Hohenlimburg/Malta. . Der Hohenlimburger Architekt Ali Can Karasu hat ein Schiff bestiegen, dass in Seenot geratene Flüchtlinge zwischen Afrika und Südeuropa versorgt.

„Wir sollten glücklich darüber sein, dass wir in einem Land leben, in dem man sich nicht jeden Tag Gedanken darüber machen muss, ob man den Tag überlebt“. Ali Can Karasu sagt diesen Satz sehr bestimmt, schon fast auffordernd. Und wer weiß? Vielleicht animiert dieses Gespräch, das wir hiermit veröffentlichen, ja vielleicht andere Menschen, genau das zu tun, was der junge Hohenlimburger Architekt augenblicklich tut. Denn Karasu hat gestern ein Schiff bestiegen, dass in Seenot geratene Flüchtlinge zwischen Afrika und Südeuropa versorgt. „Für mich geht es darum, Menschenleben zu retten. Unabhängig von Rasse, Religion, Kultur, Hautfarbe oder Geschlecht.“

Haben Sie keine Angst, Herr Karasu?

Nicht vor der Reise, nicht vor dem Meer und nicht vor möglichen Strapazen. Meine größere Sorge ist, dass ich tragische Bilder sehen werde. Von Menschen, die ihre Heimat aufgegeben haben und extrem verzweifelt sind.

Viele Menschen sind hilfsbereit oder engagieren sich in der Flüchtlingshilfe. Aber nur wenige wagen eine Mission, wie Sie es tun. Was muss man erleben, dass man diesen Entschluss fast?

Vor etwa eineinhalb Jahren war mein Schlüsselmoment. Der Flüchtlingsstrom schien für mich damals noch weit weg, obwohl wir die Menschen längst bei uns vor der Haustür sehen konnten. Als ich morgens mal nach Dortmund über die B54 fuhr, sah ich große Zelte. Das waren Aufnahmestellen. Da spürte ich: Ich bin von diesen Sorgen der Menschen nicht mehr weit weg. Ich wollte etwas tun und fragte mich: Was liegt in meiner Hand?

Und was liegt in Ihrer Hand?

Ich bin Architekt und Stadtplaner und hatte mich gerade dazu entschieden, zu promovieren. Meine Doktorarbeit soll sich damit befassen, wie man eine Unterkunft für Flüchtlinge entwirft, die weder Zelt noch Container ist, die funktional, energetisch effizient und für die Menschen wohnlich ist. Dafür wollte ich in Kontakt mit diesen Menschen kommen und fand bei meiner Suche die Nichtregierungs-Organisation „Sea Eye“. Ich war sofort interessiert.

Was tut die Organisation?

Sie hat zwei Schiffe. Die „Sea Eye“ und die „Seefuchs“. Auf der „Sea Eye“ bin ich nun zwei Wochen lang Teil der Besatzung. Wir sind in Malta gestartet und fahren vor die lybische Küste. Auf der Route zwischen Nordafrika und Südeuropa suchen wir nach Schlauchbooten, die teilweise mit bis zu 200 Flüchtlingen besetzt sind.

Wie gehen Sie genau vor? Was tun Sie mit den Menschen?

Wir fahren in einem Beiboot an die Schlauchboote heran und verschaffen uns ein Bild der Lage. Wie viele Personen sind an Bord? Wie viele Frauen, Kinder, Schwangere, Kranke oder Verletzte? Wir helfen mit Lebensmitteln, Wasser und mit Rettungswesten.

Transportieren Sie auch Menschen?

Natürlich möchten viele Flüchtlinge an Bord eines richtigen Schiffes kommen, das sie nach Europa bringt. Aber das tun wir nicht. Wir versuchen, Leben zu retten. Das ist schon schwer genug. Die Flüchtlinge werden oft von Schleppern in die Boote gesetzt, haben keine See-Erfahrung, wissen nicht, wie man navigiert und Kurs hält mit den kleinen Motoren, die sie oft dabei haben. Bedenken Sie: Wir benötigen mit unserem Schiff ja bereits 30 Stunden von Malta vor die lybische Küste. 200 Menschen in einem Schlauchboot sind Tage oder Wochen unterwegs.

Sie sind eine kleine Besatzung auf einem relativ kleinen Schiff auf der Suche nach Flüchtlingen im Mittelmeer. Es sind aber Tausende Menschen auf ungewissen Fluchtrouten unterwegs.

Und trotzdem bin ich sehr motiviert. Kein Mensch gibt seine Ordnung auf, verlässt seine Heimat freiwillig. Jeder sollte sich vielleicht in die Lage des anderen versetzen und die Beweggründe verstehen, wieso diese Menschen gezwungen werden, alles aufzugeben und ein komplett neues Leben in einem neuen Land, einer fremden Kultur und teils umgeben von einer anderen Religion zu beginnen. Wir können nicht alle Menschen retten. Aber ich kann jetzt damit beginnen, Menschen zu helfen. Das ist meine Motivation.

Hintergrund

Die Missionen wie die der „Sea Eye“ sind nicht unumstritten. Aus Reihen der EU-Staaten gibt es den Vorwurf, dass die Nichtregierungsorganisationen Schleppern das Geschäft leichter machen würden. Oder sogar mit Schlepperbanden zusammenarbeiten. Ein Vorwurf, dem sich auch die NGO „Sea Eye“, mit der Ali Can Karasu nun unterwegs ist, gegenüber sieht.

Jüngst war bekannt geworden, dass der italienische Staat wegen des Verdachts der illegalen Immigration gegen die deutsche Hilfsorganisation „Jugend rettet“ ermittelt. Das Schiff der Organisation wurde festgesetzt. Der Vorwurf lautet, dass mindestens zweimal von Schleppern eskortierte Flüchtlinge auf das Rettungsschiff genommen worden sein sollen.

„Das tun wir nicht“, sagt Ali Can Karasu, für ihn und die Crew der „Sea Eye“ gehe es tatsächlich darum, die Menschen auf dem Wasser zu versorgen und vor dem Tod zu bewahren. Flüchtlinge, so Karasu, werden von der „Sea Eye“ nicht mit an Bord genommen.