Gevelsberg. Rainhard Okunneck hat diesmal keinen Stress - und ist doch traurig: So wird Weihnachten für den Küster der Erlöserkirche in Gevelsberg.

Gevelsberg. „Jetzt habe ich einmal im Leben an Weihnachten richtig frei und hätte meinen Geburtstag mal groß feiern können – und dann geht das auch nicht!“ Mit gespielter Entrüstung beklagt Rainhard Okunneck das Dilemma, in dem er steckt. Eigentlich stünde dem Küster der Erlöserkirche an Heiligabend und am ersten Weihnachtstag die stressigste Zeit des Jahres bevor. Vier Gottesdienste innerhalb von nicht einmal 24 Stunden würden seinen ganzen Einsatz fordern. Und das, nachdem er angemessen in seinen Geburtstag reingefeiert hätte – denn Rainhard Okunneck hat auch noch ausgerechnet an Heiligabend das Licht der Welt erblickt, 1968, natürlich in Gevelsberg.

Doch in diesen Zeiten spielt sich das Leben im Konjunktiv ab: Schon die Vorweihnachtszeit in der Erlöserkirche wäre zusätzlich zu den regulären Gottesdiensten und zu den Beerdigungen durch zahlreiche Konzerte geprägt gewesen. „Der Wegweiser-Chor hätte gesungen, ein großes Weihnachtsoratorium, in diesem Jahr der ,Elias‘, wäre aufgeführt worden und ein Evensong mit drei Chören war geplant“, erzählt Rainhard Okunneck. Nichts davon hat stattgefunden. Auch nicht die vielen Proben und Generalproben für das traditionelle Kindermusical, das die Familie Rex stets mit Kindergottesdienst und Musikschule für den Familiengottesdienst an Heiligabend einstudiert.

Gottesdienste abgesagt

Und dann kam der vergangene Donnerstag: Das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Gevelsberg entschloss sich nach intensiven Diskussionen, alle Präsenzgottesdienste bis zum 10. Januar abzusagen (wir berichteten), auch den mit der Freien evangelischen Gemeinde geplanten Open-Air-Gottesdienst auf dem Weststraßen-Parkplatz. „Bis dahin war ja nicht klar, ob Gottesdienste in der Kirche stattfinden werden“, erklärt der Küster. „Wir mussten also einen Plan B haben.“ Er habe bis dahin so gearbeitet, als wäre alles ganz normal.

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© Hartmut Breyer | Hartmut Breyer

Wobei der Lockdown für zusätzlichen Stress sorgte. „Ich wusste nicht, ob Blumenläden öffnen dürfen, deshalb habe ich mir noch schnell vorher ein Gesteck zaubern lassen.“ Nachdem klar war, dass der Verkauf möglich war, habe er zudem Blumenschalen abgegeben, für den Altarschmuck zu Weihnachten. „Nachdem die Gottesdienst-Absage kam, habe ich die Schalen wieder abgeholt und mich im Laden erst mal mit einer Packung Mon Chérie für die Flexibilität bedankt“, sagt der Küster. Der große Weihnachtsbaum, der sonst in der Erlöserkirche steht, ist nun draußen aufgestellt, dafür besorgte Rainhard Okunneck noch schnell eine für den Außeneinsatz geeignete Lichterkette. Die beiden kleinen Bäume will er vor dem Eingangsportal aufstellen.

Immerhin: Am 25. Dezember wird ein Turmbläser zur Weihnacht spielen, den Rainhard Okunneck natürlich nach oben begleiten wird. Außerdem soll das Weihnachtsgeläut wie immer erklingen. Da es keine offene Kirche geben wird, muss der Küster nur ab und zu mal nach dem Rechten schauen, ansonsten hat er Pause.

Seit 23 Jahren ist Rainhard Okunneck Küster der Erlöserkirche, außerdem zuständig für das Gemeindezentrum an der Sudfeldstraße. Früher war er Werkzeugmacher bei der Firma Paul Ferdinand Peddinghaus, die 1996 in Konkurs ging. Als Küster setzt er übrigens die Familientradition fort. Schon sein Vater hatte die Stelle inne, als der in den Ruhestand ging, übernahm seine Mutter. „Dann ging meine Mutter in Rente und ich habe mich beworben“, erzählt Okunneck. Am 1. September 1997 trat er seinen Dienst an. Mein Vater drückte mir damals die Schlüssel in die Hand und sagte: ,Jetzt hast Du das Sagen‘. Das war schon ein komisches Gefühl.“ Doch schnell wuchs er in die Aufgabe hinein, ist längst der gute Geist der Erlöserkirche.

