint“, sagt Jochen Letzing.

Es klingt keine Wehmut mit in den Worten des Geschäftsführers der Hagener Bürgerschützen, obwohl das herrschaftliche Anwesen nichts weniger darstellt als das einstige Heim des Vereins. Beziehungsweise des Vorgängervereins. Wir befinden uns auf historischem Grund. Denn hier im Stadtwald, oberhalb der Gaststätte „Waldlust“ und unterhalb der Sternwarte, hat Hagens ältester Verein seinen Sitz. Die Bürgerschützen führen ihre Gründung auf das Jahr 1775 zurück. Ihre Geschichte ist 242 Jahre alt.

Kompromiss bei Namensgebung

Zugegeben, die Sache hat einen Haken. So alt, wie der Name „Hagener Bürgerschützen 1775/1921“ es vermuten lässt, ist der Verein nur mit Einschränkung. 1958 schlossen sich der Hagener Schützenverein von 1775 und der Wehringhauser Schützenverein von 1921 zusammen, um gemeinsam an alte sportliche und gesellschaftliche Erfolge anzuknüpfen. Da man sich nicht einigen konnte, welcher der beiden alten Namen weiterbestehen sollte, wurden als Alternative für diese Fusion die Hagener Bürgerschützen ins Leben gerufen. Dennoch: „Die alten Vereine leben in uns weiter“, sagt Letzing, weshalb auch die Entstehungsjahre der Gründungsvereine in den neuen Namen aufgenommen wurden.

Das verfallende Vereinsheim hatte der jüngere der beiden Vereine, der Wehringhauser Schützenverein, in die Ehe mit eingebracht. Es wurde 1932 fertig gestellt und wie die dahinter liegenden, nach dem einstigen Ehrenvorsitzenden Johann Castella benannten Schießstände zur Benutzung freigegeben. Die Wehringhauser feierten rauschende Feste, waren aber auch sportlich ungemein erfolgreich. Heinz Gaedigk etwa wurde in den 30er-Jahren Deutscher Jugendmeister.

Doch tief in die Stadtgeschichte tauchen die heutigen Bürgerschützen ab, weil sie eben auch das Erbe des 1775 gegründeten Hagener Schützenvereins bewahren. In einer Vitrine prangt eine Erinnerungsmünze mit der eingravierten Jahreszahl 1800 und dem Namen Friedhelm Dahlhaus, dem ältesten bekannten Schützenkönig in Hagen.

Aufzeichnungen verloren gegangen

„Das Schützenwesen in Hagen ist aber noch viel älter“, berichtet Ralf Blank, Leiter des Fachbereichs Museen, Archive und Wissenschaft bei der Stadt Hagen. Wie alt, lässt sich nicht genau eruieren, Protokollbücher und andere Aufzeichnungen des Vereins sind im Laufe der Jahre verloren gegangen. Belegt ist, dass Ende der 1770er-Jahre Schützen, die sich früher zur Stadtverteidigung zusammenschlossen, Übungen veranstalteten. Warum der Hagener Schützenverein seine Gründung schließlich auf das Jahr 1775 festlegte, ist nicht überliefert, vielleicht wollte man nicht zu weit ausgreifen.

Spätestens im 19. Jahrhundert verfügte der Schützenverein bereits über eine eigene Fahne. Blank vermutet, dass sie heute verpackt im Museumsarchiv schlummert. In seinen Anfangsjahren war der Verein Besitzer eines „Bauernweide“ genannten Geländes, das vermutlich im Zuge der Fleyer Straße lag.

Doch erst 1857 veranstalteten die Schützen, die bis dahin zumeist ein von der Öffentlichkeit kaum beachtetes Stiftungsfest gefeiert hatten, ein Schützenfest für die gesamte Bevölkerung. Das Hagener Kreisblatt schrieb damals: „Hagen feierte an den Tagen des 15., 16. und 17. August ein Fest, wie es in seiner Art bisher noch nie hier begangen worden ist: ein Volksfest in seiner eigentlichen Bedeutung.“

Zackige Vergangenheit

Es muss zackig zugegangen sein. Ein Oberst Krüger, Veteran aus den Befreiungskriegen von 1813, ließ die Schützenkompanien im Vorfeld des Festes wochenlang exerzieren. Gefeiert wurde damals u.a. am Eppenhauser Brunnen, seinerzeit eines der beliebtesten Gartenlokale in Hagen.

