Ennepe-Ruhr. Die Frauenberatung und Polizei im EN-Kreis stellen während der Corona-Krise einen Anstieg bei häuslicher Gewalt fest.

Mehrere Wochen lang dienten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen dem Schutz der Bürger. Das Ziel: Die weitere Ausbreitung des Coronavirus verhindern. Gleichzeitig befürchteten Experten, dass die Fälle von häuslicher Gewalt in Beziehungen und Familien dadurch steigen könnten. Dazu zählte auch der Runde Tisch EN gegen häusliche Gewalt: „Nicht, weil wir schwarz sehen, sondern weil das unsere Erfahrung zeigt“, sagt Andrea Stolte, Leiterin der Frauenberatungsstelle in Schwelm. „In Krisensituationen eskaliert es oft eher als unter normalen Bedingungen.“

Und die Erfahrung hat sich bestätigt. Waren die Anfragen von Betroffenen zu Beginn der Pandemie bis etwa Mitte April noch „nicht überproportional hoch“, sind sie mit den Lockerungen im vergangenen Monat um 30 bis 40 Prozent gestiegen, so Stolte. Vorher hätten die Frauen weniger Chancen gehabt, sich zurückzuziehen, „wenn der Mann zum Beispiel ins Kurzarbeit ist“.

Auch interessant

Die Kreispolizeibehörde verzeichnet in ihrer Statistik ebenfalls einen Anstieg von Einsätzen im Bereich häuslicher Gewalt, wie Polizeisprecherin Sonja Wever auf Nachfrage dieser Zeitung mitteilt: „Von Januar bis Mai waren es 132 Einsätze. Das sind 37 mehr als im Vergleichszeitraum 2019.“ Doch lasse sich die Zunahme nicht unbedingt auf die Corona-Krise zurückführen: „Das können wir erst sehen, wenn wir wissen, wann die Zahlen wieder sinken“, erklärt sie. Trotzdem: Laut einer repräsentativen Umfrage der Universität München mit 3800 Frauen wurden 3,1 Prozent der Befragten im März Opfer körperlicher Gewalt. 3,6 Prozent geben an, von ihrem Partner vergewaltigt worden zu sein. Woran liegt das? „Da ist zum einen die Isolation und zum anderen die Überforderung. Die Kinder sind mit im Haus, das bedeutet Stress. Dazu kommen noch finanzielle und berufliche Sorgen. Diese Belastung der Familie wird dann häufig über Gewalt reguliert“, sagt Stolte. „Ein gewalttätiger Partner hat zudem viel mehr Möglichkeiten, die Frau zu kontrollieren, wenn er nicht arbeitet“, ergänzt sie. Denn Frauen erleben nicht nur körperliche, sondern auch psychische Gewalt in Form von Demütigungen, Beleidigungen und Bevormundungen.

Zu wenig Frauenhaus-Plätze

Ein großes und zunehmendes Problem sei auch die digitale Gewalt im Netz, sprich das Posten von intimen Fotos sowie massives Mobbing. „Viele Menschen denken nur an das blaue Auge, aber es viel mehr. Und die Auswirkungen auf die Gesundheit sind oft weitreichender als bei leichten, körperlichen Verletzungen“, sagr die Diplomsozialwissenschaftlerin. Hilfsangebote wie die Frauenberatungsstellen bieten Betroffenen Unterstützung an. Andrea Stolte und ihre Kolleginnen hören zu, informieren, und vermitteln. Kostenlos. Wenn die Gefahr akut ist, die Frauen – und Kinder – also dringend Schutz benötigen, gibt es die Möglichkeit, in ein Frauenhaus zu ziehen. „Aber das entscheidet allein die Frau, ob sie diesen Schritt gehen will“, betont Stolte.

Auch interessant

Von Ende April bis Ende Mai seien allein 18 Anfragen beim Frauenhaus des Kreises in Sprockhövel eingegangen. 35 Plätze stehen dort für Frauen und Kinder zur Verfügung. Fünf Frauen hätten noch einen Platz bekommen. Das Haus ist voll. Und das ist oft die Regel. „Wir haben zu wenig Frauenhaus-Plätze, aber das betrifft ganz Deutschland“, erklärt sie 58-Jährige. Ein weiteres Problem: Die Frauen müssen, sofern sie eigenes Geld verdienen, den Aufenthalt selbst zahlen. „Dass Opfer von Gewalt dafür zahlen müssen, Schutz zu suchen, ist nicht in Ordnung“, kritisiert Stolte das Fehlen eines bundesweit einheitlichen Finanzierungssystems. Der Schritt ins Frauenhaus erfordert Mut und ist nicht ungefährlich: „Weil der Täter merkt, dass seine Einflussnahme geringer wird. Wenn die Frau ihn wirklich verlässt, wird er oft extrem gewalttätig“, weiß die Sozialwissenschaftlerin aus Erfahrung. Und dennoch gibt es sie: die Frauen, die wieder zu ihren Partner zurückkehren. Ein Misserfolg? „Wer wären wir, das zu beurteilen? Das können und wollen wir uns nicht anmaßen“, sagt Stolte.