Gevelsberg/Ennepetal. Mit Messer und Pistole überfällt das Duo Rewe-Märkte in Ennepetal, Gevelsberg und Breckerfeld. Alle Hintergründe zur zweiten Verhaftung.

Es waren drei spektakuläre Raub-Überfälle auf Rewe-Märkte in Gevelsberg, Ennepetal und Breckerfeld – alle verübt im Jahr 2020. Zwei Täter erbeuteten insgesamt gut 60.000 Euro. Einer der beiden, ein inzwischen 22-Jähriger aus Ennepetal, wurde dafür vor genau einem Jahr zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, die er derzeit verbüßt. Jetzt wurde auch der zweite mutmaßliche Rewe-Räuber – ebenfalls Ennepetaler – verhaftet: Er kam in Untersuchungshaft.

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Das bestätigte Oberstaatsanwalt Dr. Gerhard Pauli (Hagen) gegenüber dieser Zeitung: „Es besteht ein dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten, der vehement seine Tatbeteiligung an den Überfällen bestreitet. Doch die vorliegenden Beweismittel reichen aus.“ Atnam B. (31) aus Ennepetal, wurde am Mittwoch vergangener Woche an seinem Arbeitsplatz, einem Karosserie- und Lackzentrum in Schwelm, von Kriminalbeamten festgenommen. Der Marokkaner soll der zweite Rewe-Räuber sein, der stets mit einem langen Fleischermesser die Angestellten bedrohte. Ein Haftrichter sah dringenden Tatverdacht und schickte ihn in Untersuchungshaft. Bis er für die drei Überfälle vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Hagen angeklagt wird, könnten jedoch noch bis zu sechs Monate vergehen.

Escort-Damen bestellt

Die Raub-Masche war immer die gleiche: Die beiden maskierten und bewaffneten Täter warteten stets den Ladenschluss ab. Wenn die Angestellten das Geschäft verließen, schlugen sie zu: Mit gezückter Pistole und einem vorgehaltenen Messer wurden die Mitarbeiter zurück in den Laden gedrängt. Dort mussten sie den Tresor öffnen und die Tageseinnahmen herausgeben. Dann mussten sie sich auf den Boden legen, wurden sie mit grünem Kabelbinder gefesselt, am Tatort eingesperrt und hilflos zurückgelassen. Die vermummten Räuber flüchteten jeweils unerkannt. Beim ersten Rewe-Überfall Ende Mai 2020 in Breckerfeld betrug die Beute lediglich 6.300 Euro.

Beim Überfall auf den Rewe/Kaufpark-Markt in Ennepetal, am 1. Oktober 2020, gegen 22 Uhr an der Gewerbestraße, immerhin schon 18.000 Euro. Beim letzten Überfall, am 5. Dezember 2020, auf den Gevelsberger Rewe/Kaufpark-Markt an der Hagener Straße, wurden stolze 36.000 Euro erbeutet. Die Gesamtbeute von 60.000 Euro wurde „halbe-halbe“ aufgeteilt.

Beim Überfall am 5. Dezember 2020 auf den Der Rewe/Kaufpark-Markt an der Hagener Straße in Gevelsberg, ihrer letzten Tat, erbeuteten die Räuber 36.000 Euro.,
Beim Überfall am 5. Dezember 2020 auf den Der Rewe/Kaufpark-Markt an der Hagener Straße in Gevelsberg, ihrer letzten Tat, erbeuteten die Räuber 36.000 Euro., © WP | Hartmut Breyer

Der Leon Sch., der bereits im vergangenen Jahr für die drei Überfälle wegen besonders schweren Raubes zu einer Jugendeinheitsstrafe von vier Jahren verurteilt wurde, hatte sich von seinem Beute-Anteil einen Mercedes und Luxus-Klamotten gekauft. Außerdem bestellte er sich mehrmals Escort-Damen.

