Ennepetal. Dormakaba streicht deutschlandweit etwa 530 Stellen, darunter fast 200 am Ennepetaler Stammsitz des Unternehmens. Was im Detail vereinbart wurde.

Anfang Juli des vergangenen Jahres hatte Dormakaba angekündigt, weltweit 800 Stellen abzubauen, davon etwa 530 in Deutschland. „Shape for Growth“ (S4G) war das Restrukturierungsprogramm, das vor allem auf Kostensenkungen abzielte, betitelt. Nun einigten sich Unternehmensleitung und Betriebsrat nach monatelangem, zähem Ringen auf einen Interessenausgleich. Am Montag (29. April) wurde die Belegschaft über die Ergebnisse informiert. Nach Informationen dieser Redaktion werden 406 Stellen in Deutschland wegfallen, mit mehr als 190 Stellen fast die Hälfte davon am Ennepetaler Stammsitz des deutsch-schweizerischen Konzerns. Dormakaba wollte diese Zahlen auf Anfrage nicht bestätigen. Man wolle zunächst den erzielten Interessenausgleich betriebsintern veröffentlichen, erklärte Unternehmenssprecher Dr. Patrick Lehn. Dies solle nach jetziger Planung am 7. Mai geschehen.

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Besonders hart trifft die Deutschlandzentrale des Unternehmens in Ennepetal, dass Dormakaba einen Großteil der Bereiche Finanzen, Personal, Forschung und Entwicklung sowie IT insbesondere nach Sofia (Bulgarien) verlagern wird. Allein dadurch fallen an der Breckerfelder Straße mehr als 130 Stellen weg.

Umsetzung bis Mitte 2026

Verkleinert wird der Dormakaba-Produktionsstandort in Bühl. Allerdings ist die ursprünglich beabsichtigte Schließung vom Tisch. „Das Werk Bühl wird neu ausgerichtet, um sich ganz auf seine Kernkompetenzen zu fokussieren, komplexe Produkte und innovative Zutrittslösungen für das Projektgeschäft zu produzieren, vor allem für den expandierenden Markt Passagiermanagement für Flughäfen“, erklärt Patrick Lehn. Ein Teil der Produktion werde nach Sofia und die Antriebsfertigung nach Ennepetal verlagert. „Wir wollen unser Unternehmen fit machen, und wir wollen einen starken Standort Deutschland, der langfristig wettbewerbsfähig ist“, betont Lehn. „Für den Bereich Operations haben wir im Austausch mit den Arbeitnehmervertretern ein verbessertes Konzept für die Aufstellung unseres Produktionsnetzwerks in Deutschland erarbeitet.“ Dieses Konzept minimiere unternehmerische Risiken und führe bei weniger Kosten zur Realisierung von (ungefähr) gleichen Einsparungen.

Nicht vollzogen wird die Verlagerung der Produktion eines Türschließers von Ennepetal nach Singapur. Diese habe den Hintergrund gehabt, dass Platz geschaffen werden musste für die ursprünglich geplante Aufnahme der Bühler Produktion. Da die Verlagerung von Bühl nun nur in kleinem Umfang gemacht werde, sei dieser Schritt nicht mehr erforderlich, erklärt Patrick Lehn. In der Produktion in Ennepetal gehen dennoch etwa 30 Arbeitsplätze verloren. Das liege daran, dass man übliche Produktivitätsmaßnahmen durchführe. „Dieser Abbau kann voraussichtlich über natürliche Fluktuation erfolgen“, so Lehn.

Die Standorte Velbert und Bad Berka sollen zusammengelegt und in Thüringen fortgeführt werden. 31 Arbeitsplätze in Velbert gehen verloren. Den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sollen Stellen in Ennepetal beziehungsweise Wuppertal angeboten werden.

CEO nicht rechtzeitig in Ennepetal

Dormakaba hatte Anfang Juli 2023 ein „Transformationsprogramm“ angekündigt, bei dem im Gesamtkonzern, in dem weltweit etwa 16.000 Mitarbeiter beschäftigt sind, unter dem Strich 800 Vollzeitstellen abgebaut und bis Ende 2025/26 mehr als 170 Millionen Euro jährlich eingespart werden sollten. Der Konzern strebt ein jährliches organisches Umsatzwachstum von 3 bis 5 Prozent sowie ab dem Geschäftsjahr 2025/2026 eine Umsatzrendite von 16 bis 18 Prozent und eine Kapitalrendite von mehr als 30 Prozent an.

Für die Umsetzung des Programms rechnete Dormakaba mit einmaligen Kosten in Höhe von etwa 230 Millionen Euro und einmaligen Investitionen im Bereich IT und Operations in Höhe von etwa 100 Millionen Euro, die ab 2023/24 anfallen.

Dormakaba-CEO Till Reuter, der erst zu Jahresbeginn die Nachfolge von Jim-Heng Lee an der Spitze des Unternehmens übernommen hatte, wollte eigentlich zur Informationsveranstaltung für die Belegschaft anreisen. Allerdings musste sein Flugzeug nach dem Start in den USA aufgrund technischer Probleme umkehren, sodass er es nicht rechtzeitig nach Ennepetal schaffte.

