Hagen. . Mormonen sind keine Bigamisten. Im Gegenteil: Wenn ein Mann sich mehr als eine Frau nehmen würde, hätte das seinen sofortigen Ausschluss aus der Gemeinde zur Folge.

Hagen ist Bischofssitz. Der Bischof ist gerade mal 32 Jahre alt und Volljurist. Er ist auf der Suche nach einem Job. Denn Bischof ist Markus Kleinert im Ehrenamt. Seine Gemeinde ist klein, sie zählt gerade einmal 170 Gläubige, sie wächst langsam, aber beständig. Kleinert ist Bischof der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage, besser bekannt als Kirche der Mormonen. „Bischof zu sein bedeutet schlicht, Leiter der Gemeinde zu sein“, erklärt er sein Amt.

Um es gleich vorweg zu sagen: Mormonen sind keine Bigamisten. Im Gegenteil: Wenn ein Mann sich mehr als eine Frau nehmen würde, hätte das seinen sofortigen Ausschluss aus der Gemeinde zur Folge. Obwohl die Mehrfachehe seit 1890 strikt untersagt ist, hat dieses Vorurteil dank einiger Splittergruppen im Westen der USA, die weiterhin polygam leben, bis heute überdauert. Bei den Hagener Mormonen ruft die Frage nach ihrer Einstellung zur Vielehe denn auch eher peinliche Betroffenheit bzw. Belustigung hervor. „Wir haben schon erwartet, dass dieses Thema zur Sprache kommt“, so Hohepriester Wolfgang Hiemer (61): „Obwohl es für uns eigentlich gar kein Thema ist. Wer mehrfach heiratet, würde sogleich exkommuniziert.“

Die Entstehung der mormonischen Gemeinschaft

Das war, wie gesagt, einmal anders, und damit kommen wir zur Entstehung der mormonischen Gemeinschaft, die eng verbunden ist mit der Entwicklung der USA und der Besiedlung des Wilden Westens. In den 20-er Jahren des 19. Jahrhunderts behauptete der Farmersohn Joseph Smith, ihm sei ein Engel erschienen und habe ihn zu einem aus Goldplatten gefertigten, in einem Hügel aufbewahrten Buch geführt. Angeblich übersetzte Smith den später als Buch Mormon (einer der Propheten, die die Schrift hunderte Jahre zuvor verfasst haben sollen) bekannt gewordenen Text aus dem Altägyptischen ins Englische und gründete die Kirche Jesu Christi.

Mal abgesehen von seinem theologischen Inhalt erzählt das Buch Mormon eine uramerikanische Geschichte: „Es fängt an mit einer Familie, die aus Jerusalem flieht und nach Amerika wandert – lange vor Jesu Geburt“, fasst Bischof Kleinert zusammen. Jesus selbst soll dann nach seiner Kreuzigung und Auferstehung den Nachkommen jener Auswanderer erschienen sein und ihnen seine Wunden gezeigt haben.

Nach Gottes Gefallen

Die Mormonen glauben, dass sich die Kirche nach dem Tode Jesu und der Apostel im stetigen Niedergang befunden habe. Erst in der Person von Joseph Smith sei erstmals wieder ein Prophet auf der Erde aufgetreten und habe eine Kirche nach Gottes Gefallen gegründet – in Amerika, dem Gelobten Land. Doch mancher Glaubenssatz ihres Führers, vor allem eben die von Smith eifrig praktizierte Vielehe, rief heftige Konflikte innerhalb der mormonischen Gemeinschaft selbst sowie mit anderen Teilen der Gesellschaft hervor. Nachdem der Prophet von einer aufgebrachten Menge gelyncht worden war, führte sein Nachfolger Brigham Young als eine Art „moderner Moses“ die Mehrheit der Mormonen in einem legendären Marsch über die Rocky Mountains in den heutigen Bundesstaat Utah, wo sie sich am Großen Salzsee niederließen und das öde, ausgestorbene Gebiet mit Fleiß und Hingabe in eine blühende Landschaft verwandelten.

Missionszeit im Ausland

Es verwundert also nicht, dass alle bisherigen 14 Propheten, die in der Nachfolge von Smith und Young an die Spitze der Mormonenkirche gelangten, US-Amerikaner waren. Doch gehört es inzwischen zu den vornehmsten Aufgaben junger Kirchenmitglieder, als Missionare die Welt zu bereisen. Auf knapp 15 Millionen Gläubige ist die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage dadurch angewachsen. Auch Bischof Kleinert weilte einst zwei Jahre lang im moslemisch geprägten Indonesien, um für seinen Glauben zu werben: „Und derzeit sind sieben Mitglieder unserer Gemeinde in aller Welt unterwegs.“

Doch die Mormonen in der Volme­stadt sind keine Fundamentalisten. Gott liebe alle Menschen gleichermaßen, verneint Kleinert ein exklusives Recht auf das ewige Leben für Mitglieder seiner Kirche. Die Mormonen fühlen sich als Gemeinschaft, in der jeder für jeden da ist. Sonntags treffen sich regelmäßig 90 Gläubige im 1985 errichteten Gemeindehaus an der Kreishausstraße, um über das Evangelium und Herausforderungen des Alltags zu sprechen sowie das Abendmahl mit Brot und Wasser zu feiern.

Grundsätzlich kein Alkohol

Mormonen trinken grundsätzlich keinen Alkohol, eine eherne Glaubensregel. Anders als in anderen christlichen Kirchen steht kein Priester hinter dem Altar und predigt oder spricht Gebete, sondern jeder Gläubige kann, wenn er denn mag, das Wort ergreifen und sagen, „was ihm auf dem Herzen liegt“, so Wolfgang Hiemer.

Intensive Ahnenforschung

Die Mormonen betreiben das größte genealogische Archiv der Welt. Das geschieht allerdings nicht aus Spaß an der Freud’, sondern hat einen religiösen Hintergrund. Hinter der intensiven Vorfahren-Suche steckt der Glaube, dass heilige Handlungen stellvertretend für verstorbene Angehörige vorgenommen werden können. So kann man sich beispielsweise für einen Vorfahr aus dem eigenen Stammbaum taufen lassen.

Der pensionierte Polizist fungiert als Hohepriester in der Hagener Gemeinde, wobei ein Priesteramt jeder Gläubige, der sich dessen als würdig erweist, ausüben kann. Hiemers Eltern hatten sich seinerzeit im Hengsteysee taufen lassen, er selbst wurde 1962 im Saunabecken des Hasper Stadtbades getauft. Seitdem die Mormonen über ihr eigenes Gemeindezentrum verfügen, findet auch die Taufe im dort eigens eingerichteten Becken statt. „Der Täufling trägt weiße Kleidung und wird ganz untergetaucht“, beschreibt Hiemer die Zeremonie: „Allerdings praktizieren wir die Erwachsenentaufe.“ Denn Taufe, fährt Hiemer fort, habe ja mit Umkehr zu tun, die Taufe eines Säuglings, der ein reines Wesen und frei von Sünde sei, widerspreche der christlichen Lehre.

Zweifel und Entscheidung

Im Religionsunterricht habe er sich früher oft gefragt, ob denn all jenes, was ihm seine Eltern beibrächten, richtig sei, berichtet Hiemer, der in seiner Klasse selbstredend der einzige Mormone war. Er begann an seinem Glauben zu zweifeln, die Hänseleien und Witze seiner Kameraden verunsicherten ihn: „Irgendwann musste ich mich entscheiden. Sie sehen, ich habe mich für meinen Glauben entschieden.“