Balve/Menden/Iserlohn. Beim Bauernprotest geht es um mehr als Steuern für Agrardiesel und Landmaschinen. Der Kreislandwirt sagt, was ihn nervt.

Sie sind ein Risiko eingegangen. Immerhin waren die Proteste der Landwirte, im Hönnetal wie anderswo, mit Verkehrsbehinderungen verbunden. Inzwischen, Tage später, hat sich die Lage für Kreislandwirt Ulrich Brinckmann und seine Branchen-Kollegen entspannt. Merklich entspannt zieht er, bei einem Glas stillem Wasser, im Wohnzimmer seines Hofes in Kalthof bei Iserlohn Bilanz: „Die Bevölkerung ist bei uns.“ Dabei soll es bleiben: „Wir wollen den Kontakt nicht verlieren.“

Bauern-Demo in Beckum: Sammelplatz Schützenhalle. Das war am 8. Januar.
Bauern-Demo in Beckum: Sammelplatz Schützenhalle. Das war am 8. Januar. © Balve | Antonia Mertens

Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband hat eine ganze Woche lang zu Protestaktionen aufgerufen. Nach Demos in Menden und Lüdenscheid stellten sich Landwirte der Bevölkerung auf Wochenmärkten. Ulrich Brinckmann berichtete vom Echo in Iserlohn: „Wir haben fast 100 Gespräche geführt. Wir haben das nachgezählt. Wir haben jedem Gesprächspartner einen Apfel überreicht. Drei Gespräche waren negativ.“ Auch wenn Brinckmann vor Ort gute Gespräche mit den heimischen Abgeordneten Bettina Lugk (SPD) und Paul Ziemiak (CDU) führt - die politischen Verhandlungen in Berlin gestalten sich zäh. Bauernverbandschef Joachim Rukwied behält sich weitere Proteste vor. Was hat in der Landwirtschaft für so viel Frust gesorgt?

Bauern aus MK bei der Demo in Berlin am 18. Dezember 2023
Bauern aus MK bei der Demo in Berlin am 18. Dezember 2023 © Iserlohn | Privat

Vordergründig geht es um die inzwischen zurückgezogene Einführung der Kraftfahrzeugsteuer für Landmaschinen und die Streichung des Steuervorteils für Agrardiesel. Eine höhere Besteuerung des Treibstoffs aus Umweltgründen ergibt keinen Sinn. Bisher seien lediglich „ein paar Spezialfahrzeuge“ mit Solarantrieb auf Äckern unterwegs. Doch die neue Generation großer Landmaschinen mit Elektroantrieb sei noch nicht marktreif.

Ulrich Brinckmann Freisteller
Ulrich Brinckmann Freisteller © IKZ | Jana Haase

Doch beim Bauern-Protest geht um mehr. „Die Steuer-Pläne der Regierung waren nur die zwei Tropfen, die das Fass haben voll werden lassen“, sagt Brinckmann. Und dann fasst er zusammen, was die Landwirtschaft aus ihrer Sicht seit Jahren belastet. Verantwortlich dafür sei nicht nur die amtierende Ampel-Koalition. Brinckmann sondern auchdie Vorgänger-Regierung, die Große Koalition.

Bei der Tierwohl-Debatte geht es um größere Ställe: Schäfer Reinhard Linsmann aus Garbeck
Bei der Tierwohl-Debatte geht es um größere Ställe: Schäfer Reinhard Linsmann aus Garbeck © WP-Zentrale | Thomas Nitsche

Die Branche steht seit Jahrzehnten unter Druck. Auch wenn Zahlen der Landwirtschaftskammer für Nordrhein-Westfalen inzwischen überholt sind: Das Höfesterben geht weiter. Die Zahl der Betriebe im Vollerwerb sinkt. Immer mehr Landwirte ackern nur noch im Nebenerwerb. Etliche geben auf. Umgekehrt geht der Trend zu größere Fläche pro Hof. Als geeignetes Mittel gilt die Zusammenlegung von Höfen. Brinckmann und sein Nachbar Ralph Göckmann sind diesen Schritt gegangen. Sie bewirtschaften inzwischen knapp 7,5 Hektar Wald, 96 Hektar Ackerland und fast 27 Hektar Weiden.

Die Betriebserlöse schwanken. Sie hängen von Menge und Qualität der Ernte ab. Dazu kommt das Auf und Ab des Weltmarkts. Zuletzt hieß es, dass Gewinne pro Betrieb im Durchschnitt deutlich gestiegen seien. Brinckmann führt das auf einen kurzfristigen Effekt zurück. Er sei dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine geschuldet. Inzwischen seien die Preise für Weizen und Raps deutlich gesunken. Zudem seien die Erlöse deutlich gesunken. Das Regenjahr 2023 drückte die Ernte-Qualität.

