Schwelm. Er gehört zum Stadtbild und wird bald abgerissen: der Pilz-Kiosk auf dem Bürgerplatz. Was seine Geschichte betrifft, ist jetzt vieles klarer.

Ein Lob der Redaktion an die Leser dieser Zeitung. Sie verfolgen nicht nur aufmerksam die Berichterstattung der Redaktion, sondern erweisen sich auch als gute Kenner der Stadtgeschichte. Unter der Überschrift „Kiosk weicht der Neuen Mitte Schwelm“ hatten wir über den geplanten Abriss des Zeitungspavillons auf dem Bürgerplatz berichtet und gefragt, wer etwas über seine Geschichte erzählen könnte. Die Bitte ist bei unseren Lesern auf offene Ohren gestoßen. In den vergangenen Tagen haben uns viele Zuschriften erreicht, die in Summe ein ungefähres Bild der Ereignisse liefern und Licht ins Dunkle der Kiosk-Vorgeschichte bringen.

„Schönster Kiosk in Deutschland“

Der achteckige Kioskbau ist im Grunde genommen der Sparkasse zu verdanken. Denn durch den Neubau des Kreditinstitutes musste damals der Vorgänger-Kiosk weichen. Der stand in der Römerstraße, dort, wo sich heute die Sparkasse befindet, und ist in der Zeitungsgeschichte einst als „schönster Kiosk Deutschlands“ eingegangen, wie diese Zeitung in der 1970-er Jahren damals berichtete.

Der heutige Bürgerplatz war immer schon ein Zentrum - einst Verkehrsknotenpunkt mit stark befahrener Kreuzung
Der heutige Bürgerplatz war immer schon ein Zentrum - einst Verkehrsknotenpunkt mit stark befahrener Kreuzung © Verein | Privat

Wer die Geschichte des Zeitungskiosks auf dem Bürgerplatz genau kennt, ist Rolf Garz. Der 70-jährige Schwelmer aus der Kastanienstraße ist der Enkel von Ernst Graz sen. Sein Großvater, eigentlich gelernter Bäcker, verdiente nach dem Krieg sein Geld am Bau und in einem Schamottwerk. Nebenbei verkaufte er seit dem Frühjahr 1946 die Westfälische Rundschau in Schwelm, zunächst als Straßenverkäufer, später dann aus einem alten Schuppen in der Stadt heraus. Der Schuppen wurde schließlich Mitte der 1960er abgerissen und von Ernst Graz sen. durch einen neuen Holzbau an der Römerstraße ersetzt. Dazu schrieb die Rundschau damals: „Als er 1975 dem Sparkassenneubau weichen musste, trugen die Graz den Holzbau Stück für Stück ab und benutzten ihn noch Jahre später als Laube im Garten.“

„Der Kiosk, so wie Sie ihn kennen, wurde 1975 im August bis September von meinen Eltern errichtet. Form und Farbe waren von der Stadt vorgegeben und sollte sich meines Erachtens an die Gestaltung der Fußgängerzone anpassen“, erinnert sich Rolf Garz. Die vorgegebenen Farben waren damals rot und weiß – eben die Stadtfarben. Der Neubau war im Vergleich zum Holzbau richtig komfortabel ausgestattet und hatte nun eine Toilette. Seine Eltern, Vater Ernst Graz jun. und Mutter Randi, gingen Ende September 1985 in Rente und verkauften deshalb den Kiosk an die Familie Michael Nolte in der Moltkestraße. „Der Zeitungsverkauf auf dem Bürgerplatz, der zu Beginn so nicht hieß, lag also ca. 45 Jahre lang in den Händen der Familie Garz, 19 Jahre davon bei meinem Vater“, sagt Rolf Garz.

