Ennepetal. Der in Ennepetal groß gewordene Schauspieler und Regisseur Jürgen Genuit darf sich auf eine hohe Auszeichnung freuen.
Im Haus Spreeler Weg 15 in Königsfeld ist Jürgen Genuit mit seiner Schwester und seinem Bruder groß geworden. Der jetzt 55 Jahre alte Schauspieler und Regisseur, der seit seinem 22. Lebensjahr in Bordeaux (Frankreich) lebt, hat zwar täglich per „Skype“ Kontakt mit seiner Mutter Gerda Genuit (92), aber seit einigen Wochen ist er auf Heimatbesuch. Mutter und Sohn unternehmen kleine Spaziergänge. Mit dem Auto geht es auch zu besonders schönen und interessanten Orten. Diese Zeitung besuchte den Schauspieler in Königsfeld. Er erzählte von seiner Schulzeit als Grundschüler in Rüggeberg („das Lehrerehepaar Breyer ging mit uns immer schwimmen“), vom Besuch der Hauptschule Harkort, schwärmte von der damals jungen Lehrerin Frau Kuhn, die dafür sorgte, dass er zum Reichenbach-Gymnasium wechseln konnte und 1985 mit dem Abitur abschloss. Ein Treffen mit dem jetzigen Reichenbach-Chef Dr. Stefan Krüger fand auch schon statt.
Am Sonntag fährt Jürgen Genuit mit dem Auto zurück nach Bordeaux. Dort steht bald eine große Ehrung für ihn an. Er bekommt das Bundesverdienstkreuz, verliehen vom Bundespräsidenten und überreicht von der Generalkonsulin Gräfin von Roedern.
Wie sind Sie bisher durch die Corona-Zeit gekommen?
Jürgen Genuit: In Bordeaux haben wir ein Haus mit kleinem Garten und viele Geschäfte in direkter Nachbarschaft. Wir haben uns schnell auf den Lockdown einstellen können. Viele Dinge, selbst Theaterproben mit dem professionellen Team oder mit Schülern, habe ich über Internetprogramme weitergeführt. Not macht erfinderisch: Einen Brecht-Text habe ich mit einer französischen Abiturklasse über „Skype“ zu einem Film zusammengestellt.
Sie haben sich auf Wunsch der Bürgermeisterin Imke Heymann in das Goldene Buch der Stadt eingetragen. Waren Sie überrascht?
Ja! Eine solche Ehre und die Auszeichnung selbst wecken das Bewusstsein über das Geschaffene und die Verantwortung über das, was man noch leisten möchte!
Haben Sie bei ihrem jetzigen Besuch des Elternhauses schon mit ehemaligen Nachbarn und Bekannten gesprochen?
Die offizielle Übergabe des Bundesverdienstkreuzes findet ja erst noch in Bordeaux durch die Generalkonsulin Gräfin von Roedern statt. Ich habe bisher nur mit sehr wenigen Familien und mit guten Freunden gesprochen, die aber in Rüggeberg und Wuppertal wohnen. Die Überraschung ist bei allen sehr groß, genau wie meine eigene auch war und noch immer ist. Irgendjemand hat mich zu dieser Auszeichnung vorgeschlagen und ich weiß immer noch nicht, wer!
Wie sind Sie zur darstellenden Kunst gekommen, durch Elternhaus, Schule oder durch Theaterbesuche?
Mein Vater hatte eine sehr musische Ader. Meine Mutter hat mir sicher die Sensibilität mit in die Wiege gelegt. Bildende Kunst gehörte zu meinen Abiturfächern. Am Reichenbach-Gymnasium habe ich in den Abschlussjahren auch den Theater- bzw. Literaturkurs belegt. Es gab natürlich Theaterbesuche. Pina Bausch war hier eine markante Erfahrung. Später habe ich in Wuppertal am Kindertheater unter der Leitung von Herwig Mark mitgewirkt. So fing alles an…
Wie trat die französische Stadt Bordeaux in Ihr Leben?
In meinem Zivildienst war ich in Wuppertal bei einer jungen Frau, die im Rollstuhl sitzt, beschäftigt. Daraus entwickelte sich schnell eine Freundschaft, die bis heute andauert. Mit weiteren Freunden von ihr fuhren wir im Sommer 1987 in den Südwesten Frankreichs, und dort habe ich eine Bekanntschaft gemacht, über die ich dann nach Bordeaux kam. Ich schloss mich einer freien Theatergruppe an. 1988 wurde ich zur Theaterausbildung am dortigen Konservatorium angenommen.
Sie sind in Bordeaux der künstlerische und auch der pädagogische Leiter der Theatergruppe Theàtr’Action und gelten in der Welt der Kulturschaffenden als Textvermittler. Was ist darunter zu verstehen?
Die Hauptaufgabe meiner Gruppe ist darin festgelegt, deutschsprachige Autoren in Frankreich bekannt zu machen. Das geschieht erstrangig über Inszenierungen mit dem professionellen Team. In den letzten Jahren haben wir uns besonders zeitgenössischen Jugendautoren zugewandt, wie z. B. Kai Hensel und Lutz Hübner. Da diese Autoren in Frankreich nicht bekannt waren, habe ich selbst die Texte übersetzt. Wir versuchen die Sichtweise des deutschen Lebens, die die Texte beinhalten, den Franzosen nahe zu bringen: Durch den Blick auf den Anderen erkenne ich erst genauer, wer ich selbst eigentlich bin. Die Relation Frankreich-Deutschland hat auch historisch einen starken symbolischen Wert.
