Gevelsberg. Das Gebäude Mittelstraße 100a in Gevelsberg galt als Schandfleck. Früher kauften hier Menschen ein. Eine frühere Mitarbeiterin erinnert sich.
Die Mittelstraße 100a hat schon viel erlebt. In den vergangenen Jahren war sie vor allem als Schandfleck bekannt. Zuletzt war hier eine Shishabar zu finden. Davor hatte ein Bioladen versucht, dort Fuß zu fassen. Seit kurzem ist das Gebäude Geschichte. Rahn Immobilien baut hier ein Wohnhaus. Vielen Gevelsbergern dürfte die Adresse aber noch als alter Aldi-Markt in Erinnerung sein. Renate Krämer hat dort viele Jahre gearbeitet. Die heute 69-Jährige weiß noch viel aus dieser Zeit zu erzählen.
1982 hat Krämer als Vertretungskraft in der Aldi-Filiale an der oberen Mittelstraße angefangen. Sie erinnert sich daran, dass Kunden zu dieser Zeit zwischen 800 und 900 Artikel kaufen konnten. „Ich bin damals mit einem großen Heft in den Laden und habe mir zu jedem Artikel den Preis aufgeschrieben“, sagt Krämer. „Das habe ich dann zuhause auswendig gelernt.“
Preise per Hand eingegeben
Die Preise mussten damals noch per Hand in die Kasse eingegeben werden. Erst Jahre später kamen die sogenannten PLU-Nummern – ein „Preis-Nachschlage-Code“ zu jedem Artikel. Anhand dieser Nummern errechnete die Kasse den Preis automatisch. Aber auch die PLUs musste Krämer damals wissen. Mit Hilfe von Fotokärtchen lernte sie die passenden Nummern zu den Artikeln zuhause wieder auswendig. Heute wird so gut wie alles einfach eingescannt. Als Aldi freiverkäufliche Medikamente in sein Sortiment aufnahm, musste die frühere Mitarbeiterin deren Bestandteile kennen. Sie legte dafür sogar eine Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer ab.
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Körperlich wurden die Gevelsbergerin und ihre Kollegen genauso gefordert. „Wir haben die Paletten noch mit einem manuellen Hubwagen gezogen“, weiß sie noch und lacht. Das Lager der Filiale habe sich im Keller befunden. Über einen Aufzug sei es mit der Ware dann nach oben gegangen. Später erleichterten elektronische Hubwagen diese Arbeit. Auch die Einkaufswagen brachten sie vom Parkplatz, der über die Haßlinghauser Straße erreichbar war, mit dem Aufzug wieder nach oben in den Laden. „Wenn es oben keine Wagen gab, war das Geschrei groß“, so Krämer. Heute kann sie darüber lachen.
Mittlerweile wahrscheinlich unvorstellbar: Die Mitarbeiter brachten die Einnahmen der Filiale damals noch zu Fuß zur Bank. „Dafür haben wir die Stahlkassetten in einen Leinenbeutel getan und sind in unserer Privatkleidung damit zur Bank“, sagt Krämer. „Da waren zum Teil zwischen 10.000 und 20.000 D-Mark drin.“ Das in kleinen Rollen verpackte Kleingeld für die Kassen holten sie ebenfalls selbst von der Bank ab – in Brotkörben. Später übernahm eine Firma den Geldtransport.
Besonders gern erinnert Renate Krämer sich noch an ihre Kunden. „Die haben sich gerne bei mir an der Kasse angestellt“, blickt sie zurück. „Ich hatte immer Süßigkeiten und habe den Kindern etwas gegeben.“ Auch die Kunden scheinen die 69-Jährige noch in guter Erinnerung zu haben. Bis heute werde sie hin und wieder noch von ihnen angesprochen, sagt Krämer. Dann stellt sie fest, wie die Zeit verfliegt: „Wie viele kleine Kinder habe ich damals an der Kasse gesehen, die heute groß sind?“
Beim Einkauf geschämt
Die Aldi-Filiale an der Mittelstraße sei gut besucht gewesen. „Wir hatten sehr unterschiedliches Publikum, es kamen auch Ärzte und Rechtsanwälte“, sagt die heutige Rentnerin. Nicht alle wurden gerne beim Einkauf dort gesehen. „Manche haben die Aldi-Plastiktüten umgedreht, weil sie sich geschämt haben“, erinnert sie sich.
Anfang der 00er Jahre sei die Filiale schließlich geschlossen worden. Für Renate Krämer ging es dann in die neue und modernere Filiale an der Haßlinghauser Straße. „Da gab es sogar Scannerkassen“, sagt sie. Dort arbeitete sie noch bis 2007. Heute erlebt sie Lebensmittelgeschäfte nur noch aus der Kundenperspektive. Mit Blick auf die aktuelle Situation, ist sie sogar ein bisschen froh darum.