Schwelm. Zwei Geldautomaten der Sparkasse sind gesprengt worden. Das LKA rechnet die Schwelmer Fälle einem niederländischen Netzwerk zu.
Der Knall ist ohrenbetäubend. Der Boden zittert. Ein Auto fährt vor. Junge Männer rennen in die Trümmer, suchen, finden, beladen den 400-PS-Boliden. Reifen quietschen und in halsbrecherischem Tempo rasen die Kriminellen mit einem Kofferraum voller Bargeld davon, bevor die Polizei am Tatort ist. Wieder einmal haben sie einen Geldautomaten in Schwelm in die Luft gejagt. Das vierte Mal in nur einem Jahr. Dazu kommen ein paar gescheiterte Versuche.
Doch wer sind die Männer, die die deutsche und niederländische Polizei seit Jahren in Atem halten? Einige von ihnen sitzen mittlerweile hinter Gittern, andere sind auf der Flucht in den Tod gerast. Dennoch hat dies kaum Einfluss auf die Taten der Männer, die seit Jahren für Aufsehen sorgen und in den Medien als „Audi-Bande“ einen zweifelhaften Ruhm erlangten.
Die Spurensuche nach den Schwelmer Geldautomatensprengern beginnt vor einigen Jahren in den Niederlanden – genauer in den Vororten von Utrecht und Amsterdam. Dort leben zahlreiche junge Männer mit niederländischem Pass, deren Wurzeln in Nordafrika – überwiegend in Marokko – liegen. Sie beginnen damit, ihren Lebensunterhalt mit dem Sprengen von Geldautomaten zu verdienen. Ein einträgliches Geschäft, das bald in einem Wettrüsten gipfelt. Die Banken entwickeln immer bessere Sicherheitstechniken, die Kriminellen werden immer geübter, diese zu umgehen.
Mit 250 Sachen in den Tod
Sie jagen die Automaten meist mit einem Gemisch aus Propan- oder Butan-Gas mit Sauerstoff per Fernzündung in die Luft, schnappen sich die Geldkassetten. Vor allem die sicheren holländischen Automaten haben dafür gesorgt, dass die Männer, sich nach Deutschland orientiert haben. Frank Scheulen, Erster Kriminalhauptkommissar und Pressesprecher des Landeskriminalamts NRW erläutert: „In den Niederlanden haben Präventionsmaßnahmen soweit gegriffen, dass die Anzahl der Taten stark reduziert werden konnte, wobei auch diese Zahlen in der Vergangenheit Schwankungen unterlagen. Das Suchen neuer Tatgelegenheiten führte die Täter vor mehreren Jahren nach Deutschland. Hier waren diese Taten bis dato nur vereinzelt und regional begrenzt begangen worden. Zudem spielen die hohe Anzahl von Geldautomaten in NRW – etwa 11.000 – und die gute Verkehrsinfrastruktur eine Rolle, die Täter nutzen oft hochmotorisierte Pkw, um mit extremer Geschwindigkeit vom Tatort zu fliehen.“ Über das engmaschige Autobahnnetz ist es ihnen oft ein Leichtes, in die Niederlande zu entkommen. Die Tatfahrzeuge sind zumeist gestohlen wie auch die verbauten Kennzeichen, die sich die Täter fast immer erst in Deutschland beschaffen.
