Hagen. . Experte Heiner Mohnheim spricht sich im Interview für einen deutlich verbesserten Nahverkehr in Hagen aus. Er fordert fünfmal mehr Haltestellen.
Zeichnet sich eine Kehrtwende in der Hagener Politik ab? Erstmals seit Jahren wird erwogen, angesichts der andauernden Schadstoffproblematik in der Innenstadt den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) auszuweiten. Bislang waren Busnetz und Taktung angesichts der miserablen Haushaltssituation immer nur gekürzt worden, obwohl der Luftreinhalteplan auf einen attraktiveren ÖPNV setzt. Über diese Entwicklung sprach unsere Zeitung mit dem Verkehrsexperten Professor Heiner Monheim, Mitinhaber des Raumkom-Instituts für Raumentwicklung und Kommunikation in Trier. „Wenn man alle Kosten einrechnet, ist der Ausbau des Nahverkehrs das umwelt- und haushaltspolitische Gebot der Stunde“, sagt Monheim.
Herr Professor Monheim – Öffentlicher Personennahverkehr kostet mehr Geld. Richtig oder falsch?
Heiner Monheim: Falsch. Besserer öffentlicher Verkehr bringt auch mehr Einnahmen. Und entlastet die Haushalte von den extrem teuren Ausgaben für den Autoverkehr. Sowohl bei den Investitionen als auch beim Unterhalt. Und wenn Sie die Umwelt- und Gesundheitskosten auch noch mitrechnen, dann ist öffentlicher Verkehr eine der wichtigsten Sparkassen für die Kommunen, wenn sie endlich richtig rechnen. Lärm und Schadstoffe kosten eben auch Geld. Es ist für eine Kommune wie Hagen wesentlich teurer, ein zu großes Straßennetz zu unterhalten, in dem Autos Vorrang gewährt wird, als den Öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Autoverkehr ist in höchstem Maße defizitär. Vor allem für die Kommunen.
Einwand: Busse nutzen doch auch Straßen...
Das ist korrekt. Aber in einer Stadt wie Hagen doch höchstens 20 Prozent des Straßennetzes. Der Autoverkehr fährt auf den Hauptverkehrsstraßen oft auf vier Spuren. Und jedes Auto braucht im Schnitt vier Stellplätze. Das alles muss gebaut und unterhalten werden. Diese Kosten werden auch durch Abgaben wie die Mineralölsteuer, Kfz-Steuer oder die Lkw-Maut keineswegs gedeckt. Von der Lkw-Maut kriegen die Kommunen keinen einzigen Cent. Aber für die Kosten des Autoverkehrs ist man in den meisten Städten noch blind.
Was muss eine Stadt wie Hagen denn konkret tun, um den ÖPNV attraktiver zu gestalten?
Erste Maßnahme: Es müssen auch aus demografischen Gründen wesentlich mehr Haltestellen her. Für eine Stadt wie Hagen würde ich fünfmal so viel ansetzen. Der lange Weg zur Haltestelle ist das, was Fahrgäste als unangenehm empfinden. Die 300 Meter Radius rund um den Wohnort, die in Planerköpfen existieren, sind völlig überholt. Denn daraus werden in der Realität schnell 500 bis 600 Meter. Und das an der Einstiegs- und an der Zielhaltestelle. Mal zwei, wenn man Hin- und Rückfahrt berücksichtigt. Da ist man schnell bei mehr als zwei Kilometern. Das ist für alte Leute kaum machbar. Die Autos aber sollen immer direkt vor der Haustür halten können.
Also ist eine Autofahrt die attraktivere Variante...
Noch ja. Aber wir muten Bus-Nutzern ja auch wesentlich mehr zu. Stellen Sie sich doch mal vor, ein Autofahrer müsste jedes Mal 600 Meter bis zu seinem Fahrzeug laufen. Dann würde die Nutzung ganz schnell wesentlich unattraktiver.