In den Geburtstag wird reingefeiert

Normalerweise sehen die Weihnachtstage für Rainhard Okunneck so aus: Erst wird in den Geburtstag reingefeiert. „Das geht meistens um 20 Uhr, 20.30 Uhr los und endete manchmal um 4 oder 5 Uhr“, so der Küster. „Anders konnte ich ja sonst nicht feiern.“ Dann hoffe er immer, dass kein Schnee fällt, denn in dem Fall müsste er erst einmal rund um die Erlöserkirche räumen. „Ich habe auch schon mal im Anzug geschippt“, meint er schmunzelnd. Um 15 Uhr steht an Heiligabend der erste Familiengottesdienst mit Musical an, der Küster ist natürlich früher da, um alles vorzubereiten.

Im Anschluss muss die ganze Technik, die für das Musical aufgebaut war, verschwinden, der Altarraum hergerichtet, einmal durchgefegt und in den Bänken aufgeräumt werden. Um 17.30 Uhr beginnt der zweite Gottesdienst. Danach werden die Kollekten gezählt, eingetütet und weggebracht, die Zusatzbestuhlung weggeräumt, die Kirche durchgelüftet. „Dann ist es etwa 19.45 Uhr“, so Okunneck. Zeit für einen Kurzbesuch zu Hause. Dort wartet die Familie – sein Ehemann, die hier wohnenden Geschwister, Nichten und Neffen. Etwa ein Dutzend Personen seien sie immer, erzählt der Küster. Schnell die Bescherung, dann essen, dann gegen 22 Uhr wieder los – um 23 Uhr steht die Christmette, meistens mit dem Kantatenchor, an. „Dafür wird die Kirche etwas dunkler gemacht, so dass Weihnachtsbaum, Krippe und Altar noch besser zur Geltung kommen“, sagt Rainhard Okunneck. Im Anschluss ein Plausch mit den Presbytern, aufräumen, alles für den nächsten Tag vorbereiten. „Dann ist es so 1 Uhr, 1.15 Uhr“, meint er.

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© Hartmut Breyer | Hartmut Breyer

Am ersten Weihnachtstag geht es weiter: um 7 Uhr aufstehen, um 9 Uhr an der Kirche, durchlüften, alles in Gang setzen, um 10 Uhr beginnt der Weihnachtsgottesdienst (in diesem Jahr wäre es aus organisatorischen Gründen erstmals um 9.30 Uhr gewesen). Danach wieder aufräumen, dann ist es geschafft. „Mittags ist es für mich dann immer so, als ob der Stecker gezogen wäre“, meint Okunneck. Am zweiten Weihnachtstag findet in der Regel noch ein gesamtgemeindlicher Gottesdienst in der Lukaskirche statt. „Andrea Loetz hat als Küsterin noch mehr zu tun als ich, da findet auch Heiligabend ein Gottesdienst mehr statt“, betont er.

Altar dennoch dekoriert

Am ersten Weihnachtstag wird nach getaner Arbeit mit der großen Familie – zuletzt immer bei seiner Schwester – gefeiert: Rainhard Okunneck hat vier Geschwister, sein Mann Christoph gar acht. „Und am zweiten Weihnachtstag gönnen wir uns einfach nur Zeit für uns“, erzählt er. Ein paar seiner Rituale hat der Küster aber auch in diesen denkwürdigen Zeiten beibehalten. „Ich habe den Altar dekoriert, etwas kleiner als sonst und ohne Blumen, aber das gehört für mich einfach dazu“, berichtet er. Mit einem alten, transparenten Altarbild und den vier Kerzen schuf er eine heimelige Atmosphäre. „Ich habe spontan ein kleines Video davon gedreht, mit etwas Musik dazu, und es an treue Gemeindeglieder verschickt“, erzählt Okunneck. „Da musste ich mir schon ein Tränchen verdrücken.“

„In diesem Jahr feiere ich nur mit meinem Mann, alles andere haben wir abgesagt“, meint Rainhard Okunneck. „Das werden ganz ruhige Weihnachten.“ Trotz allem Stress, den er sonst habe, überwiege bei ihm momentan die Traurigkeit, das nichts stattfinden wird. Heiligabend würden normalerweise insgesamt etwa 1200 Menschen die Erlöserkirche besuchen, denen die Gottesdienste etwas bedeuten. „Persönlich bin ich aber trotzdem froh, dass wir das abgesagt haben“, meint Rainhard Okunneck. „Es wäre ja schlimm, wenn hinterher ein Anstieg der Infektionszahlen mit den Gottesdiensten in Verbindung gebracht würde. Man kann den Menschen jetzt nur ein geruhsames, gesegnetes Weihnachtsfest wünschen – und bleibt alle gesund.“