Gevelsberg. Der Gevelsberger Tobias Kammann ist Kapitän eines großen Containerschiffs. Das Coronavirus begleitet ihn und seine Crew bei ihrer Arbeit täglich.
Vielfach hat diese Zeitung darüber berichtet, wie die Pandemie das Leben in Gevelsberg einschränkt. Darüber, wie sie Gastronomie und Einzelhandel trifft. Auch darüber, wie Menschen privat mit der Situation umgehen. Ein Gevelsberger, der auf eine ganz andere Weise davon betroffen ist, befindet sich aktuell aber sehr weit weg von der Stadt und damit auch von seiner Familie. Tobias Kammann ist Kapitän des Containerschiffs „Essen Express“. Im Moment befinden sich der 39-Jährige und seine Crew im indischen Ozean auf dem Weg von Jeddah in Saudi Arabien nach Singapur. Auf ihrer monatelangen Reise ist Corona für sie allgegenwärtig – sei es beim Ablauf in den Häfen oder beim Besatzungswechsel.
Viele Beschränkungen
Um die Ausbreitung des Virus’ zu stoppen, haben viele Häfen rund um den Globus Beschränkungen und Regeln erlassen, die eine Einreisesperre oder zumindest eine mehrwöchige Quarantäne für alle Einreisenden umfassen. Für Seeleute, die nach einer Reise nach Hause wollen, fehlen zudem Flugverbindungen in ihre jeweilige Heimat. Die Crews werden deshalb meist nicht mehr wie gewohnt getauscht, sondern bleiben an Bord. „Wir sind in der glücklichen Position, dass wir Mitte Februar noch einen regulären Besatzungswechsel in Singapur hinbekommen haben“, sagt Tobias Kammann. „Dadurch haben wir noch keine Kollegen, die extrem überfällig sind“.
Auf See versuchten sie, die ganz normale Bordroutine aufrecht zu erhalten. „Mittags wird bei allen Temperatur gemessen und ansonsten geht alles seinen Gang. Die Stimmung an Bord ist immer noch gut“, erklärt der Kapitän. „Aber je länger die Probleme mit den Besatzungswechseln und dem Landgangsverbot andauern, umso mehr drängt das Ganze in den Fokus.“ Um ihren Job vernünftig und normal ausüben zu können, bräuchten sie die Möglichkeit, die Besatzung verlässlich und ohne riesige Hürden zu wechseln.
„Die Kollegen an Land müssen wieder an Bord kommen, um Geld zu verdienen, und die an Bord müssen nach Hause zu ihren Familien kommen können“, veranschaulicht der Gevelsberger die Problematik. Er selbst ist Mitte Dezember in Busan (Südkorea) eingestiegen. Seine Frau ist mit der gemeinsamen Tochter (8) in Gevelsberg. „Natürlich macht sich die Familie zuhause Sorgen“, weiß Kammann. „Gerade, wo wir in diesem speziellen Service alle Corona-Hotspots außer den USA anlaufen.“
Knackpunkt Hafen
Objektiv betrachtet sei es an Bord aber wesentlich einfacher, sich zu isolieren und von anderen getrennt zu halten als an Land. „Knackpunkt sind bei uns die Häfen und die Besatzungsmitglieder, die durch die Arbeit mit Leuten von Land Kontakt haben“, sagt der Kapitän. Viele Häfen versuchten, so viel wie möglich per Mail zu erledigen. Jeder normale Besuch und jede Unterschrift, die sich per Mail oder Telefon klären lasse, werde digital erledigt. „Das führt natürlich zu viel mehr E-Mailverkehr und Telefonaten als sonst“, sagt der 39-Jährige. „Aber dadurch lässt sich im Vorfeld auch vieles erledigen, was sonst im stressigen Hafenaufenthalt gemacht werden muss.“
13.000 Container und kaum Schutzabstand
Die „Essen Express“ ist ein Schiff der Reederei Hapag-Lloyd und hat Platz für rund 13.000 Standardcontainer.
Das Schiff hat bereits zusätzlichen Proviant geladen, falls sich eine Lieferung verzögert.
Lotsen, Lieferanten, Hafenpersonal und andere Personen von außen kommen nur noch in Schutzkleidung an Bord des Schiffes. Schutzabstände sind wegen des geringen Platzangebots allerdings nur schwer umsetzbar.
Das Schiff fährt mit einer
26-köpfigen Besatzung.
Viele Behörden wollten Körpertemperatur-Checklisten haben, um Seeleute mit Fieber zu identifizieren. Auch würden individuelle Erklärungen zu ihrem Gesundheitszustand und den Kontakten in den vergangenen zwei Wochen verlangt. Darum werde an Bord der „Essen Express“ seit Februar bei allen Crewmitgliedern die Temperatur gemessen und festgehalten.
„In China, in Südkorea und in Ägypten kamen die Behörden auch im Vollschutzzeug an Bord und haben die gesamte Besatzung zum Messen antreten lassen“, erinnert sich Kammann. „Das klingt harmlos, aber wenn wir um 2 Uhr nachts in Shanghai festmachen, dann müssen vom Koch bis zum Ingenieur alle um 2.30 Uhr antreten und sich kontrollieren und befragen lassen.“
Für die Menschen unsichtbar
Tobias Kammann hat 2002 mit der Schifffahrt begonnen, ist nun seit knapp vier Jahren Kapitän. Besonders in der jetzigen Situation findet er, dass Seeleute oft vergessen werden. „Es ist gut, richtig und wichtig, dass der Supermarkt offen ist, das medizinische Personal malocht, der DHL-Mann weiterhin seinen Sprinter fahren darf, und dass Lkw-Fahrer und Frachtpiloten unbehelligt von Grenzen und Kontrollen ihre Arbeit leisten können“, macht er deutlich. „Aber die Seemänner und Seefrauen werden nicht wahrgenommen, weil unsichtbar.“
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Für viele Menschen seien die Produkte aus allen Teilen der Welt im örtlichen Supermarkt selbstverständlich. Der Wein aus Argentinien, die Trauben aus Ägypten, die Erdnussbutter aus Amerika, die Spezialitäten aus Asien und von überall. Ebenso wären Elektromärkte, Baumärkte, Reifenhändler oder Kaufhäuser großteils leer ohne die Kollegen auf See.
„Nichts geht heutzutage ohne den Seemann“, sagt Kammann. „Verstehen Sie mich und uns nicht falsch. Wir wollen keine Helden der Krise sein. Wir machen hier auf der Essen Express nur, genau wie hunderttausende Seeleute auf anderen Schiffen auch, unseren Job.“
Aber besonders in der Ennepe-Ruhr-Region mit ihren vielen kleinen und großen Firmen, beispielsweise in der Metallindustrie, hinge viel davon ab, dass die Schrauben von Spax oder ABC, das Schloss von Abus oder die Stoßdämpfer von Bilstein nach festem Fahrplan und zuverlässig in jeden Winkel der Welt geliefert werden.