Hagen. . Warum sind Weihnachtslieder oft Wiegenlieder? Was bedeutet „eia“? Das verraten wir zum Start unseres Liederprojektes zum Advent. Singen Sie mit!
- Singen Sie mit!
- Wir stellen jeden Tag ein neues Adventslied vor
- Im Internet bieten wir Notenblätter und Audiodateien
Einen Säugling zu beruhigen, das funktioniert in allen Kulturen gleich. Man bewegt das Baby auf dem Arm hin und her oder schaukelt es in einem Korb und summt ihm dabei beruhigende Laute zu. Das nennt man wiegen oder lullen (engl. lullaby: Schlaflied). Es gibt eine wissenschaftliche Theorie, dass der menschliche Spracherwerb überhaupt erst aus dem Wiegen von Neugeborenen entstanden ist. Sein Rhythmus wird zur Wurzel der Musik und das Summen zur Quelle des Singens.
Weil diese Erfahrung so interkulturell ist, gehört das Wiegenlied zu den Ur-Formen des Singens. Und was liegt näher, als die Geburt im Stall von Bethlehem mit besonderen Liedern zu feiern. Denn eine Frau, die unter dramatischen Umständen gebären muss und ein armes Paar, das in einer Notlage auf den geringsten Komfort für sein Baby zu verzichten hat: Mit dieser Situation konnten und können sich viele Familien identifizieren. In unzähligen Liedern wird dieses Bild ausgemalt; die weihnachtlichen Wiegenlieder gehören zu den ältesten und schönsten Weihnachtsliedern, die wir haben.
Typische Lautmalereien
Ein weihnachtliches Wiegenlied ist nicht nur an seinem typischen wiegenden Rhythmus zu erkennen, sondern vor allem an den sogenannten Schallworten, also Lautmalereien. Eia gehört dazu, susani und schum, schei.
„Vom Himmel hoch, o Engel kommt“ beschreibt die Situation in einfachen Bildern. Die Engel vom Himmel werden gerufen, um das göttliche Kind auf der Erde in den Schlummer zu singen. Autor ist der Jesuit, Dichter und Schriftsteller Friedrich Spee (1591–1635). Das Lied entstammt der Tradition des Kindelwiegens, bei dem ein Christkindlein aus Wachs in einer kleinen Krippe geschaukelt wurde. Der Brauch kam zuerst in Frauenklöstern auf; er gilt als Vorläufer der Krippenspiele und der Weihnachtskrippe.
Liederprojekt macht das Singen ganz leicht
Das crossmediale Liederprojekt ist eine Initiative des Carus-Verlags und unserer Zeitung sowie weiterer Medien. Ziel ist es, Familien, Kindergärten und Grundschulen wieder zum gemeinsamen Singen zu motivieren. Das geht mit dem Liederprojekt ganz leicht. Denn wir stellen täglich ein neues Adventslied in der Zeitung vor. Im Internet kann man das Notenblatt herunterladen oder ausdrucken. Dazu gibt es zwei Audiodateien: eine Mitsingversion für alle, die ein bisschen Unterstützung beim Rhythmus und richtigen Ton brauchen. Und eine gesungene Fassung für diejenigen, die das Lied nicht kennen oder sich noch nicht trauen, einfach so drauflos zu singen.
Der Refrain kombiniert mit „eia“ und „susani“ zwei typische Wiegenlaute. „Susani“ geht zurück auf das alte Wort „Susen“ für Summen, leise Singen“, und „Ninne“ ist ein alter Begriff für „kleines Kind“. „Susani“ ist folglich der zärtliche einlullende Singsang einer Mutter oder Amme. In alten Wörterbüchern findet man noch den Begriff „Susaninne“ für Wiegenlied.
„Eia“ ist ein lateinischer Ausruf der Verwunderung mit der ursprünglichen Bedeutung „auf“ oder „los“. Heute würde man den Laut mit einem freudigen „Schau mal, da bist du ja!“ übersetzen. Damit man „e-ia“ spricht und nicht „eia“, ist im Gotteslob die Schreibweise „eja“ gewählt worden. „Eia“ ist eine sehr häufige Wendung im Wiegenlied. Sie spricht das Kind direkt an und vermittelt ihm, wie einzigartig und wunderbar es ist. („Eia popeia, was raschelt im Stroh“; übrigens: Die Textvariante „Suse, liebe Suse, was raschelt im Stroh“ bezieht sich nicht auf den Mädchennamen Suse, sondern auf das oben erwähnte Susen für Summen).
Das schönste aller weihnachtlichen Wiegenlieder ist „Zu Bethlehem geboren“. Auch sein Text wird Friedrich Spee zugeschrieben. Darin verweist nur das „eia“ noch auf die Wiegenlied-Tradition, der Inhalt verwandelt die Geburtsszene in einen Andachts-Anlass, in den sich der Sänger versenkt.
Familienalltag bei armen Leuten
Näher am typischen Familienalltag bei armen Leuten ist hingegen das schlesische „Auf dem Berge, da gehet der Wind“, das ebenfalls uralt ist. Maria muss die Wiege mühsam mit der Hand schaukeln, weil sie zu arm ist, um ein Wiegenband zu besitzen, an dem sie bequem ziehen könnte. Josef kann ihr bei dieser anstrengenden Tätigkeit nicht helfen, weil er seine Finger nicht bewegen kann. Daraus kann man auf die Kälte schließen, die der Wind mit sich bringt oder aber darauf, dass das harte Handwerkerdasein die Gelenke des Zimmermanns bereits verschlissen oder mit Krankheiten wie Arthrose gezeichnet hat. Interessant ist nun der Refrain „schum, schei“ am Schluss. Denn er malt das Geräusch nach, das die Wiege beim Schaukeln macht.
Wenn man nach der Lebenswirklichkeit früherer Jahrhunderte fragt, gibt es kaum ehrlichere Zeugen als weihnachtliche Wiegenlieder. Sie verraten viel über Alltag und gelebte Frömmigkeit. Immer noch begrüßen wir Babys mit einem zärtlichen „ei, ei“, und immer noch wiegen Mütter in allen Kulturen sie in den Schlaf, oft bang darum, ob der nächste Tag Wärme, Sicherheit und Nahrung für das Kleine bereithält.
>>> Verlosungsaktion
Eine Verlosung hat schon Tradition bei unserem crossmedialen Liederprojekt im Advent. So können unsere Leser jetzt fünfmal das große Weihnachtsliederbuch aus dem Carus-Verlag gewinnen. Der von dem Künstler Frank Walka prachtvoll illustrierte Band bietet eine Auswahl von 80 Liedern zum Advent und zu Weihnachten. Dabei handelt es sich um richtige Lieblingslieder, die in keiner Familie fehlen sollten. Eine Mitsing-CD ermöglicht es auch denen mitzusingen, die sich sonst nicht trauen oder die vergessen haben, wie die Melodie geht. Wer ein Weihnachtsliederbuch gewinnen möchte, muss zunächst eine kleine Aufgabe lösen. Wir möchten von unseren Lesern wissen, was ihr Lieblings-Weihnachtslied ist. Den Titel per Mail einsenden:
kultur@westfalenpost.de
Einsendeschluss ist der 10. Dezember. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen