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Ohne Gefühlsregungen, den leeren Blick auf die Tischplatte gerichtet, verfolgte der Angeklagte, der mehrere Läden mit vorgehaltener Pistole ausgeraubt hatte, das Urteil. Neun Jahre Freiheitsstrafe verkündete die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Arnsberg um den Vorsitzenden Richter Willi Erdmann im Namen des Volkes. „Damit befinden wir uns klar am unteren Ende des Strafmaßes“, sagte Erdmann während der Urteilsbegründung und machte deutlich, dass es den 23-Jährigen noch wesentlich härter hätte treffen können.
Während des knapp zehnstündigen Verhandlungsmarathons verfolgte das Gericht gestern in erster Linie zwei Fragen: Liegt wegen des exzessiven Drogenkonsums des Balvers verminderte Schuldfähigkeit oder sogar Schuldunfähigkeit vor? Und wie haben die Opfer der Raubüberfälle den Blick in die Pistole des jungen Mannes verkraftet?
Die erste Frage beantwortete Gutachter Dr. Markus Müller-Küppers eindeutig. „Die enthemmende Wirkung des Kokains, einhergehend mit unkritischem und wenig reflektiertem Handeln war vorhanden. Dieser Größenwahn wird bei allen Taten eine Rolle gespielt haben. Eine verminderte Schuldfähigkeit liegt jedoch nicht vor“, sagte er. Grund: Die Steuerungsfähigkeit des Balvers sei unbeeinträchtigt gewesen.
Die zweite Frage ließ sich nicht so eindeutig beantworten, denn die Opfer haben die schrecklichen Geschehnisse sehr unterschiedlich verarbeitet. Während einige problemlos mit dem Überfall umgingen, berichteten andere im Zeugenstand von Angstzuständen in der Dunkelheit oder wenn sie allein seien. Sie mussten Beruhigungsmittel oder Schlafmittel einnehmen und sich in psychologische Behandlung begeben.
In einem jedoch waren sich alle Opfer einig: Eine Bedrohung sei außer durch die Pistole von dem Balver nicht ausgegangen. Immer wieder fiel das Wort „Milchbubi“, das auch Staatsanwältin Stephanie Westermeyer in ihrem Plädoyer aufgriff. „Sie sind alles andere als der coole Verbrecher. Sie sind ein Milchbubi, der Name trifft zu. Aber das darf ihre Taten nicht verharmlosen“, sagte sie und beantragte exakt die neun Jahre Freiheitsstrafe, denen das Gericht folgte. Denn die Raubzüge als minderschwer zu bewerten, dazu sah Richter Erdmann keinerlei Veranlassung. „Sie sind einschlägig vorbestraft, sollen eine Haftstrafe antreten und starten dann eine solche Serie. Sie laden ihre Waffe direkt vor den Gesichtern ihrer Opfer durch. Dazu gehört eine gehörige kriminelle Energie.“
Dafür bekam der 23-Jährige nun die Quittung, doch beim Ableisten der Strafe wird es kompliziert. Zunächst verbüßt er nämlich noch zweieinhalb Jahre für ein Urteil wegen versuchten Raubs – ein Jahr hat er bereits hinter sich. Danach folgen eineinhalb Jahre für eine widerrufene Bewährungsstrafe wegen Dealens. Erst danach sitzt er die aktuelle Strafe ab. Frühestens nach zwei Jahren darf er eine Drogentherapie antreten. Diese wird mindestens zwei Jahre andauern. Dann darf er das erste Mal einen Antrag auf Haftprüfung stellen. Wird dieser abgelehnt, geht es von der geschlossenen Entzugsklinik direkt wieder hinter schwedische Gardinen. Im heftig-sten Fall sitzt er also noch zwölf Jahre im Gefängnis. „So eine extreme Konstellation hatte ich in 20 Berufsjahren nicht“, sagte Verteidiger Georg Schulze aus Bielefeld.
Während seiner Zeit im Gefängnis soll der 23-Jährige nun seinen Schulabschluss und eine Berufsausbildung nachholen. Bei so viel Zeit kann er beides entspannt angehen.