Fröndenberg. . Dr. Stefan Klemp bittet für die VHS zur „Geschichtsbörse“. Ab Dienstag dreht sich alles um das Jahr 1947 im Ruhrtal.
Der heimische Historiker Dr. Stefan Klemp blickt in einem VHS-Workshop „Fröndenberger Geschichtsbörse: Neubeginn“ seit geraumer Zeit mit dem Abstand von 70 Jahren auf Ereignisse in der Stadt. Ab Dienstag, 19.30 Uhr, geht es im Stiftsgebäude um das Jahr 1947. Jürgen Overkott sprach mit ihm.
1947 waren die Kriegsfolgen noch deutlich spürbar. Wie machte sich das bemerkbar?
Dr. Stefan Klemp: Fröndenberg hatte kein Bahnhofsgebäude. Bomben und das Wasser der Möhne hatten es zerstört. Das Dach der Marienkirche fehlte seit dem 12. März 1945. Vor allem herrschte eine riesige Wohnungsnot. Die war so groß, dass der Leiter des Wohnungsamtes im Herbst 1947 seine Brocken hinschmeißen wollte. Er war dem Zusammenbruch nahe, aber die Verwaltung hatte keinen Ersatz. Viele Familien mussten mit vier Personen und mehr in einem Zimmer leben. Durchschnittlich standen in Fröndenberg pro Person 7,4 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung. Zum Vergleich: In der britischen Zone waren es 6,2 Quadratmeter. Wochenlang erhielten die Menschen kein Fett, zu wenig Kartoffeln und Milch. Alles gab es nur auf Marken.
Welche Probleme entstanden durch Vertriebene?
Den Begriff gab es hier damals im offiziellen Sprachgebrauch nicht. Bis Herbst 1947 hatte Fröndenberg 3000 Flüchtlinge (aus dem Osten plus vermutlich DPs [Heimatlose; Red.]) und Evakuierte (aus den Städten des Ruhrgebiets) aufgenommen. Sie wurden auf den vorhandenen Wohnraum verteilt. Zum Teil mussten sie von der Polizei zwangsweise untergebracht werden, weil Bewohner sich gegen die Aufnahme wehrten.
Wie wurden sie gelöst?
Bis 1949 fast gar nicht. Kreis, Städte und Gemeinden bauten nicht. Das ging nur privat, aber es fehlte an Baumaterial. Kassen der Kommunen des Kreises waren nach der Währungsreform von 1948 leer.
Die Alliierten gingen bei der Entnazifizierung unterschiedlich vor. Wie war’s in Fröndenberg?
Auch hier gab es 1945 eine chaotische Vorgehensweise. Die ersten beiden Amtsbürgermeister, Walter Schulte und Alfons Clemens, waren Mitglieder der NSDAP gewesen. Sie wurden wieder entlassen. Zunächst sollten keine Parteimitglieder als Beamte zugelassen werden, später wurden auch Mitglieder der SS wieder eingestellt. Die Bevölkerung empfand die Entnazifizierung als ungerecht.
Allmählich formierten sich Demokraten. Welche Parteien waren funktionsfähig, welche im Aufbau?
In der Amtsvertretung saßen in Fröndenberg 1947 vier Parteien: CDU, SPD, KPD und Zentrum (katholische Partei). Die FDP war nach den anderen Parteien gegründet worden und zog erst 1952 in den Gemeinderat ein. Amtsbürgermeister war Fritz Göbel aus Langschede (SPD). Auf Vorschlag der CDU wurde Ende September 1947 August Kalb (SPD) zum Stellvertreter gewählt.
Wie war es um die Verwaltung bestellt?
Zunächst gab es einen Personalmangel, weil politisch Belastete nicht wieder eingestellt wurden und die Verantwortlichen auf unbelastete Fachkräfte verzichteten. 1947 trat ein Wandel ein, unter anderem bedingt durch Wiedereinstellungen von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP.
Wie wurde das Schulsystem organisiert?
In der NS-Zeit waren die Konfessionsschulen zusammengefasst worden. 1946 sprachen sich die Eltern mehrheitlich für die Wiedereinführung der Konfessionsschulen aus. Bei einer Wahlbeteiligung von nur 56 Prozent entschieden sich 62 Prozent für Konfessionsschulen und 38 Prozent für Gemeinschaftsschulen.
Wie funktionierte die Wirtschaft?
Die Industrie erholte sich langsam von den schweren Zerstörungen. Die Union hatte vor 1945 in Fröndenberg 2000 Beschäftigte. Beim Bombenangriff vom 12. März 1945 wurde sie zu 75 Prozent zerstört. Im Januar 1947 arbeiten 115 Menschen am Wiederaufbau.1949 hatte die Union wieder über 1000 Mitarbeiter.