Bande hat bis zu 500 Mitglieder
Dafür benutzen sie vorwiegend hochmotorisierte Audis, was ihnen in den Medien bald den Namen „Audi-Bande“ einbrachte -- auch in den Schwelmer Fällen kamen diese Ingolstädter Hochleistungswagen zum Einsatz. Die Ermittlungsbehörden fokussieren sich seit dem Jahr 2015 deutlich stärker auf die Gruppe, das LKA hob die Ermittlungsgruppe „Heat“ aus der Taufe, um den Gangstern endlich auf die Spur zu kommen. Parallel dazu intensivierten niederländischen Polizei- und Justizbehörden mit den hiesigen Behörden ihre Zusammenarbeit, um dieses Phänomen zu bekämpfen. „Diese Zusammenarbeit war bislang sehr erfolgreich und hat zu vielen Tatklärungen und Festnahmen geführt“, sagt Frank Scheulen. Eine dieser Verhaftungen fand unlängst auf Schwelmer Boden statt, wo die Polizei den Fahrer eines flüchtenden Audi RS3 auf der Autobahn rammte und verhaftete. Alles deutet darauf hin, dass er an der Sprengung eines Automaten in Hagen beteiligt war. Dennoch ist trotz solcher Erfolge kaum ein Abreißen der Anschläge auf Geldautomaten zu erwarten. Die Kaderschmiede in den holländischen Vororten funktioniert dafür zu gut. Und: Es ist keine klassische Bande. „Wir bezeichnen die Gruppierung, die aus 300 bis 500 Mitgliedern besteht, als fluides Netzwerk mit flachen Hierarchien“, erläutert Scheulen und konkretisiert: „Man kann hier nicht von einer klassischen Bandenstruktur sprechen. Diese würde sich nach einer Zerschlagung und Inhaftierung des größten Teils der Mitglieder im besten Fall nicht mehr neu formieren. Genau das unterscheidet die hier handelnden Täter von der Bande im engeren Sinne.“
Die Taten sind für die Männer lukrativ; Risiken wie Inhaftierungen oder den Tod nehmen sie in Kauf. Zuletzt zerlegten zwei Räuber ihren Wagen und sich selbst an einem ausscherenden Lkw, als sie bereits über die Grenze zurück in den Niederlanden waren. Zuvor hatten sie eine Automaten im Emmerich gesprengt und waren mit bis zu 250 Stundenkilometern geflüchtet. Die Summen, die sie erbeuten, sind enorm. Die Banken sprechen darüber zwar generell nicht, aber aus den Akten der zahlreichen Gerichtsverfahren erschließt sich: In einen Automaten passen bis zu 500.000 Euro. Bei den verhandelten Taten flüchten die Verbrecher meist mit Summen, die die Kreditinstitute zwischen 100.000 und 250.000 Euro als Schaden angeben.
Mit Gas und Festsprengstoff
Dazu kommen noch erhebliche Gebäudeschäden. So musste nach der Explosion in der Schwelmer Commerzbank zunächst ein Statiker das ramponierte Gebäude mit dem total zerstörten Erdgeschoss begutachten. „Der Ennepe-Ruhr-Kreis, Hagen und das Ruhrgebiet sind betroffene Bereiche, wir verzeichnen jedoch auch Taten insbesondere im grenznahen Bereich zu den Niederlanden und am Niederrhein. Es ist davon auszugehen, dass die Täter sich die Tatgelegenheiten nach der Geeignetheit der Tatobjekte und nicht nach einem regionalen Schwerpunkt suchen“, sagt der LKA-Sprecher.
Die Täter stammen zum großen Teil aus kriminellen Subkulturen, in denen (re-)sozialisierende Maßnahmen der Gesellschaft, wie zum Beispiel Personen dort herauszulösen, nur sehr schwer greifen können. Wohl auch, weil sie oft nichts anderes gelernt haben. Dafür sind sie jedoch in ihrem kriminellen Handwerk ausgesprochen professionell. Denn sie sind dazu in der Lage, mit durchaus unterschiedlichen Methoden den Automaten zu Leibe zu rücken. Bei den beiden Sprengungen des Sparkassen-Automaten an der Barmer Straße in Schwelm jagten sie diesen beim zweiten Mal klassisch mit Gas in die Luft.
Beim ersten Mal schienen sie gewusst zu haben, dass der ursprüngliche Automat eine Vorrichtung besessen hatte, bei der ein Sensor erkennt, wenn Gas in das Gerät eingeleitet wird. Folge: Über ein System wird das Gas herausgeblasen, so dass im Automaten kein zündfähiges Gemisch entsteht. Hier gingen sie gezielt mit Festsprengstoff vor. Ob dieser aus der Baubranche oder gar aus militärischen Beständen stammt, ist nicht bekannt.
Niederländer sind absolute Profis
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„Trittbrettfahrer gab es und gibt es immer wieder, diese treten aber nur vereinzelt auf und weisen in vielen Fällen nicht die gleiche Herangehensweise wie die NL-Täter auf“, teilt der Experte des Landeskriminalamts auf Nachfrage dieser Zeitung mit. „Oft verfügen sie nicht über das erforderliche Know how, um erfolgreich Geldautomaten sprengen zu können“, zeigt er die Qualitätsunterschiede auf. Daher steht für die Ermittler fest: „Der größte Teil der in der Vergangenheit begangenen Taten, inklusive der Taten in Hagen und Schwelm rechnen wir den professionellen Geldautomatensprengern aus den Niederlanden zu.“ Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis es das nächste Mal knallt.