Hauptsächlich träumte er von einer Karriere als erfolgreicher Rap-Star. Nach den Überfällen hatte er ein verhängnisvolles Lied getextet und auf sein Handy gesungen: „Ich bin ein Räuber, werde jetzt Rapper, weil ich in den Rewe bretter. Markenzeichen acht Zylinder, grüne Kabelbinder“.

Zum Islam konvertiert

Das Smartphone mit dem schlecht gereimten Rap hatten seinerzeit die Ermittler beschlagnahmt. Im Gerichtssaal wurde das musikalische Geständnis abgespielt. Es diente als ein Mosaikstein bei der Überführung des Angeklagten, der aber auch von sich aus die Taten zugab, große Reue zeigte und sich bei den Opfern entschuldigte: „Jetzt weiß ich, dass es nicht richtig war. Ich dachte, da kommt niemand zu Schaden. Was für einen Schaden ich wirklich angerichtet habe, ist mir erst jetzt richtig klar geworden.“

Seinen Mittäter wollte Leon Sch. aber nicht verraten. Im Mai 2020 war der junge Deutsche zum Islam konvertiert. Er ist dann in ein Haus eingezogen, das in Ennepetal den zweifelhaften Ruf hat, dass dort auch Islamisten leben, so die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe.

Raub-Opfer leiden bis heute

Eine Aushilfskraft bekam die Pistole in den Nacken gedrückt: „Ich wurde mit Kabelbindern gefesselt. Viel zu eng geschnürt. Ich hatte keine Durchblutung mehr, doch mein Puls war auf 180.“

Von „purer Angst“ berichtet eine Verkäuferin, „womöglich nach dem Überfall in die Kühlkammer eingesperrt zu werden.

Der Rentner (66), der an diesem Abend aushalf: „Ich habe diesen Job im Kaufpark immer gern gemacht, bis das passiert ist.“ Während des Überfalls „hatte ich so viel Herzrasen, dass ich kaum noch Luft bekam.“ Seitdem hätte er das Geschäft nicht mehr betreten: „Da kriege ich Gänsehaut und ein Beklemmungsgefühl.“

„Ich hatte eine Scheiß-Angst“, erklärt eine andere Verkäuferin ganz unverblümt als Zeugin. Die Kassiererin (63) aus dem Gevelsberger Rewe-Markt: „Ich war acht Wochen lang außer Gefecht gesetzt, brauchte psychologische Betreuung. Wir sind jetzt schon viermal überfallen worden, dass steckt man nicht so einfach weg.“

Der jetzt festgenommene Atnam B. gehörte seinerzeit zu seinem ganz nahen Umfeld: Beide sind Glaubensbrüder. Verteidiger Timo Scharrmann (Essen) sprach von einer „hochexplosiven Mischung, die seinem Mandanten in diesem Haus vorgelebt worden ist“. Umgeben von diesen falschen Leuten, sei Leon geprägt und mitverleitet worden, schwerste Straftaten zu begehen. Nach Informationen dieser Zeitung hat ihn der jetzt als Mittäter Beschuldigte sogar noch kürzlich in der Haftanstalt besucht und ihm Briefe geschrieben, dass er hinter Gittern nun „viel Zeit habe, seinen Glauben zu stärken.“

Ehefrau meldet sich auf Instagram

Die Ehefrau des mutmaßlichen zweiten Rewe-Räubers meldet sich derweil über Instagram zu Wort und versucht unter ihren Glaubensanhängern „das plötzliche Verschwinden“ ihres Gatten hinter Gittern öffentlich zu erklären: „Er hat mir nichts getan, wir lassen uns auch nicht scheiden und er wurde auch nicht abgeschoben. Es ist etwas passiert, womit wir nicht gerechnet haben. Ich bin seit letztem Mittwoch alleine. Was gerade passiert, ist menschenunwürdig!“ Näheres teilt sie aber nicht mit.

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Sollte ihr Mann vom Landgericht für schuldig befunden werden, an den drei Raubüberfällen mitbeteiligt gewesen zu sein, müsste er nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden. Dann droht ihm nach dem Gesetz eine Gefängnisstrafe „zwischen neun und zehn Jahren“.