Balve. Was fühlt sich die Bischofsrolle an? Rudolf Rath war 65 Jahre lang Insider
Der Nikolausgang in Balve wird 100. Und Pfarrarchivar Rudolf Rath sagt: „65 Jahre lang war ich dabei – aber nun ist Schluss!“ Kurioserweise wird er jetzt selbst zum Gegenstand der Geschichtsforschung. Er hat nämlich seine Erinnerungen an das ehrenvolle Ehrenamt aufgeschrieben.
Ich berichte über eine lange Erfolgsgeschichte, die im Pfarrarchiv St. Blasius dokumentiert ist: Seit 100 Jahren gehört der Nikolausgang zur Balver Kultur. Politisch veranlasste Verbote und kriegsbedingte Unterbrechungen konnten den Balver Nikolausgang zwar unterbrechen, aber nicht dauerhaft verhindern. Selbst der bei Kindern so beliebte Weihnachtsmann mit seiner roten Zipfelmütze war nie ein ernsthafter Konkurrent.
Meine persönlichen Erwartungen an den Nikolausbesuch in unserer Familie waren lange Zeit weniger von Vorfreude als vielmehr von banger Vorahnung geprägt. Zu häufig hieß es schon Wochen vorher: „Warte nur, bis der Nikolaus kommt!“
Wenn dieser doch nur allein gekommen wäre, ohne den drohenden Knecht Ruprecht an seiner Seite! Der machte mir nämlich mehr Sorge, und ich hatte allen Anlass dazu... Aber das entsprach nun wirklich nicht dem Auftrag und dem Selbstverständnis der Darsteller dieser Rolle: Und deshalb, so behaupteten sie, hätten Engelchen hatten das „Sündenregister eines jeden Kindes im „Goldenen Buch“ lückenlos zusammengetragen. Dagegen gab es wirklich keinerlei Argumente. Diese Engelchen hatten ihre Informationen von unseren Eltern. Wenn ich das gewusst hätte… Aber was hätte geändert? Sie als Zuträger hatten reichlich zu Protokoll gegeben: Lob und Tadel, letzteres in großzügiger Dosierung. Jedenfalls wurden diese Punkte vom Nikolaus, unterstützt von Drohgebärden des dunkelhäutigen Begleiters, einprägsam streng abgehandelt. Dass ich dann aber am Ende, ebenso wie meine braveren Geschwister, einen Stutenkerl bekam, hat mich doch überrascht und auch getröstet.
Meine eigene „Nikolaus-Karriere“ startete vor 65 Jahren mit einer ganz schlichten Rolle. Trotz der geschilderten „frühkindlichen“ unliebsamen Erfahrungen wollte ich bei Nikolausbesuchen auf der „richtigen Seite“ stehen, sie mal ganz anders erleben. So arbeitete ich mich als „Stutenkerlträger“ ein, diente mich allmählich hoch, um die Rolle des Knecht Ruprecht angemessen besetzen zu können. Als dieser gefürchtete, bedrohliche Begleiter des Nikolaus, ausgestattet mit einem Bündel Ruten, fühlte ich mich allerdings nicht so wirklich wohl. Schließlich aber war ich - trotz einiger Bedenken aufgrund meiner durchwachsenen Erinnerungen - vor rund 60 Jahren am ersehnten Ziel: Ich war nun einer dieser Balver Nikoläuse!
60 Jahre der insgesamt 100-jährigen Tradition durfte ich als Balver Nikolaus mitgestalten. Inzwischen habe ich mich selbst äußerlich dieser Greisenrolle angeglichen. Das aber bedeutet: Möge der Zug, auf den ich damals aufgesprungen bin, mit Bischof Nikolaus und seinem Gefolge weiterreisen – ich steige aus!
Dabei denke ich gern, auch mit leichtem Schmunzeln, an zahlreiche originelle, auch überraschende Begegnungen. Begleitet hat mich in dieser Zeit eine große Zahl von „Nachwuchskräften“. Sie spielten als Knecht Ruprecht ihre Rolle überzeugend, in frühen Jahrzehnten mit Rute drohend und angsteinflößend, später als harmlos mahnende Begleiter. Andere waren und sind hinter den Kulissen eifrig, in der „Maske“ und in der „Kleiderkammer“ wie auch im „Management“. Danke an die Kolpingsfamilie Balve, die sich als Träger dieser Tradition verpflichtet fühlt, aber auch offen ist für zeitgemäße Gestaltung!
Eine lange, erfolgreiche Geschichte, ihre Fortsetzung und Weiterführung sehe ich da gesichert.
Gerne war ich unterwegs, zum Beispiel zu Adventsfeiern und Seniorentreffen, zu Kindergruppen, bei Geschenkaktionen sowie als Gast beim Zusammensein von gesundheitlich belasteten und beeinträchtigten Menschen, in Balve und anderen Ortsteilen unserer Stadt, aber auch außerhalb. Und diese Aufzählung ist immer noch unvollständig. So überraschte ich als der „Heilige Bischof Nikolaus“ den Synodalvorstand des Evangelischen Kirchenkreises bei seiner Tagung in Iserlohn - als „Evangelen“ in der Heiligenverehrung doch sonst wohl eher zurückhaltend. Diesen „Coup“ hatteHeinz Dieter Quadbeck, damals gerade neu gewählt zum Superintendenten, nach seinen - offensichtlich guten - Erfahrungen mit mir als Nikolaus bei den Adventsfeiern der evangelischen Kirchengemeinde in Balve, ausgeheckt. Inzwischen durfte ich insgesamt 37 dieser vorweihnachtlichen Feiern, gemeinsam mit dem Männerchor 1874 Balve, mitgestalten. Besonders gerne erinnere ich mich an die Mitwirkung als Nikolaus bei Andachten der Kolpingsfamilie in der katholischen Pfarrkirche St. Blasius für Eltern und Kinder und sonstige Angehörige in den letzten drei Jahren.
Würde man mich nach besonderen Erinnerungen fragen, so hätte ich da eine ganze Menge zu erzählen. Vielleicht verwahre ich mir das aber für später auf.