Ennepe-Ruhr. Der ehemalige Murat Kurnaz erzählte auf Einladung von Amnesty International in Gevelsberg über seine Leiden im Lager Guantanamo.
Für Boulevard-Medien war Murat Kurnaz der „Bremer Taliban“, und man zeigte ihn gerne mit dem langen roten Bart. Kurnaz saß am Mittwochabend mit seinem Anwalt Bernhard Docke auf der „Filmriss“-Bühne in Gevelsberg, ohne Bart und auch ohne große Verbitterung.
Der international bekannte Murat Kurnaz saß fast fünf Jahre als Häftling im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba ein, gefangen gehalten in einem Drahtkäfig, gefoltert und erniedrigt, ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren. Seit 2006 ist er frei. Er war unschuldig, kein Terrorist. Er hatte einfach nur das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, nämlich in Pakistan. So sagte es zu Beginn der Veranstaltung sein Anwalt Bernhard Docke. Und in Guantanamo durfte sich der Gefangene nicht rasieren, „sonst hätte er nicht ins Bild gepasst“.
Blick auf die Wahlen
Die Amnesty-International-Gruppe Schwelm hatte zu der Veranstaltung ins „Filmriss“ geladen. Die WR-Redakteurin und Kommentatorin Dr. Petra Kappe, die sich seit Jahren mit Menschenrechtsverletzungen publizistisch beschäftigt, moderierte den Abend, lenkte den Blick auch auf die bevorstehenden Präsidentenwahlen in den USA. Kurnaz gab deutlich zu verstehen, dass es ihm egal sei, wer dort Präsident werde. Enttäuscht sei er allerdings von Barack Obama, der sein Versprechen nicht gehalten habe, das Lager auf Kuba aufzulösen.
In dem Lager passieren schlimme Dinge: Menschen werden ohne Anklage in Käfigen gehalten, bis vor einiger Zeit waren sogar Kinder dort gefangen, wie der Ex-Häftling berichtete. Murat Kurnaz war isoliert, erhielt keine Post zugestellt, auch nicht von seiner Familie aus Bremen.
Was war passiert? Nach dem verheerenden Anschlag auf das World Trade-Center in New York war der 19-jährige Bremer Muslim nach Pakistan gereist, um, wie er sagt, dort mehr von der Religion zu erfahren. In Pakistan sei er für Geld an die Amerikaner verkauft worden. Mit verbundenen Augen, das wissen wir nun, wurde er zunächst nach Kandahar in Afghanistan geflogen. Von dort ging es ins Gefangenenlager auf Kuba.
Schon 2002 stand für die Amerikaner und für deutsche Geheimdienst- und Verfassungsschutzleute, die Kurnaz in Guantanamo verhörten, dessen Unschuld fest. Er sollte nach Deutschland ausreisen dürfen. Anhand von Dokumenten zeigte Anwalt Bernhard Docke auf, wie die damalige rot-grüne Regierung und vor allem der damalige Kanzleramtsminister Steinmeier (heute SPD-Fraktionschef im Bundestag) das verhinderte. Hauptargument: Kurnaz hat eine türkische Staatsbürgerschaft, und die „perfide Auslegung“ eines Gesetzes: Murat Kurnaz dürfe nicht wieder in die Bundesrepublik einreisen, weil er länger als ein halbes Jahr nicht in Deutschland weilte.
Dass Murat Kurnaz im US-Lager unrechtmäßig inhaftiert war, spielte keine Rolle. Als später Angela Merkel Kanzlerin wurde, schrieb ihr Anwalt Bernhard Docke einen Brief. „Drei Tage später hatte ich eine Antwort“. Bei Merkels nächstem Besuch in den USA wies sie auf die Situation hin. Im Jahre 2006 brachte schließlich eine Frachtmaschine den Bremer nach Ramstein. Er war der einzige Passagier, gefesselt und mit verbundenen Augen. Seitdem ist er frei.
Eine Entschuldigung von deutschen Behörden (Ausnahme: der Bremer Bürgermeister) oder persönlich von Steinmeier habe es bis heute nicht gegeben. Kurnaz und sein Anwalt lobten die amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen. „Sie haben uns unterstützt“, später auch Amnesty International.
Ein Gast, der Mut machte
Kurnaz ist weiterhin gläubiger Muslim, sieht durchaus radikale Organisationen, würdigt das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Religionen in Deutschland.
Zum Schluss der nicht eben sehr gut besuchten Veranstaltung zog Petra Kappe Bilanz: „Herr Kurnaz hat seine Würde bewahrt und tritt für Menschenrechte und Gerechtigkeit ein. Das macht uns Mut.“ In Vorträgen, wie im „Filmriss“, in Buchveröffentlichungen und Filmbeiträgen tritt er für Menschenrechte und Gerechtigkeit ein, denn die Errungenschaften der Zivilisation müssten immer wieder verteidigt werden. Vor der Diskussion zeigte Amnesty den Film „Das Verhör. Der Guantanamo-Häftling aus Bremen“. Ein Film, der schockiert und Menschen berührt. Bei der Diskussion war dies sehr deutlich zu spüren.