Hagen. . Christian Wellner aus Hagen hat sein altes Leben als Architekt aufgegeben und seine Siebensachen verkauft. Stattdessen besegelt er die Ozeane.
- Christian Wellner ist ausgestiegen, hat sich ein Segelschiff gekauft und segelt über die Ozeane
- Auf der Route von Hawaii nach Alaska waren Wale seine ständigen Begleiter
- Alle 15 Minuten steht Wellner auf und schaut, ob nicht Frachter oder Treibgut seinen Weg kreuzen
Es gibt Menschen, die haben dieses ganz besondere Gen. Dieses Gen, das sie befähigt, nicht nur zu träumen, sondern ihre Träume auch umzusetzen. Das sie dazu bringt, aus dem Alltagstrott für immer auszubrechen und ihr geregeltes Leben hinter sich zu lassen. Und dabei glücklich zu sein. „Ich bin ein glücklicher Mensch“, sagt Christian Wellner (40).
Er ist ausgestiegen. Er arbeitet nicht mehr als Architekt. Er hat sich von seiner Freundin getrennt. Er lebt nicht mehr in Hagen. Er hat sich ein Segelschiff gekauft und segelt über die Ozeane. Von Hawaii ist er nach Alaska geschippert. Allein. Nur Wale haben seinen Weg gekreuzt. „Ich bin frei“, sagt Wellner.
Holzbungalow am Hengsteysee
Wir stehen neben einem der Holzbungalows auf der Halbinsel im Hengsteysee, dem Revier des Freien Sportvereins von 1898. Nichts ist hier zu hören vom Getriebe der Stadt, weit schweift der Blick über das Wasser, das leise an den Steg schwappt. Ein Platz, wie geschaffen für Christian Wellner. Hier hat er einen Großteil seiner Kindheit und Jugend verbracht, hat Segeln gelernt und später als Segellehrer gearbeitet. Jetzt ist er aus Kalifornien hierhin zurückgekehrt, er macht Abenteuer-Pause. „Dieses Häuschen werde ich, so Gott will, nie verkaufen. Alles habe ich verkauft, aber hiervon werde ich mich nicht trennen.“
Keine Jagd nach Rekorden
Sein Lebensplan besteht darin, nicht zu viele Pläne zu machen. Er ist nicht auf der Jagd nach Rekorden und will nicht die ganze Welt besegeln. Wellner will frei sein. „Ich hatte alles“, sagt er: „Ich hatte zu viele Autos und ich hatte zu viele Klamotten.“ Eine hübsche, neu eingerichtete Wohnung. Einen guten Job. Aber seit Jahren schwirrte dieser Traum in seinem Kopf herum, alles hinzuschmeißen und sich ein Schiff zu kaufen und hinauszusegeln aufs Meer und auf dem Meer zu leben, zu essen, zu reisen, Erfahrungen zu sammeln und zu philosophieren.
