Hagen. . Die Inklusion bleibt hinter ihren Erwartungen zurück. Das hat einen großen Effekt auf die Förderschulen. Sie sind in Hagen so gefragt wie nie.
- Zum kommenden Schuljahr verzeichnen sie deutlich gestiegene Anmeldezahlen, vor allem die Sekundarstufen
- Dagegen bleibt die Inklusion, also das gemeinsame Lernen behinderter und nichtbehinderter Kinder, weit hinter den Erwartungen zurück
- Insbesondere die Förderschulen für Kinder mit einer Lernbehinderung sind wieder gefragt.
Die Förderschulen in Hagen erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Zum kommenden Schuljahr verzeichnen sie deutlich gestiegene Anmeldezahlen, vor allem die Sekundarstufen haben fast doppelt so starken Zulauf wie im Vorjahr. „Wir platzen aus allen Nähten“, bestätigt Stefan Grade, Leiter der Fritz-Reuter-Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen in Boelerheide.
Eltern erkennen Wert der Förderschulen an
Dagegen bleibt die Inklusion, also das gemeinsame Lernen behinderter und nichtbehinderter Kinder an einer allgemein bildenden Schule, weit hinter den Erwartungen zurück. „Viele Eltern erkennen nach wie vor den Wert einer Förderschule an“, fasst Manfred Speil, Fachdienstleiter im Hagener Schulamt, die Situation zusammen.
Stockende Umsetzung
Insbesondere die Förderschulen für Kinder mit einer Lernbehinderung sind wieder gefragt. An der Fritz-Reuter-Schule in Boelerheide wurden 21 Fünftklässler angemeldet (Vorjahr: 10), an der Bodelschwingh-Schule in Wehringhausen 16 (10). Derzeit kann keine Rede davon sein, dass die von der rotgrünen Landesregierung gewünschte Auflösung aller Förderschulen in naher Zukunft umgesetzt werden kann. Im Gegenteil: Die stockende Inklusion hat die Schulentwicklungsplanung in Hagen über den Haufen geworfen. So sollte die Bodelschwingh-Schule nach ihrer Zusammenlegung mit der aufgelösten August-Hermann-Francke-Schule eigentlich in die Selbecke umziehen, doch das dortige Schulgebäude bietet angesichts der stabilen Schülerzahlen nicht genügend Platz für adäquaten Unterricht. Daher muss die Bodelschwingh-Schule vorerst im Wehringhauser Schulzentrum beheimatet bleiben, obwohl diese Immobilie möglicherweise mittelfristig von der Freien Evangelischen Gesamtschule benötigt wird.
Das Angebot übersteigt die Nachfrage
Andererseits hat das Schulamt inzwischen sichergestellt, dass an allen Gymnasien, Gesamt-, Sekundar-, Real- und Hauptschulen in der Stadt gemeinsames Lernen möglich ist. „Im nächsten Schuljahr können erstmals alle allgemein bildenden Schulen grundsätzlich auch Kinder mit Förderungsbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache, Emotionale und soziale Entwicklung aufnehmen“, so Speil. Doch das Angebot übersteigt bei weitem die Nachfrage. Die grundsätzliche Einbindung in das System gemeinsamen Lernens bedeutet denn auch nicht, dass die entsprechenden Plätze tatsächlich in Anspruch genommen werden. Vor allem die Anmeldung an einem Gymnasium scheuen die meisten Eltern lernbehinderter Kinder, weil sie befürchten, dass ihr Nachwuchs dort hoffnungslos ins Abseits gerät.
Eigenständiger Bildungsgang
Hinzu kommt, dass behinderte Kinder an einer allgemein bildenden Schule keineswegs einen höheren Abschluss als an einer Förderschule erwerben. Sie werden nämlich nach den Lehrplänen eines eigenständigen Bildungsgangs Lernen unterrichtet und können selbst nach dem Abschluss der zehnten Klasse maximal einen dem Hauptschulabschluss nach Klasse 9 vergleichbaren Abschluss erreichen. Ansonsten endet die Klasse 10 mit einem entsprechenden Vermerk im Zeugnis, der den Abschluss des Bildungsganges Lernen bescheinigt.
>> Eine neue Eltern-Schule-Beziehung
Nur wenn ihnen im Laufe der Schulzeit der Sprung in den regulären Bildungsgang gelingt, erhalten die Schüler den gängigen Hauptschulabschluss. Diese Praxis mag nachvollziehbar sein, erhöht für Eltern förderbedürftiger Kinder jedoch nicht gerade die Attraktivität allgemein bildender Schulen.
Inklusion hat Image der Förderschulen gefördert
Förderschulen betrachten die Eltern dagegen als viel besser für ihren Nachwuchs geeignet. Dort werden die Kinder viel intensiver und ihren Bedürfnissen entsprechend betreut als das an einer regulären Schule überhaupt möglich ist. Die Inklusion hat das Renommee der Förderschulen erhöht. Seitdem die Eltern die Wahl haben zwischen Förder- und Regelschule, steht hinter jeder Anmeldung eine freiwillige Entscheidung: „Das hat bei uns zu einer ganz neuen, intensiven Eltern-Schule-Beziehung geführt“, berichtet Schulleiter Grade aus Boelerheide.
Anziehungskraft
Die ungebrochene Anziehungskraft der Förderschulen ist aber auch der Zuwanderung geschuldet. Viele Eltern behinderter Kinder kommen nach Deutschland, weil sie glauben, dass ihre Jungen und Mädchen hier besser gefördert werden als in der alten Heimat. Die Gustav-Heinemann-Förderschule für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung platzt aus allen Nähten, dort werden mittlerweile 214 Schüler unterrichtet. Eine allgemein bildende Schule besucht dagegen nicht ein einziges Kind mit diesem Förderschwerpunkt.