Berlin. Schauspieler Christian Friedel über eine Monsterrolle: In „The Zone of Interest“ spielt er Rudölf Höß, den Kommandant des KZ Auschwitz.

Es ist einer der verstörendsten Filme des Jahres, der lange nachwirkt: „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer ist ein Holocaust-Drama, das das Grauen draußen lässt - und das sich trotzdem in die Köpfe der Zuschauer dringt. Denn gezeigt wird ein ganz normales Familienleben, aber eben das von Rudolf Höß, dem Lagerkommandanten des KZ Auschwitz, direkt an der Mauer zur Hölle. Der Film wirkt vor allem durch ein ausgeklügeltes Soundkonzept, indem die Geräusche, die aus dem Lager dringen, immer lauter werden. Er lebt aber vor allem auch von seinen herausragenden Darstellern: Christian Friedel als Höß und Sandra Hüller als seine Frau Hedwig. Ins Kino kommt der Film am 28. Februar, am 7. Februar stellen Glazer und seine Stars ihn aber schon im Delphi-Filmpalast vor. Wir haben den 44-Jährigen davor zum Interview im Hotel de Rome getroffen.

2015 haben Sie in „Georg Elser“ den Hitler-Attentäter gespielt. In „Zone of Interest“ spielen Sie nun Rudolf Höß, den Lagerkommandanten von Auschwitz. Eine der schlimmstmöglichen Rollen, die man sich vorstellen kann. Was war Ihre erste Reaktion auf das Angebot?

Friedel: Es hat mich sofort interessiert. Ich muss aber gestehen, dass ein anderer Faktor den Ausschlag gegeben hat: dass das ein Projekt von Jonathan Glazer ist, den ich sehr bewundere. Ich dachte sofort: Diese Rolle in Kombination mit seiner Vision, das wird unglaublich spannend.

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Trotzdem, so etwas wie einen spontanen Widerwillen empfindet man nicht? Ein Grauen, sich auf diese Abgründe einzulassen?

Nein. Ich habe lange keine Nazi-Angebote zugesagt. Ich hatte interessanterweise auch schon zwei Offerten, Hitler zu spielen. Ich weiß nicht, wieso man da auf mich kommt. Aber bei diesem Film hat es für mich Sinn gemacht. Das war wirklich eine Herausforderung: wie man das darstellen kann. Und ich weiß, Jonathan ist immer auf der Suche nach größtmöglicher Authentizität. Er guckt ja fast dokumentarisch auf das Geschehen. Und hat uns auch gleich gesagt, er will, dass wir nicht spielen, sondern dass wir sind. Und eine meiner Kernaufgaben war, vor der Kamera mit leeren Augen zu agieren. Das fand ich die größte Aufgabe.

Wenn man so eine Rolle spielt, spürt man da eine besondere Verantwortung?

Auf jeden Fall. Das ist dir wohl bewusst, das spürst du jeden Tag. Wir hatten auch ganz viele Gespräche darüber. Und hatten dafür auch genug Zeit, weil der Dreh wegen Corona um ein Jahr verschoben werden musste. Das war sehr hilfreich. Manchmal verspürte ich schon ein Unwohlsein. Wir hatten auch Angst, damit zu scheitern. Oder dass das Projekt in eine falsche Richtung läuft. Denn es musste ein Film für die Opfer sein, durfte keine Glorifizierung der Täter sein. Das ist gerade in diesen Zeiten wichtig, wo die Rechte immer stärker wird und der Antisemitismus wieder erschreckend zunimmt. Daher war es ganz wichtig, dass wir diesen Film machen, machen mussten. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, war ich froh, dass die Vision aufgegangen ist.

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Chistian Friedel als Lagerkommandant Rudolf Höß in „The Zone of Interest“.
Chistian Friedel als Lagerkommandant Rudolf Höß in „The Zone of Interest“. © Leonine | LEONINE

Hat es geholfen, vor Ort zu drehen, an der KZ-Gedenkstätte Auschwitz? Oder lastete das zusätzlich auf einem?

Dass wir direkt in Oswiecim gedreht haben, 70 Meter vom ehemaligen Konzentrationslager entfernt, das war schon sehr intensiv. Jonathan war es unheimlich wichtig, dort zu drehen, um das zu spüren, damit es sich real anfühlt. Ich weiß gar nicht, ob das als Schauspieler auf mich abgefärbt hat. Es war ja gerade meine Aufgabe, nicht so viel Emotion in die Figur zu legen, sondern eine Kälte zu erschaffen. Aber privat hat mich das unheimlich emotionalisiert. Das ist eine Konfrontation, die du mit dir selber ausmachst, die auch unschöne Seiten hat.

Hat es da geholfen, dass man diese Geschichte nur außerhalb der Mauern sieht? Im Familienalltag von Höß, nicht im Lager?

