Lesen Sie die Rede von Bürgermeister Stephan Langhard in voller Länge
Diese Rede hielt Schwelms Bürgermeister Stephand Langhard bei der Demonstration „Für Rechtsstaat und Demokratie“ am Samstag, 3. Februar, auf dem Märkischen Platz in Schwelm:
„Liebe Schwelmerinnen und Schwelmer,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kinder und Jugendliche,
als die Idee zu dieser Demonstration heranreifte, war ich unsicher, wie das Echo darauf ausfallen würde. Ich hatte gehofft, vielleicht 500 Menschen mit unserem Aufruf zu erreichen; und ich kann kaum glauben, was ich hier sehe, dass nämlich so viele Menschen heute den Weg hierher gefunden haben. Es sind 2511. Von ganzem Herzen und im Namen des Veranstalterbündnisses danke ich Ihnen für Ihre Teilnahme, mit der Sie, ja, mit der wir alle unserer Demokratie und unserem Rechtsstaat den Rücken stärken.
Innerhalb weniger Tage ist es ein breites Bündnis mit aktuell 41 Partnern aus allen Bereichen unserer Stadtgesellschaft, den Kirchen, dem Sozialen Leben und dem Sport, der Kultur und der Umwelt, von der Seite der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber und nicht zuletzt aus Politik und Verwaltung geworden.
Wir reihen uns ein in den Aufstand der bürgerlichen Mitte, die für unsere Demokratie aufsteht. Seit die freie Presse ein Treffen von Mitgliedern rechtsextremer Kreise aufgedeckt hat, auf dem man Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen aus unserem Land besprochen hat, hat sich etwas verändert.
Ich glaube, wir alle haben sofort begriffen, was das bedeutet und woran es uns erinnert. Ich glaube, wir haben alle einen ganz tiefen Stich in uns gespürt, weil uns sofort klar war, wie weit entwickelt Absichten von Gegnern unserer Demokratie sind, die unsere freiheitliche Gesellschaft zu spalten versuchen und sie damit zerstören würden. Auch die geradezu selbstverständliche Schamlosigkeit, mit der über die ersten Zielgruppen, die man angehen will, gesprochen wird, hat uns schockiert und noch besser, sie hat uns aufgerüttelt.
Wohl niemand unter uns hat bei dem Wort „Remigration“ nicht sofort die Bilder der Deportation von Millionen Juden, Sinti, Roma, queeren Menschen u.a. gedacht, die dem nationalsozialistischen Regime zum Opfer fielen, im Kopf.
„Wir gegen die“ – dieses von Populisten überall auf der Welt genutzte Schema gehört nach wie vor zum Baukasten rechtsextremer Stimmungsmache; die Unterscheidung zwischen uns hier und denen dort. Wir hier sind die Guten, die Richtigen, die immer schon da waren, die das Recht haben, sich auch aggressiv zu verteidigen. Die anderen sind grundsätzlich Bedrohung. Und wer die anderen sind, ist dann auch beliebig. Mal sind es Menschen mit Migrationshintergrund, jüdischen Glaubens oder muslimischen Glaubens, gerne auch zivilgesellschaftliche Gruppen, demokratische Parteien, Klimaaktivisten oder gerne am Anfang auch die Medien oder die unabhängige Justiz, usw.
Fällt Ihnen was auf? Das sind wir, wir alle! Unsere Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen.
Das ist ja auch der Plan. Denn in einer Tyrannei soll sich niemand sicher sein, nicht auch in Ungnade fallen zu können. Das gehört bis heute zum Wesen jeder Diktatur: Dass sie die Herrschaft einer Gruppe ist, die allein bestimmt, wer dazu gehört. Wir jedenfalls wären es nicht, und das ist gut so!
Deswegen lautet die Botschaft an die Protestwähler, die es „denen da oben mal zeigen wollen“, die, die ihr trefft, sind wir alle und damit trefft ihr euch selbst! Macht euch nicht zum Werkzeug der Spaltung unserer Gesellschaft
Natürlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann ich die Sorgen, die Verzweiflung, die Verärgerung und etwas auch die Wut verstehen, die viele Menschen in Deutschland verspüren. Auch ich, als Bürger unserer Republik, als Bürgermeister unserer Stadt bin unzufrieden mit manchen Umständen und Entwicklungen. Ich wünsche mir auf manchen Gebieten Reformen, neue Entwicklungen und Problemlösungen; ich wünsche mir Führung und Perspektive.
Ich weiß auch, dass das nicht einfach ist. Die ganze Welt befindet sich in einer tiefgreifenden und multiplen Krise.
Jeden Tag hören wir von Entlassungen, Betriebsschließungen und von Rezession und Inflation. Wir lesen von der zunehmenden Dynamik des Klimawandels, den Verlust biologischer Vielfalt, von Kriegen, Mord und Leid.
Doch die zu lösenden Probleme der Multikrisen dürfen nicht unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat infrage stellen.
Auf der Basis der Erfahrungen des Dritten Reiches haben die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes eine Verfassung geschaffen, die stabile Verhältnisse als Grundlage für eine Erfolgsgeschichte unserer Nation in Einigkeit und Recht und Freiheit garantiert.
Unser Land hat schon manche Krise gemeistert. Dabei hat sich unsere Demokratie als wehrhaft bewiesen und sie ist immer auch Teil der Lösung unserer Probleme gewesen.
Aber Demokratie ist kein Naturgesetz, sie ist nicht einfach immer da! Sie lebt aus jedem einzelnen von uns heraus und erfordert Engagement, Dialog und Respekt. Jede und jeder einzelne von uns verkörpert die Demokratie. Sie ist nur so stark, wie wir bereit sind, uns für sie einzusetzen.
Was auch immer auf uns einwirkt – Kriege unserer Zeit, Unruhen, Klimawandel, Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit – all das sollte unser demokratisches Handeln nicht infrage stellen, sondern ganz im Gegenteil stärken.
Wir dürfen nicht aus Opportunismus, Gleichgültigkeit, Trägheit oder Angst vor Reaktionen aggressiver und radikaler Zeitgenossen den Mund halten. Oft fehlt es extremen Menschen an einem solchen Stopp-Zeichen von Seiten der bislang schweigenden Mehrheit, die sich nun immer klarer zu Wort meldet – so wie wir das heute bei uns in Schwelm tun.
Diese Demonstration zeigt, Sie zeigen, dass wir alle eben nicht nur die schweigende Mehrheit sind, sondern die redenden Demokraten.
Selbsternannte Heilskünder wollen, wie in jeder Diktatur, bestimmen, wen sie aus dem Land jagen wollen. Und das in deutschem Namen! Millionen Menschen sollen aus Deutschland vertrieben werden.
Ich sage: Diese Millionen Menschen - ob mit oder ohne Migrationshintergrund - sind wir alle.
Wir alle sind Deutschland, wir lassen uns nicht auseinanderdividieren und wir verteidigen unsere Werte und die Art, wie wir zusammenleben wollen. Das machen wir heute und wann immer wir gebraucht werden.
Vielen Dank!“