Ennepetal. Schockierender Fall in Ennepetal: Eine Türkin (41) pflegt ihre Mutter. Doch die stirbt einen grausamen Tod. Nun steht die Tochter vor Gericht.
Selbst für die erfahrenen Juristen ist das, was die Staatsanwaltschaft der 41-jährigen Ennepetalerin zur Last legt, schwer zu ertragen. Die Türkin soll ihre Mutter, die sie zu Hause gepflegt hat, getötet haben, weil sie sie verwahrlosen ließ. Als die damals 73-Jährige schließlich an multiplem Organversagen starb, soll sie ein grauenhaftes Martyrium hinter sich gebracht und nur noch 29 Kilogramm gewogen haben. Die Tochter muss sich unter anderem wegen fahrlässiger Tötung vor dem Schwelmer Amtsgericht verantworten. Fahrlässigkeit steht ausschließlich in der Anklageschrift, weil die Staatsanwaltschaft Hagen von einer Überforderung der Tochter ausgeht, die bislang keine Reue zeigt.
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Sie habe sich die Pflege der Mutter schließlich nicht ausgesucht, teilte sie nach Informationen dieser Zeitung zum Verhandlungsauftakt mit. Die Mutter leidet an einer Lebererkrankung und ist seit November 2018 bettlägerig, der Vater ebenfalls pflegebedürftig und wohnt mit im selben Haushalt. Im März des Jahres 2019 muss die Mutter ins Krankenhaus. Dort fällt auf, dass sie am ganzen Körper offene Stellen – so genannte Dekubiti – hat. Sie ist wund gelegen weil die Tochter sie offenbar nicht korrekt lagert. Das Gewicht der alten Frau beträgt zu diesem Zeitpunkt 41 Kilogramm.
Übersät mit eitrigen Wunden
Die 41-jährige Tochter bekommt eine Einweisung in die richtige Pflege, die Mutter wird im Krankenhaus behandelt, erhält außerdem eine Wechseldruckmatratze. Die läuft elektrisch und sorgt – laienhaft ausgedrückt – automatisch dafür, dass bei liegenden Patienten immer wieder andere Körperstellen belastet werden, damit keine offenen Druckstellen mehr entstehen. Zusätzlich kommt an einigen Tagen der Woche ein Pflegedienst vorbei. Der macht bald erschreckende Entdeckungen, wie die Mitarbeiter im Zeugenstand aussagten: Die Tochter zog immer wieder den Stecker der Matratze aus der Steckdose, so dass diese ihrer Mutter nicht helfen konnte. Die Mitarbeiter des Pflegedienstes schlossen das Gerät immer wieder an den Strom an. Die Angeklagte zog den Stecker wieder. Dies klagt die Staatsanwaltschaft als fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassung an. Der Pflegedienst beschreibt den Zustand der Mutter als katastrophal.
Die kommt am 11. Juli erneut ins Krankenhaus. Diesmal hören Passanten die Hilferufe des Vaters aus der Wohnung durch die verschlossene Tür, alarmieren die Feuerwehr. Die holt den Rettungsdienst, der die Frau in die Klinik transportiert. Die Mutter ist gesundheitlich in einen schrecklichen Zustand. Die Tochter bekommt weitere Hilfe angeboten, doch sie lässt ihre Mutter weiter verwahrlosen. Der letzte Besuch des Pflegedienstes sorgt für Entsetzen bei den Mitarbeitern: Die alte Frau liegt in durchnässten Kleidern, die sie mindestens seit drei Tagen anhatte, in ihrem Bett, übersät von eitrigen Wunden. Zwei Tage später ist sie tot.
Nur noch 29 Kilogramm schwer
Der Rechtsmediziner, der am nächsten Verhandlungstag seine Aussage vor dem Schwelmer Amtsgericht macht, und zum Gesundheitszustand der Frau befragt werden wird, stellt zur Todesursache in seinem Obduktionsbericht fest: Die 73-Jährige hat eine Darmlähmung erlitten, wodurch Bakterien aus dem Darm ins Körperinnere ausgetreten sind. Dies sorgte für eine Bauchfellentzündung, die schließlich zu einem multiplen Organversagen führte, dem die Seniorin erlag. Sie wiegt zu diesem Zeitpunkt noch 29 Kilogramm.
Hat die Tochter ihre Mutter quasi verhungern lassen? Auch eine solche Frage muss am Ende der Mediziner noch klären. Fest steht, dass der lebensbedrohliche Zustand ihrer Mutter der Tochter offenkundig egal war. „Obgleich die Mutter seit mehreren Tagen keinen Stuhlgang gehabt hatte, hat die Tochter sich nicht um eine ärztliche Behandlung gekümmert“, sagt Bernhard Kuchler, Pressesprecher des Landgerichts Hagen, und auch für das Schwelmer Amtsgericht zuständig. Dies bewertet die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage als fahrlässige Tötung durch Unterlassen.
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Bereits für den nächsten Prozesstag sind die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung vorgesehen. Ebenso deutet alles darauf hin, dass das Schwelmer Schöffen-Gericht sein Urteil fällt. Die maximale Strafe, die die Türkin aus Ennepetal erwartet, sind vier Jahre. Möglich ist aber auch, dass der Fall nach einer Berufung nochmals vor dem Landgericht aufgerollt wird, dann wäre im Falle eines Schuldspruchs auch eine Gefängnisstrafe für die 41-Jährige möglich, die über die vier Jahre deutlich hinausgeht, wenn das Gericht dann beispielsweise davon ausgeht, dass doch keine Fahrlässigkeit vorliegt. Zunächst einmal erwarten aber selbst die erfahrenen Juristen die Ausführigen des Mediziners mit Spannung und leichtem Unbehagen.