Gevelsberg. Uwe Wolfsdorff ist neuer Leiter der Gevelsberger Feuerwehr und spricht über fast 40 Berufsjahre, viele schreckliche und schöne Ereignisse.
Die Zeit der Feuer- und Rettungswache an der Körnerstraße endet nach 90 Jahren. Nicht mehr zeitgemäß, viel zu klein, Mängel, wohin das Auge fällt – so lauten einige Gründe dafür, dass die Stadt Gevelsberg aktuell hinter dem ehemaligen Haufer Bahnhof eine neue Wache baut. Einer, der fast sein gesamtes Arbeitsleben an der Körnerstraße verbracht hat, ist Uwe Wolfsdorff. Vom Feuerwehrmann-Anwärter bis zum Wehrleiter hat er jede Stufe der Karriere-Leiter dort genommen.
In etwas mehr als einem Jahr packt der neue Feuerwehr-Chef (wir berichteten) auch die letzten Dinge von seinem Schreibtisch in den Umzugskarton und verlässt sein Büro. Zuvor spricht er genau dort über Tote und Verletzte, die ein Feuerwehrmann in einer Kleinstadt oft persönlich kennt, darüber, weshalb die Idee, zur Feuerwehr zu gehen, eine der besten seines Lebens war, und welche Probleme in naher Zukunft gelöst werden müssen.
Warum sind Sie zur Feuerwehr gegangen?
Uwe Wolfsdorff: Ich komme aus dem Handwerk und habe etliche verschiedene Dinge gemacht. Meine erste Denkweise damals war: Ich will einen sicheren Job haben. AVU oder Stadtwerke waren aber seinerzeit unmöglich, weil man ohne Vitamin B dort nicht reinkam. Ein Bekannter, der bei der Berufsfeuerwehr war, hat mir davon erzählt und ich war sofort sehr interessiert. Ich habe mich dann im ganzen Ennepe-Ruhr-Kreis und Hagen beworben. Die erste Zusage kam aus Gevelsberg.
Steckbrief Uwe Wolfsdorff
Uwe Wolfsdorff ist am 23. Dezember 1958 in Witten geboren, verheiratet und Vater einer Tochter.
Er ist aufgewachsen in Wetter-Wengern, wo seine Eltern mehr als 35 Jahre lang eine Gaststätte betrieben.
Der heutige Leiter der Gevelsberger Feuerwehr ist g elernter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer und war Fallschirmspringer bei der Bundeswehr.
In seiner Freizeit ist er begeisterter Sportfischer und geht seit vielen Jahren ins Fitnessstudio.
„Ich hätte gern auch Sport im Verein gemacht, das war aber mit den 24-Stunden-Diensten nicht möglich“, sagt er.
Seit dem Jahr 1999 wohnt Uwe Wolfsdorff m it seiner Familie in Gevelsberg.
Er begann am 1. Oktober 1981 seine Laufbahn bei der Gevelsberger Feuerwehr als Anwärter und wird aller Voraussicht nach zum 1. Januar 2022 als deren Leiter in Pension gehen.
Welche Vorstellungen hatten Sie, und wie sah dann die Realität aus?
Ich hatte immer schon eine Beziehung zur Feuerwehr, weil sich viele Freiwillige in der Gaststätte meiner Eltern trafen, war selbst aber nie Mitglied. Nach ein paar Tagen im Dienst stand bereits fest: Das ist noch viel besser als ich es mir jemals vorgestellt hatte. Ich habe alles richtig gemacht und habe das große Glück, dass ich meinen Beruf zu meine Hobby machen konnte. Ich habe vom Anwärter bis zum Leiter alle Funktionen wahrgenommen und mache meine Arbeit bis heute gern.
Was hat sich denn mit dem beruflichen Aufstieg verändert?
Zunächst: Ich habe das nie geplant, das hat sich stets aus der Lage so entwickelt, dass ich befördert wordne bin. Bei der Feuerwehr heißt es „Silber macht einsam“ (tippt auf seine Schulterklappe). Das kann ich nicht bestätigen. Aber die Unbekümmertheit geht. Als Feuerwehrmann bin ich nach dem Dienst nach Hause gegangen und war sofort gedanklich rein privat. Schon als stellvertretender Schichtleiter habe ich mehr und mehr von der Arbeit mitgenommen. Der Kopf bleibt mit Feuerwehr gefüllt. Als Wehrleiter kommen zahlreiche Termine in der Freizeit hinzu, aber das bringt das Amt eben auch mit sich. Wichtig ist, dass man sich vor Augen führt: Ich habe trotzdem noch ein Privatleben.
Vermissen Sie es, beim Einsatz an vorderster Front aktiv zu sein?
Ich bin Handwerker, ich bin Praktiker. Natürlich wäre ich manchmal noch gern direkt im Geschehen. Aber ab einer gewissen Führungsebene geht es nicht mehr, dass man sich selbst das Atemschutzgerät aufsetzt. Einer muss die Verantwortung tragen, koordinieren und die Gesamtlage im Blick halten. Das bin ich, so sehr es auch manchmal in den Fingern juckt.
Hierarchie ist wichtig in der Wehr. Sind Sie lieber Befehlsgeber- oder Empfänger?
