Bayreuth/Hagen. Neben Katharina Wagner ist Jan Philipp Gloger der jüngste Regisseur, der je bei den Bayreuther Festspielen inszeniert hat. Er schätzt die Chor-Arbeit.

Neben Katharina Wagner ist Jan Philipp Gloger der jüngste Regisseur, der je bei den Bayreuther Festspielen inszeniert hat. Nun läuft der „Fliegende Holländer“ des 34-Jährigen bereits im vierten Jahr und ist zum Publikumsliebling avanciert. Für den Theatermann aus Hagen bleibt die Werkstatt Bayreuth faszinierend – und die Arbeit mit den großen Chören, wie er sie in Richard Wagners Opern kennengelernt hat.

Sie haben als Schauspielregisseur angefangen und sind nun bekennender Opernfan. Was bedeutet die Arbeit mit Chören für Sie?

Jan Philipp Gloger: Im „Fliegenden Holländer“ zeigt uns der Chor die Gesellschaft, aus der sowohl Senta wie auch der Holländer ausbrechen wollen. Wie kann man Gleichförmigkeit besser vermitteln, als wenn 30, 50, 100 Leute dasselbe tun, zum Beispiel in der Spinnstuben-Szene. Der Konflikt zwischen dem Einzelnen und der Masse ist ja der Ursprung der Tragödie, und bei Wagner wird das existenziell.

Es muss doch schwierig sein, so viele Akteure über die Bühne zu bewegen?

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Jan Philipp Gloger: Man muss sich als Regisseur entscheiden, ob der Chor als genormte Masse interessant ist oder als Summe von unterschiedlichen Individuen. Bei meinem „Faust“ in Zürich habe ich jeden Chorsänger individualisiert. Beim „Holländer“ in Bayreuth erzählt aber gerade die Gleichförmigkeit der Chorsänger die Geschichte. Es geht den Norwegern ja wie den Holländern um Ökonomie als Lebensprinzip bis in die Liebesbeziehungen hinein. Und wenn die Norweger so weitermachen, werden sie irgendwann zu Holländern. Wenn man den Chor als Masse auffasst, muss man allerdings sehr choreographisch arbeiten. Ich habe schon im Klavierauszug stehen, wann in welcher Zählzeit was gemacht wird. Aber man muss immer eine Alternative zulassen können, und das kann ganz schön aufregend sein.

Was passiert, wenn 100 Chorsänger, wie in Bayreuth, loslegen?

Jan Philipp Gloger: Dann entsteht eine unglaubliche Energie im Raum. Das Medium Chor ist der dicke Pinsel, darauf muss dicke Farbe, dann macht das richtig Spaß und dann kriegt man auch ein Gespür für jeden einzelnen Chorsänger. Es heißt immer, Chöre wären schwer beweglich, aber ich habe nur Chöre erlebt, die wirklich spielen wollen. So eine Chorprobe ist ein wahnsinnig anstrengender und total lustvoller Vorgang. Da lernt man die Kraft und die Gewalt der Masse kennen und merkt, was für ein ungeheures Instrument man in der Hand hat.

Das kommt dann Ihren künstlerischen Ansprüchen entgegen?

Jan Philipp Gloger: Das Tolle am Chor ist, dass man mit seiner Hilfe die Regeln untersuchen kann, nach denen Massen funktionieren. Wie entwickelt sich eine Massenpanik? Wie wird aus einer Auseinandersetzung von zwei Männern eine Massenschlägerei? Die Oper ist auch ein Ort, wo man die Regeln von Gesellschaft und Gemeinschaft theatralisch erforschen kann, und das macht es spannend.

Stichwort Werkstatt Bayreuth: Hier können Inszenierung Jahr für Jahr weiterentwickelt werden. Was ändern Sie am „Holländer“?

Jan Philipp Gloger: Ich schätze den Werkstattgedanken in Bayreuth sehr, weil die Festspiele sich der gängigen Praxis verweigern, dass man Wiederaufnahmen ohne Regisseure macht. Wir haben in diesem Jahr keine neuen Solisten und proben mit dem bewährten Team sehr fein und genau. Und wir haben vergangenes Jahr schon daran gearbeitet, die Welt von Senta und dem Holländer zu verschmelzen und die Bühne weitergebaut. Natürlich sitze ich wieder bei der Premiere im Publikum.

Der „Holländer“ wird vom Publikum geschätzt, aber es gibt auch Kritik, die Inszenierung sei zu brav für Bayreuther Verhältnisse.

Jan Philipp Gloger: Ich bin keiner, der auf das Publikum pfeift. Ich habe ja mitgekriegt, wie die Leute auf dem Grünen Hügel bei anderen Inszenierungen ins Leere getappt sind. Und mein „Holländer“ macht sich zwischen Castorfs „Ring“ und Katharina Wagners neuem „Tristan“ ganz gut. Ich möchte eine Geschichte erzählen, der man folgen kann und der Oper mit einem thematischen Ansatz begegnen, der sich mit unserer heutigen Lebenswelt verbinden kann. Wenn das Publikum diese Lesbarkeit honoriert, freut mich das.

Welche Projekte stehen künftig an? Wieder Wagner?

Jan Philipp Gloger: Nein, erst einmal kommt Richard Strauss. Ich inszeniere als nächstes den „Rosenkavalier“ in Amsterdam, mit Mark Albrecht am Pult. Im Juni 2016 bin ich dann wieder in NRW, in der Essener Aalto-Oper mit Rossinis „Barbiere von Sevilla“, da haben wir etwas ganz Spannendes vor.