Was sind weitere Maßnahmen?
Hagen ist kein Dorf. Da braucht man eine vernünftige Taktung. Ein Bus alle zehn Minuten ist angemessen. Und zwar nicht nur auf den Hauptrouten, sondern auch mit kleineren Bussen in die Quartiere hinein. Nur wenn diese sogenannte Nahmobilität auch mit den Bussen attraktiver wird, sind Menschen bereit, auf das Auto zu verzichten. 50 Prozent aller Autofahrten sind kürzer als fünf Kilometer.
Frankreich als gutes Beispiel für die deutschen Städte
Setzen nicht die Finanzprobleme den Städten Grenzen?
Natürlich wäre eine Finanzreform zu Gunsten des öffentlichen Verkehrs sehr nützlich. So wie in Frankreich, wo alle Betriebe eine Nahverkehrsabgabe zahlen. Mit der werden dann viele neue Straßenbahnsysteme gebaut. Außerdem betone ich noch einmal: Nahverkehr ist in Summe günstiger als Individualverkehr. Wir wissen: Rund ein Drittel der Bus-Nutzer haben schon jetzt einen eigenen Pkw zur Verfügung. Je mehr ich bereit bin, für den ÖPNV auszugeben, desto mehr wird dieser Anteil steigen. Übrigens spart das auch den Menschen viel Geld, denn sie brauchen keinen Dritt- und Zweitwagen, viele können dann ganz ohne Auto leben. Das Auto ist das teuerste Konsumgut der Deutschen.
Beobachten Sie ein Umdenken auch in anderen Kommunen?
Ja. Der Druck, den die Europäische Union vor dem Hintergrund der Schadstoff-, aber auch der Lärmproblematik macht, ist enorm. Es drohen Klageverfahren, wenn die Städte nichts unternehmen. Und plötzlich werden Dinge möglich, über die man lange Zeit nicht einmal nachgedacht hat.
Wie reagieren denn andere?
Nehmen Sie das Beispiel Frankreich. Da werden in vielen Städten mit 60 000 bis 70 000 Einwohnern wieder Straßenbahnen gebaut. Finanziert wird das durch die genannte Nahverkehrsabgabe, die Betriebe entrichten müssen.
Ist das auch eine Alternative für deutsche Städte?
Natürlich sind die Investitionskosten hoch. Dafür muss man Fördertöpfe anzapfen. Aber generell: Warum nicht? Auch in Hagen kann Schienenverkehr wieder zum Thema werden. Dafür braucht es aber auch an den bestehenden Bahntrassen mehr Haltestellen. Längs der bestehenden Schienenstrecken braucht man S-Bahn-Qualität, mit dichtem Takt und Haltestellen überall da, wo neue Wohn- und Gewerbegebiete entstanden sind oder wichtige Freizeitziele liegen.
Also müssen Verkehrplaner anders denken als bislang?
Ja. Aber das gilt nicht nur für den ÖPNV. Jahrelang war das Thema Radverkehr in Hagen keines. Das lag vor allem an der Topographie. Jetzt aber wächst der Anteil der E-Bikes rasant, und auch Städte mit Tälern und Bergen lassen sich leicht mit dem Rad erschließen. Auch das Hagener Radwegenetz muss ausgebaut werden. Und zwar nicht auf Kosten der Fußgänger, sondern der Autofahrer.
Also ist der Autofahrer der Dumme...
Nein. Wenn man statt vier Kfz- Spuren zwei Kombispuren macht und daneben noch zwei Radfahrspuren, hat die gleiche Straße statt vier sechs Spuren, ist also leistungsfähiger. Und der Autoverkehr wird besser kanalisiert, weil nicht mehr überholt wird. Ein kanalisierter Verkehr ohne ständige Spurwechsel und permanentes Überholen läuft flüssiger. Hinzu kommt, dass ja bei attraktivem ÖPNV und gutem Radwegenetz weniger Autos unterwegs sind.