Kreislandwirt Ulrich Brinckmann in seinem Wohnzimmer
Kreislandwirt Ulrich Brinckmann in seinem Wohnzimmer © Balve | jürgen overkott

Was das Fass voll gemacht hat, war: fünf Jahre lang immer wieder drauf packen, neue Regeln, neue Gesetze.“
Ulrich Brinckmann, Kreislandwirt, zu politischen Vorgaben aus Berlin und Brüssel

Mit Blick auf etliche Dürre-Jahre in jüngerer Zeit sei die Ertragslage der Landwirtschaft eher schlecht. Das bremse Investitionen. Es fehle, betont Brinckmann, vielerorts schlicht Geld. Investitionen in mehr Tierwohl und Produktion mit weniger Pflanzenschutzmitteln seien für viele Höfe kurzfristig kaum umsetzbar. „Sie sollen uns“, sagt Brinckmann mit Blick auf Brüssel und Berlin, „einfach mehr Zeit geben. Sie sollen einfach mal eine Zeit lang nichts draufpacken und uns einfach in Ruhe lassen. Was das Fass voll gemacht hat, war: fünf Jahre lang immer wieder drauf packen, neue Regeln, neue Gesetze.“ Brinckmann nennt als eines von mehreren Beispielen die Tierwohl-Debatte. Sie trifft die Branche vor Ort, egal ob Hühner, Schweine oder vor allem Milchvieh gezüchtet wird: „Der Märkische Kreis – das ist zu Dreivierteln Grünland.“

Der Hof Sorpemilch in Bruchhausen entstand durch Betriebszusammenlegung. Geschäftsführer: Johannes Vedder-Stute (Mellen) sowie Wilhelm und Moritz Hennecke (Bruchhausen). Sie setzen auf Milchwirtschaft. Archivbild aus dem Jahr 2018  
Der Hof Sorpemilch in Bruchhausen entstand durch Betriebszusammenlegung. Geschäftsführer: Johannes Vedder-Stute (Mellen) sowie Wilhelm und Moritz Hennecke (Bruchhausen). Sie setzen auf Milchwirtschaft. Archivbild aus dem Jahr 2018   © WP

Brinckmann hält für Ziel für ehrenwert. Es zu erreichen, sei allerdings teuer. Mehr Tierwohl bedeute mehr Platz für Tiere in den Ställen. Das sei mit Aus- und Umbau verbunden. „Wir werden am Ende weniger Tiere halten; die Haltung wird teurer“, meint Brinckmann.

Noch etwas nervt den Landwirt. Mehr Tierwohl sei das eine, örtliches Baurecht das andere. Abstandsregeln zur Nachbarschaft stehen zuweilen dem Stallausbau entgegen. Oft steht Gesetz gegen Gesetz: „Das ist ein Kernfehler.“

Was uns da gezahlt wurde, war uns nicht genug.“
Ulrich Brinckmann, Kreislandwirt, über die Tierwohlprämie

Investitionen in Steine lohnen erst langfristig. Brinckmann denkt an einen Zeitraum von 25 Jahren. Dafür seien stabile Regeln nötig: „Wenn da was zwischen kommt, macht das den Stall teurer. Wenn ich das Geld bis dahin nicht verdient habe, muss ich zur Bank, um es mir zu leihen.“ Und die öffentliche Tierwohl-Prämie? „Was uns da gezahlt wurde, war uns nicht genug“, betont Brinckmann. Welche Rolle spielen Handelsketten und Verbraucher?

Vier Handelsketten haben den Markt unter sich weitgehend aufgeteilt. Brinckmann befürchtet, dass einige Produkte unter Einstandspreis verkauft würden. Zudem argwöhnt er, bei Angeboten könnte es verbotene Preisabsprache gegeben haben: „Wo ist da das Kartellamt?“

Der Verbraucher kauft nach Portemonnaie ein.“
Ulrich Brinckmann, Kreislandwirt

Die Kundschaft der Supermärkte knausere in Zeiten der Inflation: „Der Verbraucher kauft nach Portemonnaie ein.“ Die Gewinne seien klein.

Jochen Borchert, früherer Bundesagrarminister, und Tobias Heinbockel, Einkaufschef von Aldi Nord, im November 2021
Jochen Borchert, früherer Bundesagrarminister, und Tobias Heinbockel, Einkaufschef von Aldi Nord, im November 2021 © Aldi Nord | ALDI Nord

Weiterer Frust sei durch den Richtungswechsel in der Bundesregierung entstanden. Die Große Koalition habe eine Kommission unter Führung von Ex-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) eingerichtet. Ziel sei gewesen, einen Kompromiss mit Branche sowie Umwelt-, Natur- und Tierschutz zu erarbeiten. „Man wundert sich schon“, meint Brinckmann in Richtung Ampel-Koalition, „warum nehmen die nicht, den Faden, den die anderen gesponnen haben, und spinnen den weiter. Wir brauchen für unsere Ställe Verlässlichkeit. Da kann die Politik nicht ständig herummäkeln. Da rastet der Bauer aus.“ Wie kann eine Lösung aussehen?

Brinckmann bringt eine Besteuerung ins Gespräch, die Erlöse mehrerer Jahre mittelt - und eine Verschiebung politischer Ziele. Neben Klimaschutz zählt für ihn Versorgungssicherheit.