Ennepe-Ruhr. .
„Ich bin ihre größere Schwester“, sagt Kira Ujhelyi , wenn sie über ihre Kolleginnen und Kollegen spricht. Die Wittenerin ist vor drei Wochen als Auszubildende beim Energieversorger AVU in Gevelsberg angefangen. Die Lehrlinge, die mit ihr an den Start ins Berufsleben gingen, haben eben erst den 16. Geburtstag gefeiert – Kira Ujhelyi ist genau doppelt so alt.
Die 32-Jährige erzählt ihre Lebensgeschichte: „Ich habe früher einmal eine Ausbildung als Kinderkrankenschwester gemacht.“ Abgeschlossen hat Ujhelyi sie nicht: „Eine schwere Krankheit kam dazwischen.“ Dann wurde ihr Sohn geboren, der inzwischen neun Jahre alt ist. Sie sah ihre Aufgabe als Mutter und Hausfrau. Schließlich kam die Trennung von dem Lebenspartner. Die Wittenerin brauchte einen Beruf, keinen Job, mit dem sie die eigene Zukunft und die ihres Kindes nicht sicher konnte: „Ohne Ausbildung verdient man nicht genug.“
Keine Zeit für eine
normale Ausbildung
Für Cordula Buchgeister von der Beratungsstelle Teilzeitausbildung ist das ein typischer Fall. Rund 80 Frauen und auch zwei Männer betreut sie von Hattingen aus, die meist weil sie Kinder betreuen müssen keine Zeit haben, eine normale Ausbildung in einem Betrieb zu machen. Kira Ujhelyi geht zum Beispiel nur 30 Stunden pro Woche bei der AVU „in die Lehre“, um Industriekauffrau zu werden. Das gibt ihr die Zeit, damit ihr Sohn nicht zu kurz kommt.
Natürlich müsse der mehr auf seine Mama verzichten als früher: „Aber er wollte immer mit mir in Urlaub fahren. Und ich habe ihm gesagt, wenn ich in zweieinhalb Jahren die Ausbildung abgeschlossen habe, dann können wir uns das leisten.“ Es sei ja schließlich eine überschaubare Zeit, in der sie doch ein wenig durchs Leben hetzen muss: Morgens den Neunjährigen in die Schule nach Dortmund bringen, wo Mutter und Kind früher gelebt haben, und dann pünktlich um 8 Uhr bei der AVU in Gevelsberg den Dienst antreten. Um 14 Uhr ist Feierabend und das Kind spielt in ihrer Wohnung in Witten wieder die Hauptrolle im Leben.
Für Helmut Aden, dem Ausbildungsleiter des Energieversorgers, ist Kira Ujhelyi die erste Teilzeitausbildende, die er betreut. Auf einer Informationsveranstaltung hat er von der Möglichkeit gehört. Und Aden hat eigentlich nie daran gedacht, an einem Experiment teilzunehmen, das scheitern könnte: „Frauen, die mit über 30 Jahre noch eine Ausbildung beginnen, haben sicherlich noch eine größere Motivation am Arbeitsplatz als Jugendliche.“ Diese These habe sich bereits in den ersten Wochen der Zusammenarbeit mit Kira Ujhelyi bestätigt.
Es gebe, so Aden, schließlich viele Bewerber, die das normale Eintrittsalter in den Beruf überschreiten: „Die einen haben ihr Studium abgebrochen und suchen nach einem Ausbildungsplatz, andere waren zum Beispiel länger bei der Bundeswehr und suchen anschließend den Einstieg in einen zivilen Beruf.“
Die haben dann aber meist nicht das Problem, dass sie neben der Ausbildung auch noch die Doppelrolle als Mutter und Hausfrau übernehmen müssen. Für Kira Ujhelyi ist das nur durch die Teilzeitausbildung möglich. Dabei gibt es unterschiedliche Varianten. Bei mindestens 20 Stunden Arbeitszeit einschließlich Berufsschule verlängert sich die Ausbildung um ein Jahr. Die 32-Jährige hat den für sie härteren Weg mit 25 bis 30 Stunden ohne Verlängerung der Ausbildungszeit gewählt. Schließlich wartet ihr Sohn schon auf den ersten Urlaub.