Am Ende der Veranstaltung gab Personalchef Markus Seeland bekannt, dass er das Unternehmen zum 30. Juni verlassen werde. Der langjährige Dorma- beziehungsweise Dormakaba-Mitarbeiter stammt aus Ennepetal.

Der Betriebsrat einigte sich mit der Unternehmensleitung auf einen Sozialplan. Dieser sieht Abfindungsregelungen, eine erweiterte Altersteilzeitregelung sowie die Gründung einer Transfergesellschaft vor. Außerdem sollen Nachteile beim Wechsel auf eine andere Stelle zumindest übergangsweise kompensiert werden. Patrick Lehn stellte klar, dass der Konzernbetriebsrat sowie die Standortbetriebsräte gemeinsam das Ziel verfolgen würden, den Stellenabbau möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen zu erreichen. „Bei jeder Position wird stets geprüft, ob betriebsbedingte Kündigungen nicht durch andere geeignete Maßnahmen vermieden werden können“, erklärte er. „Unser Ziel ist es, möglichst viele der von den Abbaumaßnahmen betroffenen Mitarbeiter durch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen so zu qualifizieren, dass sie auf eine freie geeignete Stelle wechseln können.“ Diese Maßnahmen würden jeweils im Einzelfall geprüft und selbstverständlich mit den betroffenen Mitarbeitenden besprochen.

Umgesetzt werden sollen die vereinbarten Maßnahmen bis zum Ende des Geschäftsjahres 2025/2026 (endet am 30. Juni 2026). „Alle Mitarbeitenden, die nicht von den Maßnahmen im Interessenausgleich berührt sind, fallen unter eine Beschäftigungssicherung bis zum 31. Dezember 2028“, erklärt Patrick Lehn auf Nachfrage. „Für den Standort Bühl wurde sogar eine Beschäftigungssicherung bis zum 31. Dezember 2029 vereinbart.“

Betriebsrat hält Programm für gefährlich

Der Betriebsratsvorsitzende von Dormakaba, Jörg Kannapin, sieht die getroffenen Vereinbarungen „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“. Es sei gelungen, die Produktionseinheiten weitestgehend am Standort zu halten. Ennepetal bleibt auch „Multikompetenzzentrum für Mechatronik und mechanische Einheiten“. Das weinende Auge richtet sich auf die wegfallenden kaufmännischen Stellen, die den Großteil des Abbaus in Ennepetal ausmachen. Erfreut zeigte sich Betriebsratsmitglied Florian Budnick, dass der Betriebsrat nach Jahrzehnten endlich erreicht habe, dass in Ennepetal ein Ausbildungszentrum eingerichtet wird. Azubis müssten demnach künftig nicht mehr externe Lehrwerkstätten besuchen. Zudem solle es ein echter Ort der Aus- und Weiterbildung sein, so Budnick. In diesem Zusammenhang hebt Patrick Lehn hervor: „Mit der Einrichtung einer eigenen Ausbildungswerkstatt wollen wir auch unabhängig von den aktuellen Maßnahmen ein Zeichen für die Zukunft und Qualität der Ausbildung bei Dormakaba setzen. Es ist geplant, auch den Außendienst am Standort Ennepetal technisch hochwertig auszubilden.“

„Wir sind stolz darauf, was wir für die Kolleginnen und Kollegen erreicht haben“, betont Jörg Kannapin. „Alles in allem haben wir versucht, das Unternehmen mit den Kolleginnen und Kollegen in eine Zukunft zu führen.“ Die Transformationsmaßnahmen, die er als reines Kostensenkungsprogramm ansieht, hält er aber für gefährlich für die Zukunft des Unternehmens. „Das haben wir auch so in den Interessenausgleich hineingeschrieben“, berichtet er. Die Verantwortlichen würden die Zeit unterschätzen, bis ein neues IT-System voll funktionsfähig sei. Auch sei er im Hinblick auf die Verlagerung buchhalterischer Aufgaben in das neue Shared-Service-Center in Sofia und die Streichung eines großen Teils der Stellen im Bereich Forschung und Entwicklung skeptisch. „Außerdem wird alles gleichzeitig gemacht. Mir fehlt die Vorstellungskraft, wie der Konzern das bewältigen will.“

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Der Betriebsratsvorsitzende kritisiert zudem, dass es sich inzwischen um das vierte Restrukturierungsprogramm seit der Fusion 2015 von Dorma mit der schweizerischen Kaba AG handele. „Es wird immer gesagt, dass in der Vergangenheit zu viele Fehler gemacht worden seien. Aber wieso sind dann immer noch Leute in den Vorstandsabteilungen, die das zu verantworten haben?“

Während die Umsetzung des Transformationsprogramms für Deutschland in trockenen Tüchern ist, sind die Verhandlungen und Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern in anderen betroffenen Ländern nach Angaben von Patrick Lehn noch nicht abgeschlossen. Er könne daher noch keine Angaben zum Stellenabbau weltweit machen.