Ja. Das Grauen wird hier nicht gezeigt, die Bilder entstehen eher in unseren Köpfen. Und werden im Laufe des Films, auch durch das Sounddesign, immer stärker. Das war das klare Konzept von Jonathan, das macht diesen Film so außerordentlich. Und für uns Schauspieler war das sehr hilfreich, dass wir dieses Haus hatten. Und den Garten. Dass wir in der Natur waren. So ist man nicht in diese komischen klischierten Gesten gekommen, die man aus so vielen Filmen kennt.

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Sandra Hüller spielt Hedwig Höß, eine Frau, die direkt nebem dem KZ einen idyllischen Garten anlegt.
Sandra Hüller spielt Hedwig Höß, eine Frau, die direkt nebem dem KZ einen idyllischen Garten anlegt. © Leonine | LEONINE

Das berühmte Schlagwort von der Banalität des Bösen wird hier auf den Punkt gebracht durch scheinbar banale Alltagsszenen. Aber wird einem so ein Unmensch dadurch womöglich auch näher, als man will?

Genau das ist für mich das Wichtigste an dem Film. Natürlich ist „The Zone of Interest“ ein historischer Film, über ein unglaubliches Jahrhundertverbrechen. Aber vor allem ist es ein Film über uns. Das ist seine Stärke. Selbst ich denke beim Schauen manchmal, das könnte ich jetzt sein. Das erschreckt mich. Aber darum geht es. Wir alle wollen doch unser kleines Glück leben. Aber in uns allen schlummert auch eine gewissen Dunkelheit. Und wir müssen aufpassen, dass diese Dunkelheit durch unsere Entscheidungen nicht wächst. Der Film zeigt auf, wohin das führt und zu was wir fähig sind. Ich kann den Fakt nicht verstehen, kann auch diesen Menschen nicht verstehen, wie der so leben konnte. Aber zu sehen, dass das eben Menschen waren, die anderen Menschen diese unmenschlichen Verbrechen angetan haben, das ist das Essenzielle daran.

Großartig ist das Zusammenspiel mit Sandra Hüller. Verschmilzt man da auch zusammen in so einer Arbeit – um das überhaupt ertragen zu können?

Absolut. Wir haben gesagt: Komme, was wolle, wir haben uns. Wir sind ja befreundet, und ich glaube, das ist jetzt noch enger als vorher. Als wir das erste Mal miteinander gedreht haben, vor zehn Jahren, bei „Amour fou“, hatten wir gleich das Gefühl, wir kennen uns seit ewig. Ich weiß nicht, ob das damit zu tun hat, dass wir beide aus dem Osten kommen. Oder weil wir ähnliche Ansätze beim Schauspiel haben. Wir sind ja eher unprätentiös, uns geht es immer um die Sache, weniger um unsere Ambitionen. Viele Kolleginnen und Kollegen spielen eher für sich oder mit sich. Uns aber ist es wichtig, miteinander zu spielen, großes Vertrauen zu haben. Ich glaube, das war ein Schlüssel für diese Verbindung. Es ging so weit, als wir jetzt das erste Mal in die USA geflogen sind für unsere Promo-Reise, saßen wir im Flugzeug hintereinander. Und die Flugbegleiterin fragte mich plötzlich: Wollen Sie lieber neben Ihrer Frau sitzen? Auch sie hat diese starke Beziehung zwischen uns gespürt.

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Christian Friedel und Sandra Hueller, hier beim Europäischen Filmpreis im Dezember 2023.
Christian Friedel und Sandra Hueller, hier beim Europäischen Filmpreis im Dezember 2023. © picture alliance / | Pa

Kann man so eine Rolle einfach abstreifen? Oder wirkt die noch lange nach?

Es ist mir schwer gefallen, diese Rolle oder besser: dieses Projekt abzustreifen. Das hat bei mir wirklich körperliche Reaktionen ausgelöst bis hin zu einer Panikattacke. Ich dachte erst, das sei vielleicht ein Corona-Nebeneffekt. Da saß ich in Krakau in einem Café und hatte plötzlich Herzrasen. Dann habe ich aber gemerkt, mein Körper musste das abstoßen. So wie das ja auch Rudolf Höß ganz am Ende des Films passiert. Ich war ganz froh, als der Film vorbei war. Nicht weil eine schlimme Erfahrung war. Im Gegenteil. Es war eines der intensivsten und stärksten Projekte, neben „Das weiße Band“ und „Elser“, die ich je gemacht hatte. Aber trotzdem war das ein Cocktail, den man nicht so leicht abgeschüttelt hat.

Nun haben Sie diesen großen Erfolg mit diesem Film, erst in Cannes und jetzt mit all den Nominierungen, beim Europäischen Filmpreis, dem Globe, dem Oscar. Welche Reise machen Sie gerade mit diesem Film?

