Schwelm/Gevelsberg/Ennepetal. Die Grundschulen sind an der Belastungsgrenze, 30 Kitas im EN-Kreis komplett geschlossen. Das Betreuungssystem kollabiert aktuell.

Eltern, die völlig verzweifeln, Lehrer die die Grenze der Erschöpfung längst überschritten haben und eine planlos agierende Landesregierung, deren Schulministerium das Betreuungs- und Bildungssystem mit den neuesten Anpassungen im Land zum Einsturz bringt, sorgen in Schwelm, Gevelsberg und Ennepetal dafür, dass reihenweise Grundschulen die weiße Flagge hissen. „Wir können einfach nicht mehr. Wir kapitulieren“, sagt Mathias Wagener, Leiter der Schwelmer Grundschule Engelbertstraße am Mittwochmorgen.

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Es ist bereits 22.13 Uhr am Dienstagabend, als die Mail aus dem NRW-Schulministerium die Grundschulen im Land erreicht; voll gepackt mit neuen Vorgehensweisen, die die Schulen bereits am Mittwoch umsetzen sollen. „Wir kommunizieren schon über Whatsapp-Gruppen, aber wie soll das denn möglich sein, dass wir mit diesem Vorlauf die Eltern erreichen?“, fragt Mathias Wagener, der wie viele andere Schulleiter im Ennepe-Ruhr-Kreis die weiße Flagge an mehreren Stellen am Schulgebäude gehisst hat.

Lehrer fragen nach der Verantwortung

Der Grund ist ganz einfach: Die Grundschulen sind am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angelangt – schon bevor die „Anpassung des Lollitest-Systems“ aus Düsseldorf bei ihnen eintrudelte. Dahinter verbirgt sich, dass die Labore die Masse der anfallenden PCR-Tests nicht mehr abarbeiten können, weil einfach zu viele Kinder positiv getestet werden. Die Lösung aus Düsseldorf: Die Grundschulen sollen die positiv getesteten Schüler nun täglich mit Antigen-Schnelltests testen, bis wieder ein negatives Testergebnis vorliegt. Dafür müssen sie aber erstmal herausfinden, welches der Kinder beim Pool-Test überhaupt das positive ist.

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Für Mathias Wagener und seine Kollegen ein Unding: „Wir sind medizinisch nicht ausgebildet. Was passiert denn, wenn ein Kollege beim Test in Nase und Rachen etwas falsch macht? Tragen wir dann die Verantwortung?“ Lehrkräfte an den Schulen weigern sich, dies zu tun. Nächstes Problem: Sowohl die Lehrer wollen nicht täglich infizierte Kinder testen, und viele Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder täglich mit definitiv Infizierten in einen Raum zum Test müssen. „Wir können auch nicht feststellen und nachhalten, wer wann für wie lange zu Hause bleiben muss, diesen bürokratischen Aufwand können wir nicht leisten“, sagt der Grundschulleiter, der aktuell aufgrund der Infektionen drei Klassen im Distanzunterricht hat.

30 Kitas im EN-Kreis komplett geschlossen

Parallel dazu klingeln die Telefone in den Grundschulen unentwegt, denn die Eltern sind in höchstem Maße besorgt und verunsichert, haben zahlreiche Fragen, „doch die können wir oft auch nicht beantworten, weil das zum Beispiel Sache des Gesundheitsamts wäre“, sagt Mathias Wagener, der gemeinsam mit den Leitern der anderen Schwelmer Grundschulen einen Elternbrief aufgesetzt hat. Wichtigste Botschaft: Wenn ein positiver Pooltest vorliegt, mögen die Eltern bitte – wenn möglich – ein Testzentrum ansteuern, damit nicht alle Kinder die Schnelltests in der Schule absolvieren müssen und so viele Ergebnisse wie eben möglich bereits vor Schulbeginn vorliegen.

Weiße Fahne hängen auch an der katholischen Grundschule Ennepetal. Die Pädagogen erhalten großes Lob für ihre Arbeit von den Eltern.
Weiße Fahne hängen auch an der katholischen Grundschule Ennepetal. Die Pädagogen erhalten großes Lob für ihre Arbeit von den Eltern. © WP | Privat

Die Eltern bekommen vom Schulleiter – gleiches gilt für sämtliche Grundschulen in Schwelm, Gevelsberg und Ennepetal – ein besonderes Lob für ihre Geduld und Leidensfähigkeit. Denn sie stehen seit zwei Jahren immer und immer wieder vor massiven Betreuungsproblemen, die allerdings noch nie derart heftig waren, wie aktuell. Zu den dutzenden Grundschulklassen, die sich im Distanzunterricht befinden, gesellen sich aktuell noch 30 komplett geschlossene Kitas im Ennepe-Ruhr-Kreis und 54 weitere Kitas, in denen es mindestens einen Corona-Fall gibt. Folge: Die Kinder müssen irgendwie betreut werden, was viele Eltern vor massive Probleme bei der Ausübung ihrer eigenen Jobs stellt.

Eine Mutter erzählt

Eine von diesen Eltern ist Sabine Lucy aus Ennepetal. Ihre beiden Jungs – 7 und 9 Jahre alt – gehen auf die katholische Grundschule in Ennepetal, die ebenfalls die weißen Flaggen gehisst hat. Sie selbst ist dort stellvertretende Schulpflegschaftsvorsitzende und Vorsitzende des Fördervereins. „Die Lehrkräfte an den Grundschulen leisten unglaubliches!“, sagt sie und betont, wie sie gleichzeitig die Ruhe des Kollegiums bewundere.

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Zudem gibt Sabine Lucy einen kleinen Einblick in die aktuelle Lebensrealität von Eltern mit Kindern im Grundschulalter: „Ich muss bei zwei Kindern an vier Tagen pro Woche auf die Rückmeldung der Pooltestungen warten. Oft kommen diese Meldungen aber erst mit extremer Verspätung am Folgetag, wenn die Kinder schon wieder in der Schule sind. Dann müssen die Kinder abgeholt und isoliert werden, bis man heraus gefunden hat, wer von der Infektion betroffen ist. Gegebenenfalls muss der Arbeitgeber informiert und die Arbeit eventuell abgebrochen werden. Die Freizeitplanung ist nur noch abhängig vom Ergebnis der Testungen. Die Kinder sind total verunsichert und leiden unter der fragilen Situation. Auch die geänderten Regelungen helfen da nicht viel. Die Anspannung bleibt. Die Situation ist für alle Beteiligten extrem belastend!“

Das Frustrierende für Eltern, Lehrer, Erzieher und die Leiter der Kitas und Grundschulen: Eine Besserung ist nicht in Sicht.