Gevelsberg. . Dick war er, so lange er zurückdenken kann: Christian Fricke hat mehr als 100 Kilogramm abgenommen und das Adipositas-Netzwerk-NRW gegründet.
221 Kilogramm hat Christian Fricke vor vier Jahren gewogen, heute sind es 101 Kilo weniger. Jetzt hilft er anderen: Der 32-jährige Gevelsberger hat das Adipositas-Netzwerk NRW gegründet.
Dick war er, so lange er zurückdenken kann. Als Kind musste er miterleben, wie sich seine Eltern stritten und der Vater handgreiflich wurde. Die Eltern trennten sich. „Das war sehr belastend“, sagt er. In seiner Jugend wuchs er bei seinen Großeltern auf. Wenn er traurig war, sich allein fühlte, dann aß er. Wenn er in der Schule beleidigt, gemobbt, bespuckt wurde, dann aß er. In der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, als er schon so rund war, dass er Schwierigkeiten hatte, sich zu bücken, hielten ihm Kollegen vor, nicht schnell genug zu sein. Den Frust bekämpfte er mit Essen.
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Nach der Lehre wechselte er zu einem Sicherheitsdienst. Er stieg zum Einsatzleiter auf; sein Chef respektierte ihn so, wie er war. Doch der Druck im Beruf war groß – er bewältigte den Stress mit Essen. Eines Nachts stand er während eines Einsatzes zwei maskierten Einbrechern gegenüber – und ihm wurde klar, dass die Anspannung im Beruf zu viel war. Als Rotkreuzhelfer erlebte er zudem mit, wie ein 200-Kilo-Mann starb, weil die Rettungskräfte den Schwergewichtigen nicht schnell genug transportieren konnten.
Als bald darauf seine Firma pleite ging, nutzte er diesen Einschnitt. Er hätte einen neuen Job in einem anderen Betrieb bekommen können, doch er beschloss: „Jetzt geht erst einmal die Gesundheit vor.“
50 Milliliter Magen
Mit Diät allein war es aber in seinem Fall nicht mehr getan. Iss-die-Hälfte, Low-Carb, Weight Watchers – Christian Fricke hatte sie ohnehin im Laufe seines Lebens alle bereits erfolglos ausprobiert. So entschloss er sich zu einer Magenverkleinerung. 1,6 Liter war das Organ vor dem Eingriff groß, 50 Milliliter sind es heute nach zwei Operationen.
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Was vielleicht nach einer bequemen Lösung klingen mag, ist keine. Zum einen sind die Anforderungen der Krankenkasse hoch: Nachweise über die Teilnahme an einer Ernährungsberatung, Nachweise über sechs Monate Sport, psychologische und medizinische Gutachten. Zum anderen stellt sich mit dem winzigen Magen zwar schnell ein Sättigungsgefühl ein. Kopf und Gefühle aber verlangen dennoch nach mehr, um Stress abzubauen, Trauer und Frust, Versagensängste und Selbstzweifel zu betäuben. „Man muss täglich daran arbeiten, nicht in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Es bleibt ein lebenslanger Kampf“, sagt Christian Fricke.
Er hat ihn gewonnen, weil er sein Leben umgekrempelt hat. „Ich habe jetzt das Gefühl angekommen zu sein“, sagt er: eine neue Partnerin, die er bald heiraten wird, neuer Freundeskreis, neue Hobbys, neuer Job: Christian Fricke ist Koordinationsassistent des Chefarztes im Adipositas-Zentrum am Evangelischen Krankenhaus in Hagen.
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Er hat den Kampf auch gewonnen, weil er bereits nach den ersten abgenommenen Kilos feststellte, wie er für andere zum Vorbild wurde. „Daraus habe ich meine Motivation gezogen“, sagt er. Damit hält er sie auch heute noch aufrecht. Christian Fricke hat zunächst eine Selbsthilfegruppe in Hagen gegründet, um andere stark Übergewichtige zu beraten.
Aus einer Gruppe sind viele geworden – und seit Jahresbeginn sogar das Adipositas-Netzwerk NRW mit 18 Selbsthilfegruppen in Hagen, Gevelsberg, Halver, Olpe, Netphen, Lüdenscheid, Iserlohn und Schwerte. 3000 Betroffene haben die Gruppen mittlerweile betreut, 400 Schwerstgewichtige auf dem Weg zur Magenverkleinerung begleitet, sagt Christian Fricke.
Eine Epidemie
Der eigene Erfolg überrascht Christian Fricke nicht. „Übergewicht ist eine Epidemie“, sagt er. Die Zahlen des statistischen Landesamtes NRW geben ihm Recht: Der Anteil der Männer mit Adipositas an der Bevölkerung ist den Zahlen von IT NRW zufolge von 14,7 Prozent im Jahr 2005 auf 17,9 Prozent im Jahr 2013 gestiegen. Bei den Frauen ist der Anteil von 12,7 auf 14,5 Prozent gestiegen.
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Immer mehr Menschen lassen sich deshalb helfen: Im Jahr 2015 wurden in NRW 4845 Patienten aufgrund von Adipositas, also Fettleibigkeit, stationär in Krankenhäusern behandelt; das waren laut IT NRW mehr als doppelt so viele wie 2010.
Christian Fricke gehört im Übrigen immer noch zu den Menschen mit Adipositas, auch wenn er sein Gewicht nahezu halbiert hat. Mit 120 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1,85 Meter, liege sein Body-Mass-Index noch über 35, rechnet er vor. Fünf Kilo will er noch mindestens abnehmen.