Balve. Risiken und Nebenwirkungen: Die Corona-Beschränkungen haben bei jungen Leuten Sucht begünstigen. Ein Info-Abend zeigte Auswege auf.
Hinschauen, hinhören, helfen: Kinder und Jugendliche leiden immer noch unter den Nachwirkungen der Coronapandemie, stürzen teilweise in Sucht, soziale Isolation und exzessive Smartphonenutzung. Was tun? Darum ging es bei einem Info-Abend im Balver Bürgerhaus.
Wie es angenommen werden würde, war nicht abzusehen. Es war schließlich das erste Mal, dass Stadt Balve und Kreisjugendamt sensibles Thema anschnitten, insbesondere an Erziehungsberechtigte gerichtet. Inklusive aller Referenten versammelten sich am frühen Donnerstagabend gut 30 Personen im Bürgerhaus am Platze, darunter Lehrer und andere Akteure der Balver Schulen, heimische Ärzte, aber vor allem auch einige Eltern, was den Initiatoren am Herzen lag.
Fatale Folgen
Der Balver Mediziner Dr. Paul Stüeken jun. hatte einige Medikamente mitgebracht, die eine Mutter bei ihrem Teenager zuhause gefunden und beim Arzt abgegeben hatte. „Das hat das Problem doch sehr anschaulich gemacht für alle“, sagte Kathrin Dudeck dazu, beim Jugendamt zuständig für Balve. Geschildert wurde auch der Fall eines Atemstillstands in Folge von Arznei-Missbrauch bei einem Jugendlichen in Balve.
Die Orte, an denen in Balve Drogen oder Tabletten konsumiert und gedealt werden, sind bekannt: Balves Grundschulgelände nach Schulschluss, Piuskapelle, Garbecker Bahnhof. Der Altersschnitt der Betroffenen sinkt, teilweise sind sie 12 Jahre alt, schilderte Dudeck weiter, zu großen Teilen in der Zeit der Coronapandemie begründet beziehungsweise durch die Einschränkungen verstärkt.
Mehrere Referenten wagten eine Analyse der Situation. Torsten Filthaut von der Familien- und Erziehungsberatung der Caritas schilderte, was den jungen Leute alles genommen wurde durch das Virus: Autonomie und Selbststimmung, soziale Kontakte im Alltag statt vor dem Bildschirm. „Nähe fühlte sich falsch und gefährlich an.“ Hinzu kam Sorge etwa um ältere Familienmitglieder. Wichtige Meilensteine des Lebens wie Geburtstag oder Schulabschluss durften nicht gefeiert werden. Kathrin Dudeck wie auch Andrea Henze vom Kinder- und Jugendschutz des Kreises schilderten Trauer und Wut bei Kindern und Jugendlichen, Unsicherheit im sozialen Umgang, Perspektivlosigkeit und fehlende Tagesstruktur angesichts geschlossener Schulen, daraus folgend Depressionen, Essstörungen oder Übergewicht.
Als es dann zum Thema einer gestiegenen Verweigerung des Schulbesuchs ging, klinkte sich Realschulleiterin Nina Fröhling ein: „Eltern wissen gar nicht immer, dass ihr Kind nicht zur Schule geht.“ Wenn es morgens trotzdem normal das Haus verlassen, fielen die Familien erst bei der Meldung der Schule aus allen Wolken. Wichtig, so Fröhling, seien niedrigschwellige Angebote, die nicht überfordern, Angebote, wo Betroffene zunächst einige Stunden wieder an die Schule zurückgehen. Wichtig sei dabei die Rolle der Schulsozialarbeit, konkret in Balve von Martina Reisloh. Nina Fröhling: „Zu ihr haben die Kinder und Jugendlichen ein ganz anderes Vertrauensverhältnis als zu den Lehrerinnen und Lehrern.“ Daniel Kämmer und Klaus Hillebrand von der Anonymen Drogenberatung Drobs sprachen über Sucht. Kämmer erläuterte, wie junge Leute andere Probleme kompensieren. „Drogen sind schnell beschafft und hoch effektiv.“ Und damit schneller wirksam als eine wirklich intensive Aufarbeitung der eigene Belastungen. Auch Langeweile, gerade im Lockdown, sei ein großer, fataler Antrieb. Ein explodierender Konsum von Smartphone und sozialen Medien sei eine weitere Ausprägung. Eltern, so erklärten Kämmer und Hillebrand, müsse bewusst sein, dass sie den Konsum jedweder Art nicht immer verhindern könnten, aber dann zumindest in Bahnen halten und auf Gefahren hinweisen sollten, „um zumindest das Schlimmste zu verhindern“.
Ausdrücklicher Dank
Nach den Vorträgen wurde mehr als eine Stunde in großer wie kleiner Runde gesprochen. Im Anschluss freuten sich die Beteiligten vor allem über die Beteiligung einiger Eltern, die Sorgen und Erfahrungen schilderten und Fragen stellten. Eine Mutter, so Kathrin Dudeck, habe sich ausdrücklich bedankt für die Unterstützung, die sie in der Vergangenheit vom Jugendamt erfahren hatte.