Düsseldorf. Bauarbeiten bei der Deutschen Bahn. Das Nachsehen hat ein schwerbehinderter Azubi, dessen Arbeitgeber ihn im vermeintlichen Home Office parkt.

Die Deutsche Bahn baut die Strecke Düsseldorf--Wuppertal aus. Im Zuge dessen wird auch die Eisenbahnüberführung über die Rosmarinstraße im Stadtteil Flingern saniert. Konkret gehe es darum, die Breite der Durchfahrt von momentan neun auf 18 Meter zu erweitern, teilt die Bahn mit. Dies geschehe ausdrücklich „auf Wunsch der Stadt Düsseldorf“. Unterqueren dürfen die Brücke momentan nur Radfahrer und Fußgänger. Für Kraftfahrzeuge sei „nicht mit einer Verkürzung des Sperrzeitraums bis Ende 2023 bzw. Anfang 2024 zu rechen“, so die Bahn. Ferner heißt es, Linienbusse würden umgeleitet. Wegen dieser Umleitung wird die Haltestelle „Fortunaplatz“ von der Linie 738 nicht mehr angefahren.

Bus ersatzlos gestrichen

Genau darunter leidet Marcel Wefers. Der 25-jährige Elleraner ist schwerbehindert und befindet sich im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement. Arbeitgeber ist das Berufsbildungszentrum der Arbeiterwohlfahrt (Awo) am Flinger Broich – unweit besagter Haltestelle. An der Station selbst findet sich der Hinweis auf die nächstgelegene Haltestelle „Rosmarinstraße“. Die ist 500 Meter entfernt, für einen Menschen ohne Einschränkung ist das machbar. Für Wefers aber bedeutete der Weg „eine erhebliche Anstrengung“. Die Rheinbahn bedauert die Schwierigkeiten, allerdings „wäre eine Anbindung nur mit einer sechs Kilometer langen Umleitung realisierbar“. Der Fahrplan könne demnach nicht mehr eingehalten werden.

Eine Alternative wäre vielleicht die nahe gelegene U75. Allerdings ist die erst ab „Lierenfeld Betriebshof“ überhaupt barrierefrei, was wiederum mehr als einen Kilometer von Wefers’ Wohnung entfernt ist.

„Es geht viel zu langsam!“

Eigentlich sollte laut Personenbeförderungsgesetz „für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit“ erreicht werden. Laut Sabine Humpert-Kalb, Vorsitzende des Behindertenbeirats der Stadt Düsseldorf, seien von den 1671 Haltestellen der Rheinbahn „etwa 50 Prozent barrierefrei“. Der Ausbau gehe viel zu langsam voran: „Es ist eine Katastrophe.“ Wie im Falle Wefers’ ginge es dabei nicht um den Komfort bestimmter Menschengruppen, sondern „darum, dass behinderte Menschen überhaupt am Leben teilhaben können. Es geht um die Lebensexistenz.“

Mit leeren Händen im „Home Office“: Marcel Wefers sucht nach Lösungen.
Mit leeren Händen im „Home Office“: Marcel Wefers sucht nach Lösungen. © Nrz | Johannes Below

Laut Humpert-Kalb sind etwa zehn Prozent der Düsseldorfer schwerbehindert, was rund 66.000 Menschen entspräche. Diese Zahl erfasse aber nur diejenigen, die auch einen entsprechenden Behindertenausweis hätten. Die Dunkelziffer läge höher – nicht zuletzt, weil gerade junge Menschen die Beantragung des Ausweises aus Angst vor Stigmatisierung trotz Anspruch gar nicht erst beantragten. Auch nicht zu ignorieren seien die vielen alten Menschen in Düsseldorf. Laut Zahlen der Stadt sind 18 Prozent der Düsseldorfer über 65. Wie es um deren Mobilität bestellt ist, muss allerdings Vermutung bleiben.

Dass die derzeitige Situation für Wefers nicht tragbar ist, sähe auch sein Arbeitgeber so. Laut Wefers aber scheue sich die Awo, Zusatzkosten – etwa für einen Fahrdienst – zu übernehmen.

Die Alternative, die keine ist

Als alternative Regelung muss Wefers kurzerhand ins „Home Office“. Und das, obwohl die IHK Düsseldorf klarstellt: „Grundsätzlich sollten Auszubildende nicht im Homeoffice arbeiten.“ Und überhaupt ist der Begriff „Home Office“ hier kaum angemessen: In seiner Wohnung muss Wefers nun vier Tage die Woche Übungen absolvieren, die ihn auf den Beruf vorbereiten sollen. Ein direkter Ansprechpartner bestehe nicht, die Kommunikation mit dem Ausbilder laufe über den Mail-Verkehr. Der Azubi fühle sich ausgeschlossen. Die Kollegen und Vorgesetzten gäben sich Mühe, auch wertgeschätzt fühle er sich. Durch die Situation im „Home Office“ aber empfinde er sich als „von allen Seiten verlassen“.

Sorge wegen Abschlussprüfung

Wefers habe sich bereits mit mehreren Stellen in Verbindung gesetzt. Die Geschäftsleitung der Awo aber sähe „keine Zuständigkeit“, meint er. Bei der Arbeitsagentur lägen „bereits seit Monaten Angebote von verschiedenen Fahrdiensten vor“, doch eine Antwort lasse auf sich warten. Bis Redaktionsschluss blieb eine Reaktion der Arbeitsagentur aus. Die Awo verwies auf datenschutzrechtliche Hindernisse.

„Meine größte Sorge ist die Abschlussprüfung“, so Wefers. Er befürchte eine unzureichende Vorbereitung: „Ich will doch einfach nur diese Ausbildung abschließen und ins Berufsleben starten.“ Was das angeht, stünden die Chancen nicht schlecht. Eine konkrete Perspektive habe er bereits.

Wefers könnte ein Paradebeispiel für geglückte Inklusion sein. Stattdessen wird er eher zum Beispiel dafür, wie es um die bauliche Grundlage von Inklusion in Düsseldorf tatsächlich bestellt ist. Dabei ist das Thema kein Nischenthema mehr. Wefers: „Es geht nicht nur um mich, sondern um uns alle.“