Gevelsberg. Nach 43 Jahren geht der Gevelsberger Kirchenmusiker Gerhardt Marquardt in Rente. Er spricht über seine Karriere und was er nun Weihnachten macht.
Ein Foto in dieser Zeitung von Mai 1977 zeigt einen sehr jungen Mann an der Orgel: Gerhardt Marquardt, der mit 22 Jahren seinen Dienst als Kirchenmusiker in Gevelsberg antrat. Seitdem prägte er die Kirchenmusik in Gevelsberg. In diesem Jahr geht er in den Ruhestand. Wir sprachen mit ihm.
Nach 43 Jahren als Kantor der Gevelsberger Erlöserkirche gehen Sie zum 1. September in den Ruhestand. Wie fühlen Sie sich bei dem Gedanken?
Ich habe mich selbst gewundert, dass ich schon so lange hier bin. Ich habe zwar bis 1985 noch weiter studiert, aber ich bin wirklich schon seit 1977 hier in Gevelsberg und habe den Großteil meines Leben hier verbracht.
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Was hat Sie vor 43 Jahren nach Gevelsberg verschlagen?
Ich habe mich auf die Stelle als Kantor beworben und bin genommen worden. Seit dem 16. Mai 1977 bin ich hier Kirchenmusiker.
Welches waren für Sie die Höhepunkte in Ihrem musikalischen Kirchenleben in diesen 43 Jahren?
Das kann ich gar nicht so genau sagen. Die Tätigkeit hier ist so vielfältig und war immer auch eine spannende Herausforderung für mich. Denn man kann als Kantor zwar ziemlich frei gestalten und kreativ sein, aber man muss zugleich alles selbstständig planen und organisieren. Die Chorauftritte, die Proben, die Programme, die Musik für die Gottesdienste und vieles mehr. Vielfältige Programme waren mir dabei immer wichtig. Vom Oratorium bis zur Jazz-Messe waren die unterschiedlichsten Formate dabei. Ein erster Höhepunkt in diesem Zusammenhang war auf jeden Fall meine erste Aufführung des Bach‘schen Weihnachtsoratoriums mit dem Kantatenchor. Sehr gern erinnere ich mich auch an die Aufführung der „Schöpfung“ von Haydn und den „Elias“ von Mendelssohn-Bartholdy. Spannend war für mich die Öffnung zu Jazz und Popularmusik. Vor allem in der Orgelmusik gab es so etwas während meines Studiums noch nicht. Die modernste Musik waren Kompositionen von Hindemith, Pepping und Messiaen.
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Wie sind Sie zur Musik im Allgemeinen und zur Orgel im Besonderen gekommen?
Als Autodidakt. Angefangen habe ich mit einer Melodica, aber die reichte mir nicht, denn die Noten hatte ich schnell durch. Ich bat meine Eltern, Klavier spielen lernen zu dürfen, und als ich 12 oder 13 Jahre alt war, schaffte mein Vater ein altes Klavier für mich an. Das Spielen habe ich mir selbst beigebracht, denn in meinem Heimatort Billerbeck (Anm. d. Red.: im Kreis Coesfeld) gab es keine Musikschule. Ich sang damals im Kirchenchor und als der Chorleiter einmal bei uns zu Besuch war, hörte er zufällig mein Klavierspiel und fragte, ob ich mir vorstellen könne, Orgel zu spielen. Durch ihn lernte ich die Orgel kennen und mit 14 habe ich begonnen, sonntags im Gottesdienst zu spielen. Dafür gab es dann fünf DM Taschengeld. Der neue Pfarrer unserer Gemeinde schickte mich später in einen C-Kurs für Kirchenmusiker in Münster und dort bekam ich Kontakt zu Dr. Martin Blindow, meinem langjährigen Lehrer.
Hat Professor Blindow Ihnen zum Studium geraten?
Ja, genau. Vorher hat er jedoch meinen Fleiß und mein Durchhaltevermögen getestet: Für die sechswöchigen Schulferien gab er mir Aufgaben, für die ich täglich mehrere Stunden an der Orgel üben sollte. Jeweils samstags musste ich ihm das Gelernte vorspielen. Danach empfahl er mir das Musikstudium und nach meinem Realschulabschluss und der bestandenen Aufnahmeprüfung am Konservatorium in Münster studierte ich dort Instrumentalmusik mit dem Hauptfach Klavier. Später wechselte ich zur Musikhochschule Dortmund und studierte Kirchenmusik. Dort war Professor Blindow wieder mein Lehrer. Neben den Hauptfächern Orgel sowie Chor- und Orchesterleitung umfasste es Klavierspiel und verschiedenste Theoriefächer wie Tonsatz und Gehörbildung. Im Nebenfach studierte ich Trompete.
