Wehringhausen. . Wer in diesem Feld arbeitet, ist nicht nur Überzeugungstäter. Nein, man arbeitet auch unter dem Radar. Die Gesellschaft schärft ihren Blick gewöhnlich nicht für das, was an ihren Rändern geschieht. Und die Arbeit, die an Förderschulen geleistet wird, gehört zu diesem Randgeschehen. Die Menschen orientieren sich an Höchstleistungen. Berichtet wird über die Besten, die Klügsten und die Innovativsten. Kaum jemand schreibt über lernbehinderte Kinder, die es in den Arbeitsmarkt schaffen und ein eigenständiges Leben führen. Hans-Jürgen Schalk weiß das. Und er steht stellvertretend für all jene, die jeden Tag für die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen arbeiten.
Wer in diesem Feld arbeitet, ist nicht nur Überzeugungstäter. Nein, man arbeitet auch unter dem Radar. Die Gesellschaft schärft ihren Blick gewöhnlich nicht für das, was an ihren Rändern geschieht. Und die Arbeit, die an Förderschulen geleistet wird, gehört zu diesem Randgeschehen. Die Menschen orientieren sich an Höchstleistungen. Berichtet wird über die Besten, die Klügsten und die Innovativsten. Kaum jemand schreibt über lernbehinderte Kinder, die es in den Arbeitsmarkt schaffen und ein eigenständiges Leben führen. Hans-Jürgen Schalk weiß das. Und er steht stellvertretend für all jene, die jeden Tag für die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen arbeiten.
Ein Beruf aus tiefer Überzeugung
Es bleibt etwas mehr als eine Stunde Zeit, um sich ein Urteil darüber erlauben zu können, was Hans-Jürgen Schalk für ein Mensch ist. Viele Beschreibungen kreisen einem nach diesem Spaziergang durch den Kopf. Nimmermüde und ewig lernend beispielsweise. „Berufsmensch“ trifft es auch. Der Begriff, der am stärksten hängen bleibt, ist: Überzeugung. Hans-Jürgen Schalk war ein Lehrer aus Überzeugung. Und das, obwohl sein Berufsleben eigentlich als Polizist begonnen hatte. Dass die Inklusion und die Förderung lernbehinderter Kinder mal statt der Verbrecherjagd sein Metier werden würden, hätte der junge Hans-Jürgen Schalk wohl nie vermutet.
Man sagte mal Hilfsschule. Später Sonderschule. Heute Förderschule. Oder genauer: Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt. Diese Schulen erleben aktuell eine nicht erwartete Renaissance. Sie waren mehrmals totgesagt. Zum Beispiel nach der Konferenz von Salamanca 1994, bei der die angepeilte Inklusion in den Stiel gestoßen wurde. Das Leitprinzip entstand: Schulen sollen alle Kinder, unabhängig von ihren physischen, intellektuellen, sozialen, emotionalen, sprachlichen oder anderen Fähigkeiten aufnehmen. „Uns allen war immer klar: Das wird höchst interessant“, sagt Schalk.
Dass es Förderschulen mal nicht mehr geben würde, prognostizierten viele Bildungsexperten. Mit ihnen würden auch die vielen negativen Klischees aus der Bildungslandschaft verschwinden. Klötzchen-Aufbau-Gymnasium, Schule für Doofe. Verwahrorte für Unterbelichtete. „Es gab Kinder, die stiegen an einer anderen Bushaltestelle ein, um vor den anderen Kindern nicht als Lernbehinderte da zu stehen. Das war schon grausam. Dabei haben viele dieser Kinder im Anschluss hoch interessante Lebenswege eingeschlagen“, sagt Schalk.
Der Wind hat sich gedreht. Was gestern der nie beleuchtete und gern gemiedene Rand der Gesellschaft war, entwickelt sich gerade zu einem geschätzten Premium-Produkt. Ein lernbehindertes oder geistig schlechter entwickeltes Kind in eine Regelschule geben, die mehr an den Rahmenbedingungen der Inklusion zu knabbern hat als die Kinder an ihren Einschränkungen? Das wollen viele betroffene Eltern nicht. Und entdecken deshalb die Förderschulen wieder als Oasen der Schullandschaft. Der Tenor vieler Eltern, die den Förderschulleitern plötzlich die Büros einrennen: Individuelle Förderung findet oft aufgrund fehlender Rahmenbedingungen nicht an der Regelschule, sondern in der Förderschule statt.
