Gevelsberg. . Es hat alles eine Bedeutung im Gemeindehaus in Gevelsberg: Der Lammbraten, das schwarze Ei und der Meerrettich, der Tränen in die Augen treibt.
- Seit dem Jahr 2002 gibt es das Sedermahl im Gemeindehaus der Lukaskirche
- Petersilie, Blattsalate, Fruchtmus und Meerrettich, in der Mitte ein geschwärztes Ei.
- Ein jahrhundertealtes religiöses Brauchtum wird von der evangelischen Gemeinde gepflegt
Es ist ein außergewöhnliches Menü, das den Besuchern im Gemeindehaus der Lukaskirche von ihren Tellern entgegenblickt: Petersilie, Blattsalate, Fruchtmus und Meerrettich, in der Mitte ein geschwärztes Ei. Daneben eine Schüssel mit Salzwasser, ein Teller voller Matzen, ein Salzstreuer, Karaffen mit Wein und Traubensaft. Auch wenn diese Speisenzusammenstellung auf den ein oder anderen befremdlich wirken mag – sie ist jahrhundertealtes religiöses Brauchtum. Seit 2002 lädt die Evangelische Kirchengemeinde jährlich am Gründonnerstag zum sogenannten Sedermahl: Einem heiligen Abendmahl der besonderen Art.
Auszug aus Ägypten
„Wir wollen Geschichte lebendig werden lassen“, sagt Pfarrer Uwe Hasenberg, der an diesem Abend die Rolle des jüdischen Hausvaters übernimmt. Das Sedermahl erinnert symbolisch an das zweite Buch Mose, Exodus, die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei und den Auszug aus Ägypten.
Diese Geschichte sollen die Besucher mit allen Sinnen nachempfinden – Stichwort Erlebniskultur: „Es geht darum, die Umstände zu verstehen, emotional mitbeteiligt zu sein, die Geschichte nicht nur über den Verstand, sondern mit dem Herzen zu begreifen“, so Hasenberg. Nicht umsonst ist es ein religiöses Gebot im Judentum, dass sich jeder die Befreiung der Sklaven aus Ägypten so vorstellen soll, als sei er selbst dabei gewesen.
Festgelegter Ablauf
Die Feier des Sedermahles folgt einem festgelegten Ablauf, den jeder Teilnehmer als ausgedrucktes Skript neben seinem Teller findet. Jeder Satz, jedes Lied, jede Handlung und jede Mahlzeit ist ritualisiert: So ist es zum Beispiel Tradition, dass der Hausvater seinen Gästen die Hände wäscht, und dass der Jüngste am Tisch fragt: „Warum unterscheidet sich diese Nacht von allen anderen Nächten?“ Auch jede der Speisen hat eine eigene Bedeutung. Die Petersilie, die vor dem Verzehr in Salzwasser getaucht wird, steht für die Tränen der versklavten Israeliten. Matzen, also ungesäuerte Brote, werden als Brote des Elends, die die Israeliten in Ägypten aßen, verstanden. Fruchtmus symbolisiert den Lehm, mit dem die Ziegel für den ägyptischen Pharao hergestellt wurden, aber durch seine Süße gleichzeitig auch die Freude der Erlösung. Das geschwärzte Ei, das ebenfalls in Salzwasser getunkt wird, erinnert an die Zerstörung des Tempels in Jerusalem, 70 Jahre nach Christi Geburt. Bei der gemeinsamen Hauptmahlzeit gibt es dann in Anlehnung an das jüdische Passahlamm Lammbraten.
An der einen oder anderen Stelle heißt es für die Teilnehmer: „Augen zu und durch“. Denn zur Tradition gehört es zum Beispiel auch, Matzen mit so viel Meerrettich zu essen, dass einem die Schärfe die Tränen in die Augen treibt – in Erinnerung an die Tränen der Israeliten in Ägypten. Beim Genuss des Weines gilt derweil das Prinzip „Ex und Hopp“: Das Glas soll möglichst in einem Zug ausgetrunken werden, die Gäste können aber alternativ auf Traubensaft umsteigen.
45 Gäste aller Altersklassen
Auch solche Rituale sind es, die den Abend zu etwas ganz Besonderem machen. „Es ist einfach ein schöner Brauch, ich mag die Atmosphäre hier“, sagt eine Besucherin, die zum dritten Mal bei der Sederfeier zu Gast ist. Einer anderen Teilnehmerin gefällt besonders die Idee, Geschichte hautnah erleben zu können: „Man lernt die Wurzeln seines Glaubens kennen und spürt am eigenen Leib, dass Judentum und Christentum zusammengehören.“
Kein Wunder also, dass das außergewöhnliche Abendmahl der evangelischen Kirche seit Jahren stets gut besucht ist, diesmal kamen rund 45 Gäste aller Altersklassen. Ab und an gelingt es den Organisatoren sogar, Leute anzusprechen, die ansonsten weniger am Gemeindeleben teilnehmen. „Manche kommen nur einmal im Jahr“, erzählt Uwe Hasenberg lachend. „Und zwar zum Sedermahl.“