Der alte Kiosk stand am Rande der Römerstraße, dort, wo heute die Sparkasse ist.
Der alte Kiosk stand am Rande der Römerstraße, dort, wo heute die Sparkasse ist. © Verein | Privat

Ein wenig hat der Enkelsohn an der Institution Zeitungskiosk am Bürgerplatz sogar mitgewirkt. „Ich war zwar immer Pauker, aber als Schüler, als Student und hinterher, als ich schon im Dienst war, habe ich meine Eltern immer unterstützt. Wenn sie in Urlaub wollten, bin ich ferientechnisch immer eingesprungen“, so Garz, der hauptberuflich seine Brötchen als Lehrer am Gevelsberger Gymnasium verdient hat. Wenn man ihn fragt, was er noch heute mit dem Kiosk verbindet, dann kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Frühes Aufstehen. 4 Uhr morgen war angesagt, um 5 Uhr wurde das Geschäft aufgemacht. Da gingen die Leute morgen zur Arbeit – da gab es noch das Eisenwerk, Zassenhaus und die Brauerei.“ Ein wenig Trauer spielt in seinen Erzählungen mit, dass nun ein Stück Stadtgeschichte abgerissen wird. Übrigens war damals Ernst Graz anfänglich ein Gegner der Fußgängerzone, die mit dem Sparkassenneubau kam. „Bei dem alten Kiosk konnten die Leute mit dem Auto vorfahren, aussteigen, Zeitung holen und weiterfahren.“, weiß Rolf Graz noch. Einige Kunden habe die neue Verkehrsführung gekostet, da sie nun nicht mehr aus dem Auto heraus ihre Zeitung hätten kaufen können.

Geschichte der Kioske in Schwelm aufgeschrieben

Frank Schneider hat die Geschichte der Kioske in Schwelm auf seiner Facebookseite „Heimatkunde Schwelm“ aufgeschrieben. Der Administrator hat in seinem gut 30.000 Bilder umfassenden Fotoarchiv sogar noch alte Stadtansichten gefunden, die die bauliche Situation Anfang der 1970er Jahre wiedergeben. Damals donnerten die Autos durch Hauptstraße und Kirchstraße. Den Bürgerplatz gab es noch nicht. Wo sich heute die Menschen zum Maibaumaufstellen oder zum Feierabendmarkt treffen, war eine stark befahrene Kreuzung. Selbst die Straßenbahn passierte einst diesen wichtigen Verkehrsknotenpunkt in Schwelm. Hier der Text in Auszügen:

Der alte Kiosk und der Bürgerplatz, als dort noch der Verkehr floss.
Der alte Kiosk und der Bürgerplatz, als dort noch der Verkehr floss. © Verein | Privat

„Ein Kiosk (vor dem 18. Jahrhundert entlehnt über französisch kiosque) ist heute im allgemeinen Sprachgebrauch die Bezeichnung für eine kleine Verkaufsstelle in Form eines Häuschens oder einer Bude. Im Ruhrgebiet und im Rheinland werden solche Kioske auch Trinkhalle genannt. Die ältesten deutschen Verkaufskioske boten Getränke an, erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch Zeitungen.

In Schwelm hat es, wie man auf vielen alten Fotos sehen kann, schon Anfang der 1900er Jahre an verschiedenen Stellen der Stadt kleine Kiosk-Pavillons gegeben. So gibt es Aufnahmen von Draeger & Bastian am Neumarkt mit einem Kiosk, am Parkhotel, mal auf der einen Seite, mal auf der anderen Seite zum Bahnhof hin, ein kleiner Kiosk stand an der Barmer-/Ecke Emil-Rittershaus Straße. Es gab einen Kiosk im Möllenkotten am Parkplatz der heutigen Westfalentankstelle und sicher noch an vielen anderen Stellen.

Erste Foto-Beweise für einen Kiosk am Bürgerplatz, gibt es noch vor 1963, als ein kleiner eckiger Kiosk direkt an dem Max-Klein-Haus (heute Caffé Cube 3) angelehnt war. Eine neue und größere Kiosk-Variante stellte Familie Garz dann nach dem Abriss des Max-Klein Hauses auf, immer noch auf dem alten Klein-Grundstück, das jetzt die Sparkasse erworben hatte. Dieses Grundstück nutzte die Sparkasse als Parkplatz für leitende Angestellte, direkt gegenüber dem Kaufhaus Blankenburg. Als die Sparkasse 1974 auch die Häuser hinter dem Parkplatz mit dem Kiosk erwarb und abreißen ließ, musste auch der rechteckige Kiosk am Parkplatz dem Neubau der Sparkasse weichen. Familie Garz baute den bis heute bekannten Pilz-Kiosk an der heutigen Stelle, vor dem Haus Brieden, neben dem mittlerweile abgerissenen Patrizierhaus, auf dem öffentlichen Grundstück der Stadt Schwelm.

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