Wehringhausen. . Die geplante Erweiterung der Klinik Deerth zum Maßregelvollzug ist sehr umstritten: Jetzt kommen drei derzeitige Patienten zu Wort.
Wie korrigiert man ein Leben? Es ist doch keine Klausur, die man mal eben berichtigt. Kein Schiffskurs, den man geschwind ändert. Wie korrigiert man ein Leben, das durch eine Sucht aus dem Takt geraten und in die falsche Richtung läuft? So viel ist geschrieben und gesprochen worden über die geplante Erweiterung der Drogenklinik im Deerth. Aber nie sind in diesem Zusammenhang die zu Wort gekommen, die dort behandelt werden und vom Deerth aus die Chance auf ein neues Leben ergriffen haben. Ein Treffen im Garten der Einrichtung. Mit drei Menschen, die ihr Leben korrigieren.
Koks und Drogenhandel
Dirk, Robert und Viktor. Drei Männer, die Fehler begangen haben. Dirk war Kokser, wurde verurteilt wegen Einbrüchen. Robert war abhängig von Amphetamin und wurde beim Drogenhandel erwischt. Viktor möchte nicht sagen, welches Verbrechen er begangen hat. Er nahm so ziemlich alles. Die drei Männer befinden sich in unterschiedlichen Therapiestadien. Dirk ist neu im Deerth. Der Kräfte zehrende Kokain-Entzug liegt gerade hinter ihm.
Er sieht etwas müde aus, sein Lächeln ist freundlich. Robert ist schon eine Einrichtung weiter. In der Volmeklinik an der Volmestraße. In Eigenverantwortung, aber mit Anwesenheitspflichten, weiterer Therapie und Urinkontrollen geht er den Schritt zurück in einen normalen Alltag. Viktor ist dort schon. Geschlossener Maßregelvollzug, Deerth und Volmeklinik liegen hinter ihm. „Das Leben hat mich zurück“, sagt er. Er hat eine Partnerin, einen Job.
Zurück zum Seelenheil
Hier oben im Deerth finden und fanden die drei Männer nach eigener Aussage zu ihrem Seelenheil zurück. Der außergewöhnliche Ort, so sagen sie, wirke besonders auf die Genesungsgeschwindigkeit. „Diese Einrichtung hat einen Kur-Charakter“, sagt Viktor, „der Ort hilft dabei, sich vollends vom bisher bekannten Alltag abzukapseln und neu zu beginnen.“ Das ist ein anstrengender Prozess. Viele Gespräche mit Therapeuten. Selbsterkenntnis. Reflektion. Wieder in eine Tagestruktur zurückfinden.
Und das in einer Atmosphäre, die dem Alltag dennoch nah ist, obwohl die Einrichtung im Wald liegt. In der freien Zeit entspannen die Patienten auf dem Gelände. Die Familien kommen regelmäßig zu Besuch. Das hier ist weit weg von Haft, Enge und Eingesperrtsein. Es ist dennoch für manchen ein anstrengender Ort. Weil man den Weg zurück zu dem, was im Leben wirklich wichtig ist, zwar mit therapeutischer Hilfe, am Ende aber ganz allein bewältigen muss.
„Wir sind hier keine Mörder, keine Kinderschänder“
Viktors Blick geht verschämt auf den Holztisch, an dem wir sitzen. Er tippelt mit den Fingern über die Platte. Dann sagt er verlegen: „Wissen Sie, wir lesen hier auch die Zeitung.“ Worauf der Patient hinaus will, ist die seit Monaten schwelende öffentliche Debatte darüber, ob der Maßregelvollzug neben der bestehenden Klinik errichtet werden soll oder nicht. Viktor meint: „Bei dieser ganzen Diskussion entsteht ein Bild, das uns wie Monster aussehen lässt. Wir sind hier keine Mörder, keine Kinderschänder oder Terroristen. Wir sind Menschen, die aus ihrer Sucht heraus Mist gebaut haben. Aber wir sind keine Gefahr für die Bevölkerung.“
Seit Monaten Streit um Erweiterung
Die geplante Erweiterung der Drogenklinik im Deerth um einen geschlossenen Maßregelvollzug sorgt seit Monaten für heftige Diskussionen in Hagen. Erst am Donnerstag hatte der Stadtrat bestätigt, dass sich das Gremium im August erneut mit den planungsrechtlichen Schritten befassen wird. Der Grund: Rund 11 500 Unterschriften hatten Gegner des Projekts gesammelt, damit der Rat, der die ersten Schritte für eine planungsrechtliche Genehmigung auf den Weg gebracht hatte, erneut beraten muss. So sieht es die Gemeindeordnung vor.
