Hagen. Dr. Sultan Yalciner ist Ärztin und gläubige Muslima. Ihre Geschichte zeigt, wie das zusammenpasst – und wie aus der Hauptschülerin eine Ärztin wurde.

Sie gibt zur Begrüßung nicht die Hand. Ist das unhöflich? Nein, für Dr. med Sultan Yalciner ist es ein Teil ihres Glaubensverständnisses. Eine Frau solle einem heiratsfähigen Mann nicht die Hand geben, leitet sie aus den Worten des Propheten Mohammed ab. Die mündliche Begrüßung der 51-Jährigen ist dafür umso herzlicher. Zu erzählen hat sie eine Geschichte vom Ausleben des islamischen Glaubens in Hagen, aber auch eine Aufsteigergeschichte vom Kind einer türkischen Arbeiterfamilie zur Allgemeinmedizinerin mit Doktor-Titel. Und davon, wie beides unter einen Hut passt.

Sultan Yalciner trägt Kopftuch seit ihrem 14. Lebensjahr. Für sie war es eine Selbstverständlichkeit. Und in ihrem Beruf ist es für ihr Umfeld zu einer Selbstverständlichkeit geworden. „Ich bin damit auch im Notarztwagen gefahren und alle meine Chefs im Krankenhaus haben es akzeptiert“, erinnert sich Sultan Yalciner. Dass eine gläubige Frau Kopftuch trägt, kennt sie auch von Kindesbeinen an. Sie kommt aus einer religiösen Familie. „Meine Eltern haben fünf Mal am Tag gebetet.“ Und natürlich trägt die Mutter ein Kopftuch.

Von Hauptschülerin zur Ärztin

Geboren ist die heute 51-Jährige in einem Dorf in der Türkei. Der Vater ist Hirte, sucht Ende der 1960er Jahre sein Glück als Gastarbeiter in Deutschland und holt 1970 auch seine Frau und seine Kinder nach. Vorhalle wird die neue Heimat für Sultan Yalciner – und ist es auch bis heute geblieben. „Wir sind da sehr treu.“ Die Integration klappt schnell. „Meine fünf Geschwister und ich haben viel mit deutschen Kindern gespielt“, sagt sie. Sie besucht erst die Freiherr-vom-Stein-Schule, danach die Hauptschule. Dann kommt ein Einschnitt. Die Eltern schicken sie auf ein Internat in der Türkei – auch um sie religiös erziehen zu lassen.

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Doch sie bekommt dort schulische Probleme. „Ich bin wegen Geschichte hängengeblieben.“ Die Eltern holen sie zurück nach Deutschland. Und hier startet sie mit Umwegen ihre medizinische Karriere. Erst lernt Sultan Yalciner Arzthelferin, dann sattelt sie noch eine Ausbildung als Laborantin oben drauf. Und an der Abendschule holt sie ihr Abitur nach. Ihre Eltern unterstützen sie. Sie mögen islamisch-religiös sein, aber sie geben auch das deutsche Nachkriegszeit-Erziehungs-Ideal weiter: Die Kinder sollen es mal besser haben. Sie ermöglichen ihren Söhnen und Töchtern qualifizierte Ausbildungen.

Stolze Eltern

Sultan Yalciner studiert in den 1980er Jahren Medizin in Düsseldorf, promoviert, arbeitet später als Ärztin unter anderem am AKH, im Marienhospital und im Josefshospital. Sie fährt im Notarztwagen. Und schließlich wird sie im Jahr 2005 angestellte Ärztin in der Hausarztpraxis von Dr. Nahid M. Hakemi an der Eckeseyer Straße. Ihre Eltern – ihr Vater ist mittlerweile verstorben – haben diesen Weg mit großem Stolz verfolgt. Und Sultan Yalciner hat ihren Traumjob gefunden: „Ich bin unheimlich gerne Ärztin.“

Aus ihrem Glauben zieht sie Kraft für ihren Beruf. Die für einen gläubigen

Ein anderer Blick auf  Sultan Yalciner.
Ein anderer Blick auf Sultan Yalciner. © WP Michael Kleinrensing

Muslim vorgeschriebenen fünf Gebete integriert sie wie selbstverständlich in den Arbeitsalltag. „Das Mittagsgebet fällt zum Beispiel ohnehin in die Pause“, sagt Sultan Yalciner. „Und dann lege ich das Nachmittagsgebet zwischen zwei Patiententermine. Das bringt mir inneren Frieden“, sagt sie und lächelt: „Wenn ich gebetet habe, dann läuft die Arbeit danach auch schnell.“

Große Patienten-Bandbreite

Ihre Patienten, sagt sie, deckten die gesamte Bandbreite ab. Frauen, Männer, Muslime und Christen, Türken und Deutsche. Gibt es etwas, was sie als Ärztin wegen ihren Glaubens nicht machen darf? „Nein“, sagt Sultan Yalciner. „Natürlich bin ich verpflichtet, allen Patienten sämtliche medizinische Hilfe zu gewähren.“ Damit kommt sie zwar immer wieder mit dem Wortlaut des Korans in Konflikt. Etwa, wenn sie einen Mann körperlich untersuchen muss. „In dem Moment sündige ich. Aber als Ärztin darf ich das“, sagt Sultan Yalciner selbstbewusst.

Mit Kopftuch keine Benachteiligung erfahren

Knapp 45 Jahre lebt Sultan Yalciner als Muslima in Hagen. Negative Erfahrungen hat sie in dieser sehr langen Zeit nur sehr wenige gemacht. Sowohl in ihrem Beruf als auch in der Gesellschaft sei sie etwa wegen ihres Kopftuchs auf gar keinen Fall benachteiligt worden.

Der Stellenwert des Islams, so erinnert sie sich, habe sich indes in Hagen schon in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert. In ihrer Kindheit habe es eine Moschee in der Volmestadt gegeben: „Wir mussten als Kinder von Vorhalle bis in die Innenstadt fahren.“

Ihren männlichen Patienten gibt sie übrigens auch zur Begrüßung die Hand. Sie ist eine gläubige Muslima, wirkt mit in einem Koran-Leserkreis in deutscher Sprache, hält sich so gut es geht an alle Regeln – dogmatisch ist sie aber nicht. Dass ihre Praxis-Chefin, eine Iranerin, nicht sonderlich religiös ist, stört sie nicht. Ganz im Gegenteil sagt sie: „Ich habe eine sehr gute Chefin.“ Und auch familiär lässt die verheiratete, aber kinderlose Sultan Yalciner Toleranz walten. Ihr Mann ist zwar Muslim, aber kein sonderlich regelmäßiger Moschee-Gänger. „Ach, das könnte besser sein“, sagt sie und zeigt ihr herzliches Lächeln.