Sie organisieren auch sozial engagierte Projekte und vermitteln dabei die Theaterwelt jungen Leuten und behinderten Menschen. Was hat Sie zu dieser Arbeit geführt?
Wenn man selbst einmal in der Position des ,Ausländers’ steht, bemerkt man, wie schnell Herkunft mit Vorurteilen beladen werden kann. Es geht mir darum zu unterstreichen, dass der Unterschied des Anderen keine ,Bedrohung’, sondern eine Bereicherung darstellen kann, wenn gesunde Neugier und gegenseitiger Respekt da sind. Die intime Kultur liegt im Anderssein verborgen. Der Blickwinkel eines behinderten Menschen z.B. bringt mich dazu, die Welt aus einer Perspektive zu betrachten, in der ich sie sonst nie sehen würde.
Ihre Theatergruppe beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Problemen, u.a. mit dem Miteinander von Menschen. Ihr Herzenswunsch wäre…
...dass ein breites Publikum unsere Stücke sieht, besonders jugendliche Zuschauer, und dass sie die grundlegenden mitmenschlichen Werte, die wir mit unserer Arbeit vermitteln wollen, verinnerlichen und weiter tragen!
In Berlin spielten Sie in dem deutsch-französischen Stück „Utopia 89 – Wir sind das Volk“ von Frèdèrik Barriera. Es geht um das Ereignis vom 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz in Berlin, als fast eine Millionen Menschen Theater- und Filmleuten sowie Wissenschaftlern und Theologen lauschten, die in der DDR Reformen forderten. Was ist Ihr Traum von einem Deutschland?
In Westdeutschland erinnern sich wenige Menschen an diese Demonstration. Geld sollte grundsätzlich im Dienste des Menschen stehen und nicht umgekehrt. Wenn uns dieser Gedanke leitet, kommen wir unserer Freiheit sicher wieder näher. Deutschland sollte Motor einer solchen freien, sozial-gerechten, modernen Gesellschaft sein. Nicht nur Unternehmen, sondern vor allem Wissenschaftler, Philosophen, Künstler und Denker sollten auch in Zukunft unseren Reichtum ausmachen!
Karl Georg Büchner, bedeutender Literat im 19. Jahrhundert, beschäftigte sich in seinem Theaterstück „Dantons Tod“ mit der Französischen Revolution. Das war auch Thema in Ihrem Theater. Welche ist Ihre Botschaft?
Wir sind alle Menschen und gehören zu einem Ganzen. Diese Erkenntnis sollte uns immer daran erinnern, unsere Existenz in eine Relativität zu stellen. Die Französische Revolution hat die Grundprinzipien des demokratischen Gedankens - Freiheit! Gleichheit. Brüderlichkeit! – hervorgebracht, von denen wir alles ableiten können: Gerechtigkeit, Solidarität spielen für mich eine grundlegende Rolle. Und, dass wir auf das schauen, was uns verbindet, nicht auf das, was uns trennt!
Zurück nach Ennepetal, zum Reichenbach-Gymnasium, das Sie besuchten. Haben Sie schöne Erinnerungen an Ihre Schulzeit?
Die Erinnerung an meine Schulzeit ist sehr positiv. Ich denke dabei an Mitschüler, aber auch an Lehrer. Diese stehen, wie Künstler, in einer Vermittlerrolle. Ich möchte ihnen sagen: Ihr habt es richtig gemacht. Danke für die Werte und Weltbilder, die Ihr vermittelt habt. Dies gilt auch meiner Lehrerin der früheren Hauptschule Harkort, Frau Kuhn, die den entscheidenden Impuls dazu gab, dass ich nach dem 5. Schuljahr ans Gymnasium wechseln konnte. Bei ihr würde ich mich noch einmal gerne persönlich bedanken. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Bildung ist eine Chance, Träume zu verwirklichen.
In Ihren Inszenierungen geht es oft um Europa. Wie soll das Europa der Zukunft aussehen?
Es muss immer den Menschen in den Mittelpunkt stellen, das Miteinander. Ein Europa der Neugier, der Diversität, des Kulturreichtums, ein Europa der Bildung und Forschung, ein soziales Europa des Friedens, das sich beispielhaft für Offenheit und höchste mitmenschliche Werte einsetzt. Ein Europa, das es schafft unsere Unterschiede als eine immens kreative Fundgrube aufzuwerten.
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Wenn Sie Ihre Heimat besuchen, wie sehen Sie dann Ennepetal?
Ich bedaure, dass selbst hier wieder Gedanken der allgemeinen Spaltung aufgelebt sind. Die Stadt wurde aus verschiedenen Ortsteilen zusammengeschlossen, auch dies ist eine Bereicherung. Ennepetaler sind grundsätzlich offene, großzügige Leute mit menschlicher Intelligenz. Ganz besonders liebe ich aber auch die unglaublich schöne Natur hier. Jeder sollte sich auf seiner Ebene der Umwelt gegenüber verantwortlich zeigen!