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Sie leiten hier in Gevelsberg den Kantatenchor und die Camerata Vocale, außerdem dirigieren Sie den Bach-Chor Witten. In Konzerten haben Sie schwierigste Werke mit bis zu 100 Sängern und Sängerinnen aufführungsreif bekommen...
Seit 1990 führen wir in jedem Jahr ein gemeinsames Chorprojekt durch. Neben dem Kantatenchor und dem Wittener Bach-Chor wirkt dabei mit dem Evangelischen Jakobus-Chor Breckerfeld noch ein dritter Chor mit. Meine Frau Heike ist Kirchenmusikerin in Breckerfeld und wir leiten die Konzerte gemeinsam. Die Chormitglieder müssen sich auf zwei Dirigenten einstellen. Das macht es für sie auch spannend. Und wir können unsere Konzerte an drei Orten aufführen: in Gevelsberg, Breckerfeld und Witten. Mit dem „Elias“ im Juni höre ich in Witten auf und nach der Chorvesper „Evensong“ am 30. August in Gevelsberg ist für mich mit dem Dirigieren Schluss.
Chormitglieder berichten, die Strukturierung der Proben sei bis aufs i-Tüpfelchen sauber geplant und würde ohne Hektik mit pünktlichstem Ende durchgeführt.
Das habe ich durch Fortbildungen gelernt. Im Studium kam das nicht vor. Gute Planung und Struktur brauche ich für alle anderen Sachen auch.
Wie ist es für Sie, sich nach 43 Jahren von Ihrer Orgel und Ihrer Kirche zu verabschieden?
Seit November denke ich immer häufiger bei jedem Konzert und bei jedem Projekt: „Das war jetzt das letzte Mal“. Die Chorarbeit, die mir viel Freude macht, die einen aber auch sehr fordert, werde ich nach dem 30. August beenden. An der Orgel möchte ich aber in Konzerten oder als Vertretung weiterhin aktiv bleiben. Ansonsten bin ich froh, dass ich keine organisatorische Arbeit mehr habe.
Was liegt Ihnen in Bezug auf die Kirchenmusik in der Erlöserkirche besonders am Herzen?
Ich wünsche mir sehr, dass die musikalische Vielfalt fortgesetzt wird und die Kleuker-Orgel von 1969, die 2014 aufwändig restauriert wurde, weiterhin ihre Möglichkeiten zeigen kann.
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Sie und Ihre Frau haben drei Töchter. Konnten Sie die Musik an die nächste Generation weitergeben?
Glücklicherweise ja: Unsere älteste Tochter Rebecca spielt Blockflöte und hat früher erfolgreich am Wettbewerb „Jugend musiziert“ teilgenommen. Judith, die mittlere, spielt Klavier. Beide haben Lehramt studiert und unterrichten auch Musik. Sie leben heute in Heidelberg. Sophia, unsere jüngste Tochter, spielt Cello und hat ebenfalls erfolgreich an „Jugend musiziert“ teilgenommen. Heute studiert sie Psychologie und macht ein Erasmus-Semester in Bilbao. Alle haben auch in den Chören in der Erlöserkirche gesungen.
Was haben Sie für die Zukunft geplant?
Weihnachten 2020 werde ich zum ersten Mal, seit ich 15 bin, nicht an der Orgel sitzen. Meine Frau und ich möchten zu den Töchtern nach Heidelberg fahren. Meinen Lehrauftrag für Orgelspiel, den ich seit 2018 an der Evangelischen Popakademie Witten habe, möchte ich beibehalten. Ich bereite Studenten auf den Bachelorabschluss vor. Am Orgel-Herbst werde ich mit einem Konzert für Orgel und Orchester in der Erlöserkirche einmal teilnehmen. Ansonsten möchte ich mit meiner Frau reisen, Fahrradfahren, Wandern und mich wieder dem Fotografieren widmen. Auch unser erstes Enkelkind möchten wir öfter sehen.