Hagen. . Wer sind die Erben von Nena und Extrabreit in Hagen? Es sind die Rapper, die eine große Szene bilden, öffentlich aber kaum Gehör finden.
- Nenas Erbe: Hagens Rap-Szene ist vielfältig und sehr aktiv
- Wie einst bei der Neuen Deutschen Welle ist das Kultopia die Keimzelle
- Die Rap-Szene findet aber wenig Gehör in der Öffentlichkeit
„99 Luftballons“ sang einst Nena und trug gemeinsam mit Extrabreit von Hagen aus die Neue Deutsche Welle (NDW) in die Welt. Hagen war Metropole der deutschen Musik. Doch die NDW ist längst Geschichte. Die Volmestadt verschwand in der musikalischen Versenkung. Wer sind Nenas Erben? Das haben wir uns nun gefragt. Und Antworten in einer der Keimzellen der NDW gesucht: im Kultopia – damals noch klassisches Jugend-, heute Kulturzentrum.
Hier ist sich dessen Leiter Bernd König sicher: Hagen, das ist nun die Stadt der Liedermacher, der Singer-Songwriter. „Und der Trend geht eindeutig zum Rap“, so König. Hagens junge Musiker sind Songpoeten. Ihre Texte handeln von sozialer Ungerechtigkeit, gesellschaftlichen Konflikten, Toleranz, Teilhabe und der Forderung nach Chancengleichheit.
„Wir machen gesellschaftskritische Musik“, erklärt die 23-jährige Sarah Burkhardt. „Wir rappen über das, was doof läuft, aber auch über unsere Hoffnung auf Verbesserung. Wir rappen über Träume, darüber, wie schön es wäre, wenn es keine Kriege mehr gäbe, über die Bedeutung von Demokratie und Anti-Rassismus.“
Als „La Voice“ ist Sarah mittlerweile eine der etabliertesten Künstlerinnen der Hagener Rap-Szene. Und laut Gandhi Chahine, Leiter des im Kultopia beheimateten „Music Office Hagen“ (MOH), zugleich eine der erfolgsversprechendsten, wenn es darum geht, den Sprung in die nationale Bekanntheit zu schaffen. Mit 15 Jahren begann Sarah, eigene Texte zu schreiben und sie zu rappen. Mit ihrer Formation „Eck & Sey“ ist sie seit 2013 bundesweit unterwegs. Die jungen Frauen rappten im Berliner Tempodrom und auf dem Evangelischen Kirchentag 2017. Sie wurden im Rahmen des Girls’ Day und Boys’Day schon von der ehemaligen Bundesjugendministerin Manuela Schwesig empfangen.
Unterschied zu Gangster-Rappern
„Man kann in unserer Gesellschaft nicht immer alles cool und schön finden. Wichtig ist mir, die Augen nicht zu verschließen, politisch zu sein und zu versuchen, mit meinen Raps Gedanken anzuregen, wie man Dinge besser machen könnte“, beschreibt Sarah.
Die Musik, die sie und viele andere im MOH machen, unterscheide sich so durch diesem Anspruch grundlegend von den sogenannten „Gangster Rappern“, die lediglich darauf aus seien zu zeigen, was für großartige und starke Typen sie seien. Dabei sei Rap eben in seiner ursprünglichen Form so viel mehr als das. „Rap ist eine kreative Rebellion“, sagt Gandhi Chahine und zitiert Chuck D von Public Enemy – quasi einer der geistigen Väter der Hagener Szene im MOH: „Wenn du nichts zu sagen hast, dann darfst du nicht rappen.“
„Gedanken werden in Worte gepackt und die jungen Musiker bekommen eine Stimme. Sie treten somit ihrer Meinung aus der Anonymität heraus“, unterstreicht Gandhi Chahine. Der Sänger, Texter und Produzent ist Gründungsmitglied der Ruhrgebiets-Band „Sons of Gastarbeita“ und einer der ersten deutschsprachigen Rapper überhaupt.
G emeinsam mit Germaine Bleich hat er es sich im MOH zur Aufgabe gemacht, die jungen Rapper der Volmestadt in ihrem Tun zu fördern. Dies sei geradezu lebensnotwendig für die Szene, sagt Sarah. „Es ist in Hagen sehr schwer, einen Proberaum zu bekommen. Fast nichts ist bezahlbar, gerade wenn man neu ist.“ Aus diesem Grund ziehe es auch Eck & Sey ins Kultopia. „Es ist wie ein Zuhause für uns“, betont die 23-Jährige.
In Berlin gefragter als in Hagen
„Die Kommune hat durch das Kultopia eine Auftrittsmöglichkeit in der Stadt geschaffen“, sagt Bernd König. Und ergänzt: „So sind wir in der Lage, den aktuellen Strömungen zu begegnen.“ Wie bedeutsam das ist, zeigt sich laut Sarah auch durch ein weiteres Problem der Volmestadt: Ausgerechnet in der Heimatstadt fehle es an Anerkennung für rappende Hagener. „Wir sind eher außerhalb aktiv. Mit Eck & Sey war ich mal beim Sternlauf dabei, aber unser letzter Auftritt war zum Beispiel in Berlin, dort sind wir viel mehr unterwegs“, beklagt sie.
Der Grund liege auch darin, dass es bei Hagener Großveranstaltungen eher die Regel sei, Bands zu engagieren, die bereits einen Na men außerhalb der Stadt hätten. „Sie suchen sich immer Musiker, die woanders größer sind. Da wird es, wenn du jung bist, schwer, sich in deiner eigenen Stadt zu etablieren.“ Eigentlich sei die Sache absurd.
Eher im Keller
Zwar werde die Szene von der heimischen Politik wahrgenommen: „Ich meine, selbst der Oberbürgermeister kommt auf uns zu.“ Aber wenn es um das Engagieren von Künstlern ginge, „bucht man für die Festivals lieber Trompeten.“ Deshalb agiere die Szene, abgesehen vom Kultopia und dem MOH, eher im Hagener Untergrund, im Keller.
„Ich finde es ein bisschen traurig. Nena und Extrabreit verbinden alle mit Hagen, aber das sind nur zwei“, klagt Sarah. „Dabei haben wir hier in Hagen so viel Potenzial, wir haben so viele Musiker, die wirklich gut sind.“ Aber die würden nicht gesehen, das sollte sich wirklich ändern. „Wir stecken Schweiß und Blut und viele Träume in unsere Musik. Hagen hat viele gute Musiker, Hagen müsste sich nur viel mehr für sie interessieren.“
>>>Songtext von Rebellion