Hagen. Müllfahrzeuge dürfen nach Ansicht der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen – dem Versicherer der kommunalen Unternehmen – nicht rückwärts fahren. Das hat Folgen in Hagen.
- Müllwagen dürfen nicht rückwärts fahren
- Unfallkasse weist auf Vorschrift von 1979 hin
- HEB will in Hagen jede Straße prüfen
Wer in Hagen in einer Straße wohnt, in der der Müllwagen nicht wenden kann, muss bald eventuell seine Mülltonne selbst bis zur nächsten Straßenecke rollen. Denn: Müllfahrzeuge dürfen nach Ansicht der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen – dem Versicherer der kommunalen Unternehmen – generell nicht rückwärts fahren. Das ist dem Hagener Entsorgungsbetrieb (HEB) mitgeteilt worden – so wie allen anderen Entsorgungsbetrieben in NRW auch. Die Folge: Beim HEB wird jetzt für jede einzelne Straße geprüft, ob es Alternativen gibt. „Wir stecken noch mitten drin“, so HEB-Sprecherin Jacqueline Jagusch. „Aber für uns ist das ein großes Thema. Es gibt in Hagen sehr viele Straßen, in die wir nur rückwärts fahren können.“
Bei dem städtischen Tochterunternehmen herrscht Unverständnis. Denn: Die Unfallverhütungsvorschrift, auf sie sich die Unfallkasse NRW bezieht, stammt schon aus dem Jahr 1979. Demnach darf Müll nur abgeholt werden, „wenn ein Rückwärtsfahren nicht erforderlich ist“. Trotzdem ist mehr als 35 Jahre lang rückwärts gefahren worden. Und inzwischen auch mit weit mehr Sicherheitsvorkehrungen.
„Bei uns gibt es immer einen, meist sogar zwei Einweiser, die neben dem Müllfahrzeug hergehen“, so Jacqueline Jagusch. „Zudem ertönt ein lauter Piepton. Und alle Fahrzeuge sind nun auch mit einer Kamera ausgestattet, mit der der Fahrer den rückwärtigen Raum kontrollieren kann.“ Zumindest beim HEB ist in jüngster Zeit auch nichts passiert. „Im vergangenen Jahrzehnt hatten wir mit unseren Müllwagen keinen Unfall mit Personenschaden.“
Sind die Ratschläge der Unfallkasse unrealistisch?
Doch die Unfallkasse bleibt hart: „Die Beachtung der Vorschrift ist eine Verpflichtung für die Entsorgungsunternehmen. Ein Verstoß erfüllt den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit“, so Sprecher Thomas Plicht. „Auch Kommunen sind verpflichtet, die Unfallverhütungsvorschrift bei der Planung und beim Bau von Straßen zu beachten.“
Aber warum wird gerade jetzt so vehement auf die mehr als 35 Jahre alte Vorschrift hingewiesen, die auch in Nachbarstädten wie Dortmund und Ennepetal für Aufregung sorgt? Der Bundesverband der Unfallkasse arbeitet gerade an neuen Branchenregeln für die Müllabfuhr. Damit, so Plicht, seien bei den Entsorgungsunternehmen wohl „offensichtliche Versäumnisse der Vergangenheit“ deutlich geworden. Die Unfallkasse führt Erhebungen aus den Jahren 2008/09 an. Demnach sind 30 Beschäftigte der Müllabfuhr im Dienst verletzt worden, sechs davon als Einweiser. Zudem: Vergangenes Jahr sei in Wuppertal ein Passant durch ein rückwärts fahrendes Müllfahrzeug getötet worden.
Natürlich müsse jeder Unfall verhindert werden, so HEB-Sprecherin Jagusch: „Aber alles muss verhältnismäßig sein.“ Beim HEB hält man vor allem die Ratschläge der Unfallkasse für unrealistisch. Die empfiehlt, dass im Zweifelsfall kleinere Müllwagen eingesetzt werden sollten. Oder Mitarbeiter des Entsorgers sollten zu Fuß die Tonnen bis zur nächsten Straße rollen.
Regressforderungen drohen
Die HEB-Sprecherin entgegnet: „Wir haben neben unseren 20 großen Müllfahrzeugen bereits fünf Mini-Müllwagen im Einsatz – aber auch damit können wir mancherorts das Rückwärtsfahren nicht verhindern. Und einen Hol-Service kann man vielleicht machen – aber der muss dann über Gebühren finanziert werden.“ Im Zweifel wird der Bürger also selbst die Tonne zur Straßenecke bringen müssen.
Hält sich der HEB nicht an das Rückwärtsfahrverbot der Unfallkasse, dann droht finanzieller Schaden: „Bei einem Unfall wären die Mitarbeiter natürlich weiter versichert“, so Thomas Plicht. „Aber wir würden im Zweifel den Entsorgungsbetrieb in Regress nehmen.“