Eilpe. Der kleine Vulkan droht auszubrechen. Annelies ist hingefallen und schluchzt mit schnell steigender Lautstärke. Gut, dass ihre Mutter Jessica da ist. Sie nimmt ihre Tochter liebevoll auf den Arm, und schnell kehrt das Strahlen in Annelies' Augen zurück.
Noch besser ist, dass auch Gabi Brkowski da ist. Denn das junge Familienglück braucht noch dringend Unterstützung.
Gerade hat Jessica ihre Annelies aus dem Kindergarten geholt. „Jeden Morgen frühstücken wir erst gemeinsam mit den anderen Bewohnerinnen, und dann mache ich den Haushalt”, erzählt sie mit leiser Stimme. Die zierliche Frau mit den großen dunklen Augen wirkt viel jünger als die 23 Jahre, die sie alt ist. „Nachmittags lege ich Annelies erst schlafen, und später gehen wir dann spazieren.”
Tagesstruktur - das müssen Annelies und ihre Mitbewohnerinnen erst noch lernen. „Wir holen hier nach, was die Eltern versäumt haben”, sagt Gabi Brkowski, die die betreute Wohngruppe Elise für junge Mädchen und Mütter in Eilpe leitet. Hier werden zehn Mädchen zwischen 14 und 27 Jahren betreut - vier davon sind Mütter. „Mehr geht nicht”, betont Brkowski. „Zuletzt sind so viele Fälle aufgedeckt worden, in denen das Kindeswohl gefährdet war, dass Betreuungsplätzen Mangelware sind.” In Hagen gibt es neben der Wohngruppe Elise, die zum diakonischen Kinderdorf Weißenstein gehört, auch noch eine Betreuung für junge Mütter im Kinderheim Selbecke.
Die verbindlichen Regeln und Zeitabläufe sorgen in der Frauen-WG oft auch für Zoff. Daran hat sich Jessica gewöhnt. Sie schaut eher auf die Chancen, die der ständige Kontakt mit Gleichaltrigen für sie birgt. „Wir gehen gerne mal ins Café, ins Kino oder in die Disco.” Alles Dinge, die sie früher nie durfte. Der türkische Vater verbot ihr selbst Schwimmbadbesuche, die deutsche Mutter war keine große Hilfe. „Bei meinem Papa stand ich an letzter Stelle”, flüstert Jessica. Also zog sie mit 19 aus, aber in der Selbstständigkeit kam sie nicht zurecht. Zwei Jahre später wurde sie schwanger, und im Mai 2007 zog sie ins Haus Elise. „Ich hatte eine schlechte Kindheit und wollte nicht, dass es meiner Tochter genauso ergeht.”
Viele der jungen Mütter in der Wohngruppe haben einen gesetzlichen Betreuer. Einige, so auch Jessica, haben Handicaps und benötigen aufgrund ihrer belastenden Vorgeschichte Hilfen. Dass sie schwanger werden, liegt manchmal an leichtsinniger Verhütung, oft aber auch an einem Kinderwunsch. „Sie wollen ihren Freund an sich binden oder eine Perspektive haben”, erklärt Brkowski. Jessica ist immer noch mit dem Vater ihrer Tochter, den sie aus der Laurentius-Werkstatt für behinderte Menschen kennt, zusammen. Ihr Traum ist, in eineinhalb Jahren mit ihm zusammenzuziehen. Meist würden die jungen Frauen lieber gleich in einer eigenen Wohnung leben, haben aber mit dem Jugendamt abgesprochen, im Sinne der Kinder erst einmal in einer Einrichtung zu leben.
„Wir üben den Sprung in die Selbstständigkeit”, sagt Brkowski, „aber manchmal müssen doch andere Wege gewählt werden.” Seit 15 Jahren betreut die Diplom-Sozialpädagogin Mädchen. In der WG Elise arbeitet sie mit fünf weiteren pädagogischen Kräften und einer Familienpflegerin zusammen - auch nachts ist immer jemand präsent.
„Die Arbeit mit den oft schwierigen Mädchen ist nervenaufreibend”, gibt Brkowski zu. Aber Geschichten wie die eines Mädchens, das bei ihren Eltern zwei Jahre verwahrloste, dann zu Pflegeeltern kam, in der Pubertät in einer Mädchen-WG wohnte und dann schwanger wurde, machen Mut. „Sie kommt heute zurecht”, erzählt Brkowski. Auch weil sie immer noch ein Haushaltsbuch führt - so wie sie es damals in der Mädchen-WG gelernt hat.