Bei Christian Wellner war dieser Traum immer mehr als eine fixe Idee, aber auch er schrak lange davor zurück, den entscheidenden Schritt zu tun. Sogar als er sich vor vier Jahren nach Kalifornien aufmachte, um sich die Hudson Force 50, ein 15 Meter langes, 25 Tonnen schweres Schiff, das gemächlich durch die Wellen gleitet, aus der Nähe anzusehen, befand er sich noch in der Findungsphase. „Und dann habe ich das Schiff einfach gekauft“, sagt er: „Ich war selbst überrascht von mir.“
Keine Angst und kein Stress
Wellner ist wahrscheinlich das, was man einen coolen Typen nennt. Ihn kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Er hat keine Angst allein da draußen auf dem Meer. Er vertraut auf das Universum: „Ich glaube, da gibt es etwas, aber ich würde es nicht Gott nennen.“ Auf der Reise nach Alaska brach ein Ruder, Wellner musste umkehren, er verlor einen Monat, in seinem früheren Leben hätte er so etwas eine Katastrophe genannt, aber in seinem Leben auf dem Schiff besitzen die Gesetze des Alltags, abgesehen von der Bordroutine, keine Gültigkeit. „Ich kenne keinen Stress mehr. Stress hat etwas mit Land zu tun, mit vielen Menschen.“
Eine der letzten Freiheiten
Er habe in seinem ersten Leben nie allein gelebt, sagt er. Das habe er sich gar nicht vorstellen können. Und anfangs reiste seine Lebensgefährtin ja mit ihm, bis sie die Nase voll hatte von all dem Unterwegssein und sich zurück nach Hause sehnte. Und er auf einmal merkte, wie gut ihm das Alleinsein tat: „Das Segeln auf dem Ozean ist für mich eine der letzten Freiheiten, die es heutzutage noch gibt. Ich kann so lange auf dem Wasser bleiben, wie ich will. Ich bin nur noch für mich und mein Schiff verantwortlich. Das gibt mir das Gefühl, ein freier Mensch zu sein.“
Dass Wellner keine Angst hat, bedeutet nicht, dass er leichtsinnig ist. Um nicht in schwere See zu geraten, lädt er sich täglich über sein Satellitentelefon den Wetterbericht herunter. Und damit sein Schiff nicht mit Treibgut oder einem Frachter kollidiert – die Meere sind auf manchen Routen voll von Containerschiffen –, schläft er höchstens eine Viertelstunde am Stück, um immer wieder nach dem Rechten zu sehen. Sein Körper hat sich an diesen ungewöhnlichen Rhythmus gewöhnt, er hat es gelernt, auf Knopfdruck einzuschlafen: „Mit vier Stunden Schlaf pro Nacht bin ich zufrieden.“
Eine der letzten Freiheiten
Wellner lebt vom Ersparten, er benötigt rund 1000 Dollar pro Monat, um über die Runden zu kommen. Wenn sein Geld aufgebraucht ist, will er sich durch Vorträge über seine Erlebnisse und Werbepartner, die Anzeigen auf seiner Internetseite schalten, über Wasser halten. Er lebt einfach, aber konsequent, er weiß nicht, wo auf dieser Welt er in zehn oder 20 Jahren sein wird, aber bestimmt wird er nicht in sein erstes Leben zurückkehren. Er hat sein Schiff „Zero“ getauft, weil in dem Moment, in dem er es kaufte, alle Uhren auf Null gestellt wurden und sein zweites Leben begann.
Wale vor Alaska
Vor Alaska waren Wale seine ständigen Begleiter, sie kamen ganz nahe an die Zero herangeschwommen, als wollten sie ihn beschnüffeln oder beäugen, man sagt diesen Tieren ja eine gewisse Intelligenz nach. Wellner segelte in den Prinz-William-Sund, in dem zahlreiche Eisberge schwammen, die in der Sonne glitzerten. Er segelte an eine riesige Eisplatte heran, dann holte er eine Flasche Hawaii-Rum aus der Kajüte, kletterte von Bord, mixte den Rum mit Gletscherwasser und füllte sein Glas auf dem Eis.
Die gewaltige Naturkulisse um ihn herum sei so aufregend und beeindruckend gewesen, er habe sich vor Glück kaum halten können, berichtet er. Christian Wellner trank seinen Rum on the rocks und atmete.
Während er in seinem kleinen Paradies am Hengsteysee von der Südsee träumt, schaukelt die Zero, befestigt an einer Boje im Hafen von San Diego, in den Wellen. Sie wartet auf ihn.
>>Hintergrund: Homepage und Videos
- Christian Wellner wurde 1977 in Hagen geboren und ist in Eilpe aufgewachsen. Der Hengsteysee ist sein Heimat-Segelrevier.
- Alles über ihn und seine Weltbesegelung findet sich auf der Homepage www.sailingzero.com. Er schreibt dort in englischer Sprache.
- Videos von seiner Reise sind zu finden bei Youtube unter www.youtube.com/syzero