Das Klötzchen-Aufbau-Gymnasium ist plötzlich wieder Königsweg. „Man brauchte den Sonderpädagogen nie zu sagen, dass ihre Arbeit wertvoll ist“, sagt Hans-Jürgen Schalk, „das haben sie immer gewusst. Aber jetzt erfährt auch die Öffentlichkeit, welch gute Arbeit an diesen Schulen geleistet wird. Dass die Inklusion stottert, bereitet mir deshalb aber keine Genugtuung. Dennoch erfüllt es einen mit Zufriedenheit, weil viele Wege, die wir gegangen sind, die richtigen gewesen sind.“
Ein ermutigendes Beispiel
An der Pestalozzi-Schule, einer ehemaligen Hagener Schule für lernbehinderte Kinder, hatte Schalk mal einen besonderen Schüler und Absolventen. „Er hatte den Beruf des Bäckers erlernt. Nach einem Unfall konnte er als Bäcker nicht mehr arbeiten und wurde zum Spielball zwischen Rentenversicherung und Agentur für Arbeit.“ Schalk erinnert sich, dass der junge Mann darunter litt, dem Steuerzahler auf der Tasche zu liegen. Er war schwerer Legastheniker. „Unzufrieden mit seiner Situation, hat er die Ärmel hochgekrempelt“, sagt Schalk. Sein ehemaliger Schüler drückte noch einmal die Schulbank und ackerte sich bis zur Fachoberschulreife. Schreiben konnte er nicht, aber in Mathematik war er ein Ass. „Das Ergebnis ist, dass der Junge heute ein Qualitätsfachmann für Längenprüftechnik und Qualitätsmanagement ist.“
Warum Schalk diese Geschichte erzählt? Weil sie die Haltung vieler Kollegen seiner Zunft repräsentiert. „Das Arbeiten für die Nadel im Heuhaufen“, nennt Schalk das. Nicht jeder Förderschüler wird Fachmann für Längenprüftechnik. Viele schaffen es später nicht in den Arbeitsmarkt oder für sich solide und verlässliche Alltagsstrukturen aufzubauen. „Aber diejenigen, die es packen, sind der Antrieb, für den sich hohes Engagement lohnt.“ Der Grund auch, warum er sich auch nach seiner Pensionierung weiter für Kinder und Jugendliche engagiert. Inhalte und Erfahrungen brach liegen lassen, wäre fatal, so seine Meinung.
Seit 2012 hat er auch im Ruhestand eine ihn ausfüllende ehrenamtliche Tätigkeit, in der er beide Enden verknüpft. Die Kinder und Jugendlichen mit den Lehrkräften. „Es ist nie zu spät, Projekte anzustoßen. Und es gibt auch für nichts eine bestimmte Zeit. Wenn man etwas tun möchte, sollte man es tun“, sagt er. So lief er mit 55 Jahren auch seinen ersten Marathon. Eine lange und Geduld erfordernde Strecke – in gewisser Weise auch ein Symbol für Schalks Leben, der seit fast 40 Jahren mit seiner Frau in Breckerfeld lebt. Das Paar hat drei Kinder. Der 71-Jährige hat im Leben gelernt, dass man nie auslernt.
„2004 bin ich Mitglied bei den Lions geworden“, sagt Schalk. Seit 2007 hilft er mit, das Kinder- und Jugendpräventionsprogramm der Lions mit dem Namen „Lions Quest“ in den Schulen bekannt zu machen. Nach seiner Pensionierung wurde er in das Vorstandsamt gewählt und ist damit verantwortlich für Lions-Quest in Deutschland.
Soziale Kompetenzen vermitteln
Das übergeordnete Ziel: Kinder und Jugendliche sollen lernen, sich selbst als soziale Wesen zu begreifen, mit schwierigen Situationen umzugehen und ihr Umfeld selbstbewusster mitzugestalten.
„Über das Programm „Erwachsen werden“ wollen wir Lehrkräften und allen Menschen, die im verantwortlichen Bereich mit Jugendlichen arbeiten, soziale emotionale und kommunikative Kompetenzen vermitteln, die sie direkt im Unterricht mit ihren Klassen oder auch außerschulischen Gruppen einsetzen können.“
Es gehe, so Schalk, dabei vor allem auch um Dinge, die die Universität nicht mehr oder nicht ausreichend vermittelt. „Um die wichtigen Zwischentöne des Alltags“, sagt Schalk. Gemeinschaft, Vertrauen, Gefühle, Mitmenschen, Kommunikation.
„Ich war zehn Jahre Prüfungsvorsitzender für Lehrkräfte an der Universität Dortmund. Das Studium für Gymnasiallehrer etwa beinhaltet heute kaum noch pädagogische oder psychologische Inhalte. Es werden nur noch Fachwissenschaftler ausgebildet. Doch was ein Lehrer an pädagogischen, psychologischen oder auch soziologischen Kenntnissen dringend braucht, ist kaum noch Inhalt des Studiums. Später steht er dann vor einem „gemischten Raubtierkäfig“ und weiß nicht, wie er handeln soll.“
Die Botschaft: Meldet euch
Schalk ist gemeinsam mit Georg Berger Gründer der Beratungsstelle „Fit for future Hagen“. Dabei handelt es sich um eine Eingliederungshilfe für junge Menschen mit Lernschwierigkeiten und multiplen sozialen Problemen.
Lehrer sind auch Botschafter. Und so endet der Spaziergang auch mit einer Botschaft: „Die Leute sollen sich melden.“ Bei ihm. Bei den Lions. Bei Fit for Future. „ Da, wo Hilfe oder eine neue Sichtweise benötigt wird.“ Der erstaunliche Antrieb eines Menschen, der auch einfach nur Rentner sein könnte.