„Wenn Onkel Jakob das dritte Bier aufhatte, rollten die Panzer durch Afrika.” Im Partykeller schwärmten die Männer der Familie Adrian stets von der alten Zeit, gestikulierten wild, sangen heroische Lieder. Der kleine Adrian hörte zu - und war begeistert. Der Grundstein für eine Jugend als Neonazi war gelegt.

Gestern stand Matthias Adrian in der Gesamtschule Haspe. Er hat den Ausstieg aus dem rechten Milieu geschafft und klärt nun auf. Über die Struktur der organisierten Szene, über die Doppelmoral von NPD und Co. und über die immer noch bestehende Gefahr von Rechts. Adrian war Gastredner im Rahmen einer Aktionswoche gegen Rechts, die die Schülervertretung der Gesamtschule Haspe organisiert hat. Ein Bestandteil ist auch die Ausstellung „Neofaschismus in Deutschland” die noch bis Freitag im Schulgebäude zu sehen ist. Die SV finanziert die Projektwoche aus den Einnahmen der jährlichen Veranstaltung „Rock gegen Rechts”.

Matthias Adrian passt nicht ins Klischee-Bild eines Neonazis. Statt aus Sachsen stammt er aus Hessen, statt arbeitslos war er Abteilungsleiter in einer mittelständischen Bäckerei, statt in zerrütteten Verhältnissen wuchs er wohl behütet in einer ländlichen Großfamilie auf. Wie er trotzdem Neonazi wurde, erzählte er gestern sehr lebhaft, eloquent, fesselnd - und in breitem Hessisch.

Bereits in der dritten Klasse hörte Matthias von den Gräueltaten im Dritten Reich. Verunsichert wandte er sich an seinen Opa. „Ach was, die SA-Männer bei uns im Dorf waren ganz friedlich”, lautete die Antwort. Und der Holocaust? „Unser Pfarrer ist damals auch aus dem KZ zurückgekommen. Wer weiß, ob die Geschichten mit den vielen Toten stimmen?”

So behielt der neunjährige Matthias den verblendeten Blick auf den Nationalsozialismus. Dieser verfestigte sich noch mehr, als er drei Jahre später die Deutsche Nationalzeitung in die Finger bekam. In dem Blatt der DVU las er, dass das System, also die Politiker und Lehrer, das deutsche Volk umerziehen wollen zu verweichlichten Hilfsamerikanern. „Fortan glaubte ich niemandem mehr.”

Es folgten Flugblätter an der Schule, Hakenkreuzschmierereien, Springerstiefel und die erste rechte Gruppe - die „Bomber-Gang”. Zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr machte Matthias Adrian eine kurze politische Pause, stieß 1996 aber auf die NPD. Schnell stieg er dort in den hessischen Landesvorstand auf, hatte die Partei aber schon nach zweieinhalb Jahren satt. Er erlebte stumpfe Schlägertypen und korrupte Alkoholiker in den Führungspositionen. „Ausgerechnet die angeblich antikapitalistische Partei lässt ihre ,Deutsche Stimme' im Billiglohnland Litauen drucken”, erzählte Adrian. Rechte Propaganda sei für viele eben auch eine riesengroße Einnahmequelle.

In der Folge befasste er sich immer intensiver mit der rechten Ideologie und entlarvte sie schließlich als komplett weltfremd. Heute arbeitet er beim Projekt „Exit-Deutschland”, das Aussteigern bei der Rückkehr in die Gesellschaft hilft und sie vor ihren ehemaligen Kameraden schützt. Dass dies besonders wichtig ist, weiß Matthias Adrian genau. Auch gestern an der Gesamtschule mussten Sicherheitsleute die Eingänge bewachen.