Hagen/Münster. . Rentnerin Gertrud Nehls aus Hagen will keine Kriege finanzieren. Deshalb behält sie Steuern ein und muss sich nun vor Gericht verantworten.
- Gertrud Nehls hat den Teil der Steuer einbehalten, der in den Verteidigungs-Etat fließt.
- Schrecken des Zweiten Weltkriegs hat die Friedensaktivistin aus Hagen geprägt.
- Kurioser Fall wird am Freitag vor dem Finanzgericht Münster verhandelt.
Hinter Aktenzeichen 1 K 853/14 E verbirgt sich am Finanzgericht Münster ein ganz besonderes Verfahren.
Vor dem Richter in Saal 403 direkt unter dem Dach sitzt die Pazifistin Gertrud Nehls (77) aus Hagen. Die resolute Rentnerin hatte im Jahr 2013 einen Teil ihrer Einkommenssteuer einbehalten. Der Grund: Sie möchte nicht, dass mit ihrem Geld der deutsche Verteidigungs-Etat finanziert wird.
Die Schrecken des Krieges erlebt
Gertrud Nehls, 1939 geboren, hat als kleines Kind die Schrecken des Zweiten Weltkrieges miterleben müssen. Noch als junge Krankenschwester hat sie Menschen behandelt, die noch Jahre später unter den Folgen dieses grauenvollen Krieges leiden müssen.
„Das“, so sagt sie noch heute, „hat mich mein Leben lang geprägt. So etwas vergisst man nicht.“
Traurige Reise nach Bagdad
Sie schließt sich der Friedensbewegung an, engagiert sich schon seit Jahren in der Flüchtlingsarbeit, reist nach Bagdad und erlebt, wie besonders Kinder an den Folgen des Einsatzes von abgereichertem Uran im Golfkrieg leiden. „Das Trinkwasser einer ganzen Region ist dort verseucht“, sagt Gertrud Nehls, „die Menschen werden aufgefordert, kein Gemüse von den Feldern zu essen. In einer Klinik habe ich so schlimme Bilder sehen müssen, dass ich raus gerannt bin. Ich habe das nicht ausgehalten.“
Als sie im Internet auf die Seite „Netzwerk Friedenssteuer“ stößt, beschließt sie, den Teil ihrer Steuer einzubehalten (rund elf Prozent), der in den Verteidigungshaushalt der Bundesrepublik Deutschland fließt. „Die Zahlung meiner Steuern schafft mir Gewissensnöte“, begründet Gertrud Nehls ihren ungewöhnlichen Entschluss. „Wenn ich die Steuer komplett zahle, finanziere ich Umweltzerstörung, Rüstungsexporte, Militär und Kriege einschließlich der Ausbildung zum Töten.“
Begründung an das Finanzamt
Also beruft sich Nehls in einem Schreiben, das sie selbst formuliert und im Dezember 2013 an das Finanzamt Hagen geschickt hat, auf ihr Grundrecht auf Gewissensfreiheit nach Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes.
„So wie früher der Kriegsdienst verweigert werden konnte, möchte ich meine Steuern nur für zivile Zwecke verwandt wissen“, so Nehls. Besonders solle dabei die Friedenserziehung von Jugendlichen in Schulen berücksichtigt werden.
Die Quittung folgt Jahre später
Für ein Quartal behält sie einen Teil ihrer fälligen Vorauszahlungen Ende 2013 ein. Und bekommt Jahre später die Quittung dafür. „Wenn man sich in der Friedensbewegung einbringt, muss man auch mal bereit sein, ein bisschen anders vorzugehen. Ich bin ja gern ein bisschen aufmüpfig“, sagt die engagierte Überzeugungstäterin aus Haspe. „Das Finanzgericht hat mir angeboten, sich ohne Prozess mit mir zu einigen. Aber das wollte ich ja gar nicht.“
Also muss die 77-Jährige nun in Münster erscheinen. Und macht sich dabei keine großen Illusionen: „Ich weiß natürlich, dass ich in der Verhandlung keine Chance habe“, sagt Gertrud Nehls, „aber ich will doch zumindest die Chance nutzen, dem Gericht meine Argumente vorzutragen.“
>> HINTERGRUND: Keine Ausnahmen möglich
Fälle wie der von Gertrud Nehls kommen im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes so gut wie nicht vor. Das erklärt Werner Zitzelsberger, Leiter des Finanzamtes, der sich zur konkreten Sache nicht äußern darf.
Ähnlich verhalten sich die Fälle von Reichsbürgern, die die Behörde (und den Staat dahinter) so nicht anerkennen.
Bei säumigen Steuerzahlern sieht sich das Finanzamt Hagen schon aus Gründen der Steuergerechtigkeit in der Pflicht, offene Beträge einzutreiben. Ausnahmen seien hier nicht möglich.