Die Hauptgründe der in einer Bürgerinitiative organisierten Gegner: Es wird eine starke Beeinträchtigung der Natur befürchtet. Zum einen durch den Erweiterungsbau auf dem Klinik-Gelände, das mitten im Wald liegt. Ein hoher Sicherungszaun würde diesen Klinik-Teil, der den geschlossenen Vollzug umfasst, umgeben. Zum anderen durch zusätzliche Verkehre, die die Gegner befürchten, weil im Vergleich zur heutigen Klinik rund 40 weitere Plätze entstehen werden. Man sei nicht gegen einen Maßregelvollzug und schätze generell die Arbeit der AWO mit den suchtkranken Straffälligen, allerdings sei der Standort falsch.
Abgeschiedenheit förderlich
Das alles sieht die Arbeiterwohlfahrt (AWO) als Betreiber der Klinik anders: Sie verspricht, dass sich das neue Gebäude in die Landschaft einfügen werde und ein ansprechendes Gesamtbild entstehe. Es sei damit zu rechnen, dass pro Tag nicht mehr als drei bis fünf Fahrzeuge zusätzlich an Besucherverkehr hinzu kämen. Im Bereich der Patiententransporte werde es sogar weniger Verkehr geben.
Die AWO argumentiert, dass die Erweiterung nur dort oben sinnvoll sei: Das Nebeneinander von bestehendem offenem und geplantem geschlossenem Maßregelvollzug sei notwendig. Gerade die abgeschiedene Lage inmitten der Natur sei aus medizinischer Sicht förderlich. Man könne nicht den geschlossenen Vollzug etwa auf einer Industriebrache ansiedeln.
Wahrscheinlich im Herbst wird es Klarheit geben, ob es eine politische Mehrheit gibt, um die nötigen planungsrechtlichen Schritte weiterzuverfolgen. Derzeit erscheint diese Mehrheit im Stadtrat aber eher fraglich zu sein.
Ein Jahr lang bleiben Patienten in der Regel im Deerth. Danach geht es für etwa sechs Monate in die Volmeklinik, von wo aus der finale Schritt zurück in ein selbstständiges und allein geführtes Leben folgt. „Das ist etwas, was nicht leicht ist“, sagt Viktor, „wenn man nach Hause zurückkehrt, möglicherweise zu seiner Familie, dann ist man nicht mehr der, der man mal war.“ Die Ehefrauen oder Kinder kannten vorher einen abhängigen Menschen, der Verhaltensweisen aufwies, die eng mit der Sucht verbunden waren. Jetzt kommt ein Mensch zurück, der sich selbst ganz neu aufgestellt hat. Damit gehen Ängste einher. Auf beiden Seiten.
„Wir haben hier das Gefühl, dass eine Stimmung gegen uns Patienten entsteht“, sagt Robert. Ja, es gebe auch mal Patienten, die wieder in Haft oder in den geschlossenen Bereich zurückgeführt werden müssen. Aber das seien absolute Ausnahmen, erklärt Markus Stremmel-Thoran, Betriebsleiter der Suchthilfe. Genauso wie die wenigen Entweichungen, die geschehen würden. Also der Fall, dass Patienten vom Klinikgelände abhauen. Diese „Fluchtversuche“, wenn man sie denn überhaupt so nennen kann, würden ohnehin meistens am Hauptbahnhof enden. Dort erkennen die meisten Patienten ihre Hilflosigkeit und würden die Entweichung bereuen und sich wieder abholen lassen.
Wieder Teil der Gesellschaft werden
„Wenn es hier einen Maßregelvollzug nebenan geben würde“, meint Patient Dirk, „dann gäbe es mit der einzigartigen Anlage hier etwas, worauf man sich dort bereits freuen könne. Es wäre wie eine Belohnung oder ein Anreiz, sich gut zu führen und dann nebenan im Deerth den nächsten wichtigen Schritt zu machen.“ Hin zu einer Lebenskorrektur. Zu dem Versuch, zurück in ruhige und geordnete Bahnen zu kommen. „Dazu braucht man aber auch ein bisschen die Rückendeckung aus der Bevölkerung. Schließlich wollen wir da hin zurück und eines Tages auch wieder Teil der Gesellschaft sein.“ Die Statistiken sprechen für die Einrichtung im Stadtwald: Drei Jahre nach der regulären Entlassung begehen rund 60 Prozent der Patienten keine Straftat mehr. „Das ist viel“, sagt Markus Stremmel-Thoran. „Und bei dem Rest sind die anschließenden Auffälligkeiten von ihrer Qualität her viel weniger schlimm als das Ursprungsdelikt.“