Hagen-Mitte. (aho) Ein Dialog des Lichts steht am Anfang eines gewöhnungsbedürftigen, aber spannenden choreografischen Experimentes, mit dem das Tanztheaterfestival „Tanzträume” ´seinen Auftakt fand
Minutenlang geschieht nichts im ausverkauften Opus, außer dass ein Mann und eine Frau an den gegenüberliegenden Bühnerändern jeweils eine Tischlampe aufleuchten lassen. Kurz. Lang. Grell, gedämmt. Wie es gerade beliebt, so scheint es, und doch gehen die Lichtgeber aufeinander ein. Still, wortlos. Ein Handeln, das charakteristisch ist für das Folgende: Die sieben Frauen und Männer des Essener Folkwang Tanzstudios reagieren aufeinander, unter ihnen die Leiterin Henrietta Horn. Von ihr stammt das Konzept zur gezeigten Produktion „Freigang”, wohl gemerkt nur ein Gerüst. Sie wurde als´Vorstoß in den improvisierten Tanz angekündigt - und als solche auch präsentiert.
Dreh- und Angelpunkt ist der Mann am Flügel, Jens Thomas. Wortfetzen, Fingerschnipsen, das Quietschen des Hockers dienen dem Pianisten als Rhythmuselemente. Mitunter wühlt er wiebesessen in den Saiten des offenen Flügels, um den Akteuren einen wilden Klangteppich zu knüpfen. Nacheinander treten sie ins Rund, entfalten sie ihre tänzerischen Assoziationen, lassen sich ein auf den Klang oder grenzen sich bewusst ab. Eckige, enthemmte, befremdliche Bewegungsmomenten entstehen so, aber auch wunderschöne, vor allem in zwei Pas de deux. In ihnen wird die tänzerische Perfektion in der Improvisation besonders deutlich. Gleiches gilt für das Miteinander aller Tänzer: ein Sturm an Bewegung, intuitiv kontrolliert.
Dann sind da noch jene Momente, in denendie Situation aufgebrochen wird, beispielsweise, als Tänzer Andy laut über den Genuss von Erdbeeren sinniert. Das ist unüblich für das Tanztheater und gehört doch zum leicht zugänglichen Teil des choreografischen Neulandes. Denn es braucht eine gewisse Zeit, sich auf die Freigänger einzulassen, so neu ist der Ansatz, so ungewöhnlich ist das Gesehene. Doch das Ungewohnte steht ja letztlich zu Beginn eines jeden Experimentes.