Hagen feiert Jon Lord.
Von Monika Willer
Hagen. Jon Lord bringt der Rock-Generation und ihren Kindern das vergessene klassische Erbe zurück. Der britische Musiker, Komponist und Grenzgänger zwischen den Stilen wurde jetzt bei zwei ausverkauften Festkonzerten zum 100-Jahr-Jubiläum der Hagener Philharmoniker stürmisch gefeiert.
Jon Lord, Mitbegründer und Keyboarder von Deep Purple, hat die Band vor gut fünf Jahren verlassen, um eigene Wege zu gehen. Der 66-Jährige wollte sich nicht dem Altherren-Club der Rock-Rentner anschließen, die mit ihren immer gleichen historischen Hits durch die Welt touren. Dafür ist Jon Lord auch ein viel zu guter Musiker, der bereits vor 40 Jahren versucht hat, seine Liebe zum Rock und seine Leidenschaft für Sinfonik künstlerisch zu vereinen. Das „Concerto for Group & Orchestra” von 1969 stand entsprechend im Mittelpunkt der beiden Konzerte in der Hagener Stadthalle und verblüffte die Klassik-Gemeinde ebenso wie das Pop-Publikum durch seine Fülle an Farben, seinen Reichtum an Rhythmen und Harmonien und seine wunderbaren Melodien.
Das „Concerto” ist ein groß angelegtes dreisätziges Stück, das Lord mit außerordentlichem Sinn für Klangfarben-Kombinationen komponiert hat. Lord kontrastiert im ersten Satz Orchester und Band, lässt beide regelrecht miteinander streiten. Das Andante beginnt mit sakral und mittelalterlich anmutenden Akkorden von Harfe und Röhrenglocken. Wieder greift die Band das Thema auf, und jetzt kommt die entscheidende Wende. Zu den Instrumenten gesellt sich die Stimme. Der hochbegabte junge Hagener Tenor Jefferey Krueger setzt ein, und der Gesang ist es, der das Orchester und die Band zur Fusion bringt. Im Schlusssatz verschmilzt Lord dann beide Klangkörper mit fantastischen Dialog-Effekten: So spielen sich das Rock-Schlagzeug und die große philharmonische Schlagzeug-Gruppe die Einsätze lustvoll zu. In diesem spannenden „Concerto grosso” nach barockem Vorbild ist alles enthalten: Volkslied und Choral, Romantik und Pop-Balladen, Jazz-Harmonien und Rock-Rhythmen. Barock und Rock haben viel gemeinsam: die Freude am Improvisieren, die Freiheit des solistischen Auftretens innerhalb eines stabilen harmonischen Gerüsts. Jon Lords Hommage an die alten Meister ist mit dem „Concerto” demnach nicht beendet. Stücke wie „Telemann Experiment”, „Sarabande” und „Gigue” beziehen sich auf Georg Philipp Telemann und seine Kollegen. Hier greift Jon Lord endlich selbst in die Tasten. Und wenn er am Flügel oder an der Hammondorgel sitzt, dann hört man, wie sich der Orgelvirtuose Lord vor dem Orgelvirtuosen Johann Sebastian Bach verbeugt. Zwei Lieder komplettieren das Programm. „One from the Meadow” und „Wait a while”, gesungen von der großartigen Sopranistin Tanja Schun. Die Zugabe ließ endgültig alle Herzen schmelzen: „Music was my first love” von John Miles mit Jefferey Krueger als Solisten. Die Philharmoniker haben hörbar Freude an diesen Grenzgängen. Auch die Band, die „Dead Composers Rocking Society”, fühlt sich wohl in der Nachbarschaft so vieler Kollegen vom Klassik-Fach. Dirigent Gwennolé Rufet hat den Riesen-Apparat sicher im Griff, und Jon Lord strahlt vor Freude und vor Musizierlust. Mit Crossover bezeichnet man Brückenschläge zwischen Rock und Klassik. Crossover gibt es aber ebenfalls im Publikum, das Konzert-Abonnenten und Pop-Fans in Begeisterung vereint. Jon Lord bekannte, wie sehr er 1969 mit dem „Concerto” gegen die Mauern des Establishments angerannt ist. Hätten sich Rockmusiker und Orchestermusiker eher zu gemeinsamen Projekten getroffen, würden die Philharmonien heute vielleicht nicht vor so großen Problemen mit dem Hörer-Nachwuchs stehen.