Ich freu mich sehr für diesen Film, denn ich halte ihn wirklich für besonders. Er ist ein Meisterwerk. Dass man ein Teil davon sein darf, ist schön. Und jetzt diese Reise damit zu machen, ist wirklich eine irre Erfahrung. Und auch, sie mit Sandra zu machen. Die ist ja gerade noch auf einem ganz anderen Level mit „Anatomie eines Falls“. Das kriege auch ich zu spüren. In Amerika habe ich kein Interview gegeben, wo ich nicht über Sandra gefragt wurde und wie es ist, mit ihr zu drehen. Aber man wird auch selber gesehen. Und darf hinter die Kulissen dieses Riesenapparates blicken. Es ist aber auch schön, dann wieder im Flieger nach Deutschland zu sitzen und sich auf die Familie zu freuen.

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Friedel 2017 als Georg Elser im Kinofilm „Elser“.
Friedel 2017 als Georg Elser im Kinofilm „Elser“. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Sony Pictures Classics

Und wohin könnte diese Reise noch gehen?

Ich weiß nicht, was darauf folgt. Ich bin seit August sechs Mal zwischen Deutschland und den USA hin- und hergeflogen, weil ich dazwischen ja noch meine Theatervorstellungen habe. Es ist schon so, dass man dort gerade auf Händen getragen wird. Sollte ein weiteres internationales Projekt kommen, sage ich auf keinen Fall Nein. Weil da doch ganz anders gearbeitet wird. Das habe ich auch bei diesem Film gemerkt, das war ein europäisches Team mit einem Visionär aus Großbritannien, seinem großartigen team, einem tollen polnischen Team und deutschen Schauspielern.

Kommen jetzt andere Angebote als vorher? Hüben wie drüben?

Ja. Es gab auch schon zwei Castings, und das für die großartige Serie „The White Lotus“ hat sogar geklappt. Es öffnen sich spürbar Türen. Es ist ähnlich wie damals bei „Das weiße Band“. Nur war ich damals leider noch in einem Festvertrag an einer Bühne. Als Steven Spielberganrief, konnte ich nicht gleich Ja sagen, deshalb hat ein Däne die Rolle in „War Horse“ gespielt. Das war‘s mit meiner internationalen Karriere. (lacht)

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Die Bandmitglieder von Woods of Birnam: Philipp Makolies, Uwe Pasora, Christian Friedel und Christian Grochau (v.l.).
Die Bandmitglieder von Woods of Birnam: Philipp Makolies, Uwe Pasora, Christian Friedel und Christian Grochau (v.l.). © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert

War das vielleicht auch ganz gut so, dass das nicht gleich so früh kam, sondern jetzt, wo Sie gereifter sind und anders damit umgehen können?

Ja, vielleicht war das für etwas gut. Ich sehe das ja auch bei Sandra, die seit Jahren eine solche Ausnahmeschauspielerin ist und einen krassen Weg gemacht hat. Ich möchte jetzt nicht sagen, dass das der Höhepunkt ihrer Karriere ist, denn ich hoffe, da kommt noch ganz viel. Aber sie ist an einem Punkt, wo sie international wahrgenommen wird. Das hat sie sich erarbeitet. Manchmal braucht man diesen Weg, um diese Freiheit und Offenheit zu haben.

Sollten große reizvolle Angeboten kommen, bleibt dann noch Zeit fürs Theater, bleibt noch Zeit für Ihre Musik und Ihre Band Woods of Birnam?

Unbedingt. Wir sind ein Künstlerkollektiv, wir planen gerade verschiedene Projekte, unter anderem auch einen Film. Das ist mir sehr wichtig. Und dass werde ich nicht für einen Spielberg oder wem auch immer aufgeben. Ich denke aber oder hoffe doch, dass, wenn man durch so einen Film bekannter wird, die Leute auch das andere, was man macht, mehr wahrnehmen. Ich glaube, dass sich das gegenseitig befruchtet. Und ich würde nie auf das Theater oder die Musik verzichten. Denn wer weiß? Vielleicht ist das auch alles nur eine Blase, du erwachst nach den Oscars und dann kommt die harte Realität wieder.

Christian Friedel im Gespräch mit Morgenpost-Redakteur Peter Zander.
Christian Friedel im Gespräch mit Morgenpost-Redakteur Peter Zander. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Nun sind Sie gerade noch in einem anderen Film zu sehen, „15 Jahre“ von Chris Kraus, in einer eher komödiantischen Rolle. War das vielleicht auch Balsam, um von Höß wegzukommen?

Jede Arbeit, die danach kam, war Balsam. Aber diese besonders. Chris hat mir einen Brief geschrieben, dass er bei der Rolle ganz fest an mich gedacht hat. Und das war eine schöne und ganz andere Farbe. Es war aber auch schwierig für mich, dass muss ich ehrlich sagen, nur mit einer Kamera zu drehen. Nachdem wir bei „Zone“ mit zehn Kameras gedreht haben. John hat immer gesagt, dass ist wie Big Brother im Nazihaus. Wir haben die Szenen nie unterbrochen, es wurde immer am Stück gedreht, in zahllosen Variationen. Das hat mir gut gefallen, weil es sehr an die Arbeitsweise am Theater erinnert. Da bleibst du in einer ganz anderen Energie. Danach wieder unter konventionelleren Bedingungen zu drehen, war erst mal hart.