Ich war Fallschirmjäger bei der Bundeswehr und kam damit von Beginn an super zurecht. Eine klare Ansprache ist elementar. Wir müssen lebenswichtige Entscheidungen in Sekundenbruchteilen treffen. Da bleibt keine Zeit zum Diskutieren. Ich sage meinen Leuten oft: „Ihr habt eine Uniform an. Das gehört zum Job. Gehorsam habt ihr mitgekauft.“ Ich kenne beide Seiten und komme mit beiden hervorragend zurecht.
Welche Einsätze sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Ich war gerade vier Tage in Gevelsberg beschäftigt, da sind wir in den Stadtwald oberhalb des Wildschweingatters ausgerückt. Ein Baggerfahrer war mit seinem Fahrzeug einen Hang herabgestürzt und verstorben. Der Kranwagen, der aus Wuppertal zur Fahrzeugbergung kam, fuhr sich fest und der ganze Einsatz dauerte mehrere Stunden. Dann werde ich niemals den Großbrand bei ABC vergessen. Drei Tage waren wir im Einsatz. Und natürlich der Brand an Heiligabend mit zwei Toten am Vogelsang.
Auch interessant
Was nimmt man aus solchen Einsätzen mit nach Hause? Wie hoch ist die psychische Belastung?
Ich bin viele Jahre im Rettungsdienst gefahren. Mein erster Einsatz war ein drei Monate altes Baby, das erstickt ist. Zu diesem Zeitpunkt war meine eigene Tochter auch drei Monate alt. Nach einem solchen Einsatz weiß man, ob man solche Dinge auch verpacken kann. Man muss sich in unserem Job ein dickes Fell wachsen lassen. Und heutzutage ist die Unterstützung für uns nach solchen Einsätzen sehr gut. Benötigt ein Kamerad oder eine Kameradin Hilfe, gibt es diese.
Sie arbeiten seit fast 40 Jahren in einer Kleinstadt. Wie oft sind Menschen unter den Opfern, die Sie persönlich kennen?
Das kommt vor. Ich habe zum Beispiel zweimal meinen eigenen Vorgesetzten, den ehemaligen Feuerwehrchef Klaus Schulte, reanimiert. Seine Tochter war in der Mittagspause nach Hause gekommen und fand ihren Vater. Wir sind sofort mit sechs Leuten zu ihm und haben ihm das Leben gerettet.
Auch interessant
Was sind die schönen Seiten ihres Berufs?
Genau so etwas. Wenn man jemanden im Rettungsdienst reanimiert und dann erfährt, dass er wieder ‘rumläuft. Ich hatte erst letztens ein solches Erlebnis. Da sehe ich aus dem Auto, dass ein Mann am Straßenrand am Nirgena zusammenbricht. Ich habe ihn reanimiert, und heute geht es ihm wieder gut. Schön sind auch die Zusammenarbeit mit den Freiwilligen oder die vielen tollen Begegnungen, die wir in den Partnerstädten in Vendôme und Szprotawa hatten.
Wie ist der Fortschritt beim Bau der neuen Wache?
Hervorragend. Wir sitzen hier quasi schon auf gepackten Kisten. Die Hauptamtlichen, aber natürlich auch die Freiwilligen des Löschzugs I, die Bambinis, die Jugendfeuerwehr, die Alters- und Ehrenabteilung – alle können es kaum erwarten, dass der Umzug beginnt. Jeder Einzelne arbeitet akribisch an diesem Großprojekt. Die alte Wache ist deutlich in die Jahre gekommen, und wir freuen uns auf ein modernes Arbeiten.
Welche Entwicklung nimmt die Gevelsberger Feuerwehr?
Wir sind in allen Bereichen gut aufgestellt und Gott sei dank überall gewachsen. Wir haben ja so etwas wie eine Allzuständigkeit erreicht. Aber mehr Leute könnten es natürlich sein. Wir nehmen grundsätzlich jeden gern auf, der die Grundvoraussetzungen erfüllt. Heißt: EU-Bürger sowie körperlich und geistig geeignet. Im hauptamtlichen Bereich benötigen wir – wie alle Feuerwehren – auch Verstärkung. Es gibt keine Feuerwehrbeamten und Notfallsanitäter auf dem Markt. Früher bekamen wir 200 Bewerbungen auf eine Stelle, heute maximal ein Zehntel davon. Deshalb funktioniert das nur über Ausbildung. Aber auch da finden wir für unseren Nachwuchs gerade kaum einen Platz bei den umliegenden Berufsfeuerwehren. Wir überlegen daher mit den anderen Städten im Ennepe-Ruhr-Kreis, ob wir nicht selbst ausbilden sollten. Noch geht es uns in Gevelsberg vergleichsweise gut.
Auch interessant
Der Schwelmer Hartmut Ziebs hat Morddrohungen erhalten, weil er sich als Ex-Präsident des Deutschen Feuerwehrverbands gegen die AfD gestellt hat. Wie ist die Situation in Gevelsberg?
Jeder ist bei uns willkommen. Wir sind eine offene Feuerwehr. Wir haben sehr früh schon selbstverständlich Frauen in unseren Reihen gehabt, wir haben Homosexuelle und seit Jahrzehnten auch Türken bei uns integriert. Wir haben Glück, dass solche Dinge immer schon vollkommen alltäglich bei uns waren und solches ausgrenzendes Gedankengut bei uns keinen Platz hat.