Hagen. . Die Flüchtlingswelle löst nicht bloß Hilfsbereitschaft aus. Bei vielen Bürgern wachsen damit auch Ängste. Kirchen und Gewerkschaften mahnen zu Fingenspitzengefühl.

  • Die Flüchtlingswelle löst nicht bloß Hilfsbereitschaft aus
  • Bei vielen Bürgern wachsen damit auch Ängste
  • Kirchen und Gewerkschaften mahnen zu Fingenspitzengefühl

Traditionell heben sie zur Weihnachtszeit mahnend ihre Finger – soziale Gerechtigkeit für alle Menschen in Hagen lautet ihr großes Dauerthema. Doch durch die Flüchtlingswelle, die über diese Stadt anhaltend hinweg schwappt, kommt die Allianz aus evangelischem Kirchenkreis, Dekanat Hagen/Witten sowie DGB zu der bedenkenswerten Zwischenbilanz: „Im auslaufenden Jahr bestimmen Sorgen und Verunsicherung auch das Denken vieler Menschen in unserer Stadt.“

„In unserem Kampf gegen Armut, Ausgrenzung und für soziale Gerechtigkeit ist durch die Flüchtlinge und Zuwanderung aus EU-Ländern eine ganz neue Nuance hinzugekommen“, weiß DGB-Stadtverbandschef Jochen Marquardt um die völlig neue Herausforderung. „Für uns ist die Aufnahme der Flüchtlinge ein notwendiger Schritt, um barmherzige und solidarische Hilfe zu leisten und wir sind aufgerufen, den Menschen Wege in unsere Stadtgesellschaft und in unsere Lebens- und Arbeitswelt zu eröffnen“, heißt es daher im „Mahnwort“ des Bündnisses. Pfarrer Dieter Aufenanger treibt dabei vor allem die Sorge um, dass durch die Fokussierung auf die Flüchtlinge das normale Klientel der Bedürftigen in den Hintergrund rückt: „Wir müssen darauf achten, dass die Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir dürfen nicht den Blick auf die Menschen verlieren, die heute schon auf den Straßen unterwegs sind.“ Dafür bedürfe es der hauptamtlichen Begleitung für das Ehrenamt, fordert Aufenanger feste Strukturen ein.

Aufnahmekultur eingefordert

Für Superintendentin Verena Schmidt steht außer Frage, dass der Druck bei den Flüchtlingen in den großen Sammelunterkünften ohne jegliche Privatsphäre besonders groß ist: „Das sind zum Teil erschreckende Zustände.“ Gleichzeitig wirbt die Spitzenvertreterin der evangelischen Kirche dafür, nicht gleich Neiddebatten aufkeimen zu lassen, nur weil ein Flüchtling ein Handy in den Händen hält: „Das ist doch heute kein Luxusgegenstand mehr, sondern vor allem die einzige Verbindung in die Heimat.“

Niemand, der bereits in den deutschen Sozialsystemen stecke, müsse fürchten, aufgrund der Flüchtlings- und Zuwanderungsbewegungen auf irgendetwas verzichten zu müssen. Stattdessen gehe es um Respekt und Toleranz gegenüber den anderen. Dies lasse sich nur durch direkten Kontakt entwickeln, schildert Verena Schmidt ihre persönlichen Erfahrungen. Nur so lasse sich die schwindende Stimmung der Hilfsbereitschaft erhalten und konservieren.

Suppenküchen nicht als Konzept akzeptieren

Das Mahnwort der beiden christlichen Kirchen sowie der Gewerkschaften findet deutliche Worte: „Es kann und darf nicht sein, in einem der reichsten Länder der Welt die hilfreichen Einrichtungen von Suppenküchen und solidarischer Unterstützung für immer mehr Menschen als unumgänglichen Pfad der Lebenssicherung zu manifestieren und noch viel weniger, dies als alternativlos zu akzeptieren. Gemeinsam sind alle Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft, Kirche und auch Stadtgesellschaft aufgerufen, Möglichkeiten aufzuzeigen, die allen Menschen helfen, ihr Leben mit guter Bildung, in guter Arbeit und unter sozial gerechten Bedingungen zu organisieren.“

„An den Fragen der gesellschaftlichen und beruflichen Eingliederung wird sich entscheiden, ob wir uns als Aufnahmegesellschaft bewähren“, erinnert DGB-Chef Marquardt daran, dass es eben nicht bloß um sauber und satt gehe. „Wir müssen mit den Menschen Lösungen suchen und ihnen nicht unsere Ideen überstülpen“, ist es für ihn eine Selbstverständlichkeit, den Flüchtlingen ihre Geschichte und Kultur zu bewahren. Das Bündnis schaut mit dem gleichen Augenmaß aber auch auf die Emotionswelt der Hagener: „Wir wissen, dass diese Veränderungen zu Ängsten und Verunsicherungen bei unseren Bürgern führen“, heißt es daher in dem Mahnwort. „Wir müssen die Sorgen vieler Menschen ernst nehmen und sind aufgerufen, zu lernen, damit umzugehen, um fremdenfeindlichen und rassistischen Entwicklungen entgegen zu treten. Wir dürfen und wollen nicht zulassen, dass aus den Unsicherheiten soziale Auseinandersetzungen entstehen, die Konkurrenzen hervorrufen und befördern.“