Hagen. . 48 Anträge gibt es seit dem 1. Januar, im gesamten vergangenen Jahr waren es nur 60: In Hagen gibt es einen ungewöhnlichen Ansturm auf den Waffenschein für Gas- und Schreckschusspistolen.

  • Großer Anstum in Hagen auf Waffenschein für Gas- und Schreckschusspistolen.
  • Seit 1. Januar 48 Anträge, im gesamten vergangenen Jahr waren es nur 60.
  • Auch Waffenhändler verzeichnet erheblich größere Nachfrage.

Es ist ein extremer Anstieg: 48 Frauen und Männer haben seit dem 1. Januar bei der Polizei in Hagen einen so genannten „kleinen Waffenschein“ für Gas- oder Schreckschusswaffen beantragt. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2015 gab es 60 Anträge. Geht es so weiter, dann wird diese Zahl in wenigen Tagen erreicht sein.

50 bis 60 Schreckschusspistolen seit Jahresbeginn

„Keiner der Kollegen kann sich erinnern, dass es schon einmal so einen deutlichen Anstieg binnen weniger Tage gegeben hat“, sagt Polizeisprecher Tino Schäfer. Und auch Willi Becker, der in seinem Geschäft „Waffen-Becker“ unter anderem Schreckschusswaffen und Pfefferspray verkauft, hat in mehr als 40 Jahren noch nicht solch eine Nachfrage erlebt: „Wir haben seit Jahresbeginn etwa 50 bis 60 Schreckschusspistolen verkauft.“ Hinzu kämen täglich 10 bis 15 Dosen Pfefferspray. Becker: „Zu uns kommen auch Kunden aus Hamm oder Unna. Weil wir noch Waren haben. Woanders ist schon alles ausverkauft.“

Willi Becker mit Schreckschusspistolen: Der Hagener Händler vom Märkischen Ring verzeichnet in diesen Tagen eine Nachfrage wie er sie in 40 Jahren nicht erlebt hat.
Willi Becker mit Schreckschusspistolen: Der Hagener Händler vom Märkischen Ring verzeichnet in diesen Tagen eine Nachfrage wie er sie in 40 Jahren nicht erlebt hat. © WP

Ist es der Köln-Effekt? Verunsichern die massenhaften Übergriffe auf Frauen vor dem Hauptbahnhof in der Silvesternacht auch die Menschen in Hagen derart? Polizeisprecher Schäfer will nicht spekulieren: „Die Anträge werden schriftlich eingereicht, wir befragen die Bürger nicht.“ Und auch Willi Becker will nicht die gerade Linie zu Köln ziehen: „Die verstärkte Nachfrage hat schon vor Silvester begonnen.“ Doch er und seine Mitarbeiter treffen auf viele Kunden mit Gesprächsbedarf: „Die einen berichten, dass sie tatsächlich schon Bedrohungssituationen erlebt haben. Andere haben Angst, dass ihnen etwas geschehen könnte.“

Angst nach Köln

Derzeit keine Privatperson mit Erlaubnis für scharfe Waffe

944 gültige „kleine Waffenscheine“ für Gas- und Schreckschusswaffen gibt es derzeit in Hagen.

Kein vollwertiger Waffenschein ist aktuell in Hagen im Umlauf. Dies ist die Erlaubnis für das Führen von scharfen Waffen. Hierfür muss unter anderem die Notwendigkeit nachgewiesen werden, solch eine Waffe führen zu müssen. Die Voraussetzungen erfüllt derzeit in Hagen keine Privatperson.

588 Waffenbesitzkarten hat die Polizei an Jäger in Hagen ausgegeben. Wer bei der Untern Jagdbehörde mit Jagdschein registriert ist, darf Munition kaufen und eine Waffe besitzen. Die darf nur bei der Jagd und auf dem Weg dorthin mitgeführt werden und muss vor Dritten geschützt werden.

Ganz genau können dagegen zwei Frauen ihre Motivation benennen. Dana Kistner (28) und Daniela Rau (28) fragten gestern bei „Waffen Becker“ nach Elektroschockern – zunächst erfolglos, denn die sind derzeit ausverkauft. „Nein, ich habe persönlich noch keine Bedrohungssituation erfahren“, sagte Dana Kistner. „Aber man fühlt sich total unsicher nach allem, was in Köln passiert ist.“ Dabei habe sie keine generellen Vorbehalte gegen Ausländer. Und doch ein Gefühl der Angst. Und Daniela Rau ergänzt: „Ich will einen Elektroschocker, weil ich mir nicht die Freiheit nehmen lasse, dorthin zu gehen, wo ich will.“

Die Polizei sieht den Selbstschutz mit Schreckschusswaffen und Co. kritisch. Es bestehe die Gefahr, dass man sich durch eine falsche Bedienung der Waffe selbst schädige. Oder aber dass sie gegen einen selbst eingesetzt werde, wenn der Angreifer sie erbeute. „Und wenn eine Gaspistole etwa in Kopfnähe eingesetzt wird, dann kann sie schon zu erheblichen Verletzungen führen“, so Sprecher Tino Schäfer. „ Dann kann das Opfer selbst zum Täter werden.“

Dana Kistner (28) und Daniela Rau (34) wollen sich einen Elektroschocker kaufen. Sie haben nach den Vorfällen von Köln Angst.
Dana Kistner (28) und Daniela Rau (34) wollen sich einen Elektroschocker kaufen. Sie haben nach den Vorfällen von Köln Angst. © WP

Besser sei es, wann immer es gehe, belebte Plätz anzusteuern. „Viel effektiver ist der sofortige Griff zum Handy“, so Schäfer. „Wenn ein Angreifer fürchtet, dass die Polizei gerufen wird, flüchtet er eher.“ Auch Handtaschen-Alarmgeräte seien zu empfehlen: „Die machen einen ohrenbetäubenden Lärm, versunsichern so den Angreifer. Und sie machen andere auf die Notsituation aufmerksam.“ Willi Becker dagegen kann schon – nicht allein aus Geschäftsinteresse – die verstärkte Nachfrage nach Schreckschusspistolen verstehen: „Natürlich steigern sie das subjektive Sicherheitsgefühl.“

Keine hohen Hürden

Die Hürden sind auch nicht sehr hoch. Der „kleine Waffenschein“ ist immer nötig, wenn man die Schreckschuss- oder Gaswaffe außerhalb der Wohnung oder des Grundstücks führt. Ein Sachkundenachweis ist nicht erforderlich. Die Voraussetzungen, die die Polizei verlangt, sind lediglich: Der Bewerber muss volljährig, nicht vorbestraft und nicht drogen- oder alkoholabhängig sein. Er muss zude, körperlich und geistig geeignet sein, das heißt, er darf zum Beispiel nicht unter gesetzlicher Betreuung stehen. Ist das alles erfüllt, dann erteilt die Polizei den Waffenschein.

Übrigens: Die 48 Antragsteller sind zu etwa zwei Dritteln Männer und nur zu einem Drittel Frauen.