Gevelsberg. Der Verein „Tiwi Ndogo“ aus Gevelsberg leistet auch während Corona Entwicklungsarbeit in Kenia - aber unter erschwerten Bedingungen.

Sein Herz hat er an Afrika verloren. Mit dem Verein „Tiwi Ndogo“ leistet Silvio Buchholz seit Jahren wertvolle Entwicklungsarbeit in der Nähe der kenianischen Großstadt Mombasa. Im Interview spricht der Fußballer des FSV Gevelsberg über die Vereinsarbeit unter erschwerten Bedingungen – und warum er eine baldige Reise nach Kenia für ein wichtiges Zeichen hält.

Das Jahr 2020 neigt sich dem Ende entgegen. Wie blicken Sie aus Sicht Ihres Vereins „Tiwi Ndogo“ darauf zurück?

Silvio Buchholz: Aus wirtschaftlicher Sicht war es sicherlich das erfolgreichste Jahr – womit auch der Trend seit der Vereinsgründung beibehalten wurde. Wir hatten, glücklicherweise, erneut einen jährlichen Anstieg von Spenden, wodurch wir mehr Geld zur Verfügung hatten. Wir haben einzelne Großspenden erhalten. Dadurch konnten wir den Bau von 20 weiteren Brunnen in Auftrag geben. Die werden nacheinander abgearbeitet. Der Brunnenbauer hat jetzt auf jeden Fall ordentlich was zu tun.

Ist Entwicklungsarbeit unter den weltweiten Corona-Bedingungen denn überhaupt noch möglich wie bisher?

Ja, sie ist möglich. Es ist aber nicht einfacher geworden. Eher sogar komplizierter als es ohnehin schon ist. Wir sehen aber auch durch den ständigen Austausch mit unserem Botschafter vor Ort die absolute Notwendigkeit, weiterhin Hilfe zu leisten und diese auch noch zu intensivieren.

Wie sehr ist Kenia denn überhaupt von der Pandemie betroffen? Was bekommen Sie davon mit?

Wir sind in der Küstenregion tätig. Die ist natürlich stark vom Tourismus abhängig. Das Geschäft ist für die Branchen in den letzten Jahren auch wieder deutlich besser angelaufen. Durch die Folgen der Pandemie haben viele Leute aber ihre Jobs verloren. Die Regierung hat ziemlich rigide Maßnahmen eingeleitet, schon direkt im Frühjahr. Aktuell gibt es noch eine nächtliche Ausgangssperre. Von April bis Oktober fand auch kein Schulbetrieb statt.

Das öffentliche Leben ist in Kenia also auch stark eingeschränkt?

Ja. Und es gibt auch noch die eine oder andere „kreative“ Regelung, zum Beispiel, dass Fahrzeuge nur zu 50 Prozent ausgelastet sein sollen. Das ist sicherlich auch eine Anspielung auf die ständig überfüllten Matatus, die typischen Sammeltaxis.

Ihr Verein widmet sich ja der Versorgung mit Trinkwasser durch Brunnenbau, der Schulbildung und der medizinischen Versorgung bedürftiger Menschen. Kamen durch die Pandemie denn neue Betätigungsfelder dazu?

Nicht direkt. Aber die Prioritäten haben sich aufgrund der Situation extrem verschoben. Als wir letztes Jahr mit den Leuten vor Ort gesprochen haben, da war eigentlich die einhellige Meinung, dass der Brunnenbau oberste Priorität hat. Durch die Kündigungen und die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation hat sich aber unser Projekt „Pflaster drauf!“ neben den Bau von Brunnen geschoben. Da haben wir ab März direkt unsere Unterstützung stark angepasst, um die Soforthilfen für die Menschen zu gewährleisten. Das hat insbesondere die Abgabe von Nahrungsmitteln als auch die Kostendeckung für medizinische Behandlung betroffen.

Wie schwer fällt die Entwicklungsarbeit denn, wenn man nur sehr selten vor Ort sein kann?

Das läuft von Jahr zu Jahr besser. Anfangs gab es natürlich, ganz neutral gesagt, ein paar Unterschiede. Wir Deutschen sind natürlich sehr auf Ordnung und Organisation getrimmt, Stichwort „deutsche Gründlichkeit“. Die trifft dann auf die afrikanische Gelassenheit. Das muss man irgendwie miteinander vereinbaren. Als Verein haben wir den Anspruch, für unsere Sponsoren und Spender auch gute Arbeit zu leisten. Unser Botschafter in Tiwi hat daher einiges an deutschen Tugenden dazu gelernt. Wir haben dafür etwas von der afrikanischen Gelassenheit angenommen. Manchmal dauert es eben etwas länger. Hauptsache ist, dass es dann doch klappt. Wir sind froh, dass wir verlässliche und loyale Botschafter vor Ort haben, die unsere Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen in Kenia für uns erledigen.