Überhaupt scheint der Schützenverein in der von Kastengeist und Standesdünkel beherrschten Bevölkerung des Kaiserreichs eine inte­grierende Funktion besessen zu haben, denn auch beim Schützenfest im Jahre 1885 wird die Hagener Zeitung nicht müde zu betonen, es habe sich „so recht den Charakter eines Volksfestes bewahrt“.

1935 fand nachmittags in der Stadthalle ein Kaffeetrinken mit den Waisenkindern der Stadt statt. Am gleichen Ort richteten die Schützen jährlich am Rosenmontag einen Karnevalsball aus, aus dem später der Rosenmontagszug hervorging.

Wichtige und einfache Leute

Fabrikanten, Behördenleiter und Bankdirektoren tummelten sich ebenso auf den Schützenfesten wie die einfachen Leute. Im Jahr 1955, zum 180-jährigen Vereinsjubiläum, war gar der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold unter den Ehrengästen.

Doch irgendwann war es mit der Herrlichkeit des Schützenwesens in Hagen vorbei. „Die gesellschaftliche Entwicklung führte dazu, dass das Interesse an den Schützenvereinen abnahm“, konstatiert Ralf Blank. Vorbei die Zeiten, in denen Schützenfeste Volksfeste waren, alle Straßen der Stadt sich im Fahnenschmuck präsentierten und man sogar zwei Bürgen benötigte, um Mitglied zu werden. Der uralte Hagener Schützenverein fusionierte schließlich mit den Schützen in Wehringhausen und überdauert im Gewand der Bürgerschützen bis heute. Doch die bleiben bei ihren Festen im Stadtwald unter sich: „Zu uns kommen eigentlich keine Gäste“, sagt Geschäftsführer Letzing.

Sommer- und Hauptkönig

Immerhin wird jedes Jahr ein Sommer- und alle fünf Jahre ein Hauptkönig ausgeschossen. Deren Orden werden dann der alten Königskette hinzugefügt, an der sich noch Münzen aus dem 19. Jahrhundert befinden. Tradition verpflichtet eben. Doch in erster Linie sind die Bürgerschützen heutzutage ein Sportschützenverein, bei dem nach den Regeln des Deutschen Schützenbundes mit Kurzwaffen wie Sportpistole, Revolver oder Olympischer Schnellfeuerpistole trainiert wird.

Der Schießstand befindet sich ein wenig oberhalb des ehemaligen, dem Verfall preisgegebenen Vereinsheimes. „Wenn man die alte Königskette trägt mit den Orden und Jahreszahlen, die schon lange vor der Zeit unserer Großeltern liegen, dann ist das schon ein erhebendes Gefühl“, sagt Vorsitzender Elmar Göbel: „Aber wir sehen uns vor allem als Sportverein. Die großen Schützenfeste, wie sie früher gefeiert wurden, die brauchen wir, ehrlich gesagt, nicht mehr.“

Orden und Münzen

Eine herausgehobene gesellschaftliche Rolle spielen die Schützen in Hagen nicht mehr. Fast könnte man meinen, sie hätten sich totgefeiert. Ob die alte Fahne wirklich irgendwo bewahrt wird und ob sie restauriert werden kann?

Die Orden und Münzen, die Göbel in der Hand wiegt, erzählen aus einer versunkenen Zeit, die mit der heutigen im Grunde nichts zu tun hat: „Aber sie machen einem doch bewusst, dass über viele hundert Jahre Menschen an der gleichen Sache gearbeitet haben wie man selbst.“ Er hoffe, dass in weiteren hundert Jahren vielleicht auch wieder jemand staunend auf diese Devotionalien blicke: „Und dann über uns sagt: Die haben diese Sache am Leben gehalten.“

>>Hintergrund: Offener Naturschießstand

Während früher auch mit Langwaffen geschossen wurde, hat sich der Bürgerschützenverein seit 30 Jahren auf das sportliche Schießen mit genehmigungspflichtigen Kurzwaffen (Pistole und Revolver) spezialisiert.

Der offene Naturschießstand im Hagener Stadtwald mit fünf Kurzwaffen-Schießbahnen befindet sich im Besitz des Vereins.

Zu erreichen ist der Verein unter 0151/52069602.