Hagen.. Wenn es um die Frage geht, welchen Stellenwert die Religion in unserer Region hat, ist er einer der Experten: Dr. Jens Schlamelcher, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum, leitet das Forschungsprojekt „Religiöse Pluralität – Religionsgemeinschaften und Gemeinden im Ruhrgebiet“.
Rund 68 Prozent der Hagener Bevölkerung gehören den großen christlichen Kirchen an. Dazu haben wir ganz viele andere Religionsgemeinschaften. Da spielt der Glaube in der Großstadt doch offensichtlich immer noch eine große Rolle...
Jens Schlamelcher: Aber diese Zahlen beziehen sich eben auf die formelle Mitgliedschaft. Sie sagen noch nichts wirklich über die Religiosität der Menschen aus. Nur etwa 13 Prozent der Mitglieder der katholischen Kirche gehen regelmäßig in die Kirche. Bei den Protestanten sind es sogar nur vier Prozent, die regelmäßig die Kirche besuchen.
Wie unterscheidet sich die Religionslandschaft in einer Großstadt wie Hagen von ländlichen Gebieten?
Die religiöse Pluralität ist in einer Stadt wie Hagen natürlich viel größer als auf dem Land. Dort haben wir noch oft eine Quote von 90 bis 95 Prozent der Menschen, die Mitglied in den beiden großen christlichen Kirchen sind. Das ist in einer Großstadt natürlich ganz anders. Die Religionslandschaft ist bunter geworden.
Konfessionslosigkeit steigt an
Aber gleicht eben diese große Zahl von anderen Religionsgemeinschaften, die es in Hagen gibt, nicht den steten Rückgang bei den beiden großen christlichen Kirchen aus? Sprich: Gibt es nicht viel mehr religiös gebundene Menschen als früher?
Nein, um das Jahr 1900 herum haben sich nur zwei Prozent aller Menschen als konfessionslos bezeichnet. Dieser Wert steigt immer weiter dramatisch an.
Und doch gibt es das Gefühl auch hier in Hagen, dass Religion eine immer größere Rolle spielt.
Nun ja, das Bild wird auch immer wieder durch neue Moden geprägt. Nimmt man deren Präsenz in Medienberichten als Maßstab, dann sind fernöstliche Religionen wie der Buddhismus auf dem Vormarsch. In Wahrheit ist die Zahl derer, die dieser Region folgen, verschwindend gering.
Auch eine große Zahl von Moscheen trägt sicherlich zum Bild bei, dass Religion in Hagen eine größere Rolle spielt. Wie viele Moslems gibt es eigentlich in Hagen?
Das ist generell schwer zu sagen. Bei den großen christlichen Kirchen, können wir das über die Kirchensteuer erfassen, bei anderen Religionsgemeinschaften nicht. Eine Studie aus dem Jahr 2005 geht für Hagen von einem Anteil an Muslimen an der Gesamtbevölkerung von knapp vier Prozent aus. Dieser Wert dürfte sich in den zehn Jahren gesteigert haben, so dass es jetzt mehr als fünf Prozent sein dürften.
Anzeichen für einen Euro-Islam
Also eigentlich eine eher kleine Gruppe...
Ja, aber das religiöse Leben in dieser Gruppe ist in der Regel viel vitaler. Bis zu 50 Prozent der Muslime in Deutschland bezeichnen sich als religiös oder sehr religiös. Das äußert sich natürlich in einer großen Anzahl von Moscheen und zum Teil auch repräsentativen Moscheebauten, die das Stadtbild prägen.
Welche Entwicklungstendenzen sehen Sie bei den muslimischen Gemeinden im Ruhrgebiet?
Da tut sich einiges. Die ethnische Prägung in den Moscheevereinen scheint langsam zurück zu gehen Wir haben die dritte Einwanderer-Generation, die sich offensichtlich in Moscheevereinen jenseits der ethnischen Wurzeln organisieren will. Hier sind erste Anzeichen für einen Euro-Islam zu erkennen. Wie genau hier die Entwicklung in Hagen ist, kann ich allerdings nicht beurteilen.
Welche anderen Trends sind im religiösen Leben zu erkennen?
Sicher gibt es auch einen Zuwachs an evangelikalen und christlich-charismatischen Kirchen. Aber auch hier sprechen wir von zahlenmäßig kleinen Mengen. Was man sicherlich sagen kann: die religiöse Vitalität und Pluralität wird durch Migration belebt. Zuwanderer sind meist religiös aktiver. Ob nun in Moscheevereinen oder auch in evangelikalen Gemeinden, etwa bei Spätaussiedlern. Allerdings lässt dieser Trend auch nach, wenn die Menschen länger bei uns im Land leben. Nehmen wir als Beispiel die Italiener. Die ersten Gastarbeiter waren noch sehr religiös katholisch geprägt, das hat inzwischen bei den Bürgern mit italienischen Wurzeln stark nachgelassen.
Auch wir als Zeitungen berichten über viele Aktionen im Zuge des interreligiösen Dialogs. Aber dringt dies auch tatsächlich in den Alltag der Gemeinden durch?
Das ist eine schwierige Frage, da haben wir aus wissenschaftlicher Sicht noch nicht genug Erkenntnisse. Ich habe dazu aber gerade deswegen einen Forschungsantrag in der Schublade. Es gibt aber Anzeichen, dass diese Aktionen und Veranstaltungen im Rahmen interreligiöser Dialog eher von wenigen sehr aktiven Menschen gestaltet werden. Im Alltag gibt es eher weniger Berührungspunkte zwischen verschiedenen religiösen Gemeinschaften. Oftmals auch innerhalb einer Konfession: auch katholische Pfarrgemeinde, die wegen der Umstrukturierungen in der katholischen Kirche enger zusammenarbeiten sollen, haben oft keine bestehenden Kommunikationsstrukturen.
Insbesondere die großen christlichen Kirchen unterhalten in Hagen auch einen Großteil sozialer Infrastruktur. Ist das der Punkt, warum doch noch so viele Menschen der Kirche die Treue halten? Oder sind es doch spirituelle Gründe?
In Untersuchungen wird diese Frage von den Menschen oft sehr diffus beantwortet. Die Befragten tun sich dann schwer, tatsächlich zu begründen, warum sie Mitglied in einer Kirche sind. Ob es da tatsächlich eine bewusste Entscheidung ist, soziale Einrichtungen der Kirche zu unterstützen, ist eher ungewiss. Was aber natürlich stimmt: Religionsgemeinschaften sind sozial oft sehr aktiv. Sie sind ein ganz wesentlicher Sektor einer Gesellschaft. Es gibt dort Ehrenamtliche, die sich aus religiösen Motiven engagieren. Aber das ist bei weitem nicht ausschließlich so. Die Strukturen der Kirchen ermöglichen auch anderen Menschen, die sich generell sozial engagieren wollen, dort mitzumachen. Da ist der spirituelle Gedanke eher im Hintergrund. Auf der anderen Seite zeigen Studien, dass nicht die Formel gilt: Je religiöser desto mehr sozial aktiv.
Wirkt eine große Zahl verschiedener Religionsgemeinschaften und Gläubiger stabilisierend auf eine Stadtgesellschaft wie in Hagen?
Dies hat Potenzial in beide Richtungen. Die Religion kann Menschen verbinden, ihnen Halt geben. Die Religion kann aber auch genutzt werden, um Konflikte, die eigentlich ethnisch geprägt sind, zu verschärfen.