Mit dem Tiwi-Ndogo-Cup haben Sie das mutmaßlich größte Amateurfußballturnier Kenias etabliert. Das findet immer im Januar statt. Wird es 2021 auch ein Turnier geben?

Wir haben das Turnier für 2021 schweren Herzens schon relativ frühzeitig abgesagt. Die Entwicklung war ja absehbar, so dass die Leute nicht vor den Kopf gestoßen werden sollten, wenn wir eine Woche vorher erst abgesagt hätten. Wir haben uns schon vor mehreren Monaten dazu entschieden, dass das nicht zu verantworten ist – und dass ein Fußballturnier ein falsches Zeichen in der jetzigen Situation wäre.

Welche Projekte stehen für das kommende Jahr an? Und wann wollen Sie selbst wieder nach Kenia reisen?

Unsere Projekte bleiben grundsätzlich bestehen. Wir haben uns, als kleiner Verein, dazu entschieden, dass wir eher auf Konzentration als auf Expansion setzen – und dass wir unsere bisherigen drei Projekte optimieren wollen. Ende Dezember werden, Stand jetzt, vier Mitglieder nach Kenia fliegen.

Trotz der Pandemie?

Nicht „trotz“, sondern gerade „wegen“ der Pandemie. Wir denken, es ist wichtig, in dieser Situation Präsenz zu zeigen. Wir wollen den Menschen sagen: „Hey, Leute, wir sind für euch da! Wir kümmern uns um eure Probleme!“ Von der Regierung konnten die Menschen nicht viel erwarten. Wir haben dafür einige Projekte verwirklicht – mehr als es die Politiker versprochen haben. Die Leute vertrauen uns, sie verlassen sich auf uns. Wir möchten ein Zeichen setzen, dass wir weiter dort tätig sein wollen und unsere Anstrengungen verstärken wollen.

Haben Sie denn bei einer Reise nach Afrika kein mulmiges Gefühl? Bei allem Respekt: Die Standards unterscheiden sich ja doch gegenüber denen in Deutschland?

Grundsätzlich habe ich seit Beginn der Pandemie auch bei uns ein mulmiges Gefühl, weil man sich ja auch hier jederzeit infizieren kann. Wir werden vor Ort in Kenia versuchen, uns bestmöglich zu schützen. Maske tragen. Abstand wahren. Was in Tiwi ein Vorteil ist: ein Großteil des Lebens spielt sich draußen ab. Ich habe aber auch mitbekommen, dass sich die Hygiene dort verbessert haben soll und dass die Einheimischen ein besseres Bewusstsein dafür entwickelt haben sollen.

Kurz & Knapp:

Kenia oder Mallorca?

Definitiv Kenia. Ich liebe Afrika und die Menschen dort. Und unsere Arbeit, die wir für die Menschen leisten. Mit 18 oder 19 hätte ich die Frage vielleicht noch anders beantwortet

Ugali oder Schnitzel?

Ugali habe ich erst ein-, zweimal gegessen. Ist nicht so meins. Da bin ich eher auf europäische Küche getrimmt.

Großspende oder viele kleinere Spenden?

Lieber viele kleine Spenden. Großspenden sind sehr wichtig. Aber bei vielen kleinen Spenden steigt die Bekanntheit unseres Vereins und mehr Leute erfahren von unserer Arbeit.

Rasen im Stefansbachtal oder Stoppelfeld in Tiwi?

Man wird ja auch älter. Da steigt das Verletzungsrisiko. Wenn ich in Tiwi auf dem Acker über eine Wurzel stolpere, hole ich mir einen Bänderriss. Also lieber der Rasen im Stefansbachtal.

Steckbrief Silvio Buchholz:

Silvio Buchholz ist am 17. Januar 1989 in Wittenberg in der damaligen DDR geboren. Er ist aktuell also 31 Jahre alt.

Nach der Bundeswehr ging er zur Polizei. Heute arbeitet er bei der Polizei in Hagen.

Buchholz spielt Fußball beim FSV Gevelsberg, wo sein Vater Roberto der 1. Vorsitzende ist.

Den kleinen Verein „Tiwi Ndogo“ hat er mit Freunden und Arbeitskollegen gegründet.