Balve. Entspannt feierten Gründer, Nutzer und Experten das 10-jährige Bestehen des Gesundheitscampus. Es folgte einem kleinen Krankenhaus.
Das Gesundheitscampus Sauerland in Balve hat am Freitag sein Zehnjähriges gefeiert. 40 geladene Gäste waren vor Ort, Freunde und Förderer, Nutzer und Interessenten aus der Pfalz sowie drei Referenten, vorne weg Dr. Johannes Leinert von der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh. Er empfahl Balve als Modell für andere Regionen, die vom Kliniksterben bedroht sind. Was ist vor zehn Jahren passiert?
Ein Euro, 100.000 Euro, vier Millionen Euro: Diese drei Geldbeträge standen symbolisch für den Wandel des Gesundheitssystems in Balve. Nach dem Aus des Krankenhauses wechselte die Immobilie für einen Euro den Besitzer. Der verstorbene Unternehmer Wilhelm Hertin hatte den Deal ermöglicht. Alfons Rath, damals Rendant der Gemeinde St. Blasius und Experte für die Wohnungswirtschaft, spielte ebenfalls eine wichtige Rolle. Das Klinik-Gebäude gehörte nicht länger den Katholischen Kliniken im Märkischen Kreis; es gehörte der Balver Bürgergesellschaft. Das Erzbistum Paderborn hatte seinen Segen gegeben – und das Finanzamt in Iserlohn. Der damalige Volksbank-Chef Karl-Michael Dommes sprang dem neuen Eigentümer mit einer beispiellosen 100.000-Euro-Spende bei. Obendrein sorgte Hertin dafür, dass auf dem Objekt keine Verbindlichkeiten lagen. Es ging um vier Millionen Euro Krankenhaus-Fördermittel des Landes. Diese drei Transaktionen waren Grundlage für den Wandel der Immobilie vom Krankenhaus zum Gesundheitscampus vor zehn Jahren.
Netzwerk erfolgreich geknüpft
Campus-Geschäftsführer Ingo Jakschies warb damals erfolgreich für die Einrichtung eines „Waben-Modells“: Wirtschaftlich unabhängige Einheiten – von Arzt- und Therapie-Praxen über ein Sanitätshaus bis zu Pflegeeinrichtungen – sollten sich ergänzen. Tatsächlich besteht dieser Mix bis heute. Wachsende Bedeutung kommen Vereinen im Gesundheitswesen wie den Maltesern zu – und Selbsthilfegruppen.
Jakschies gelang es, Unterstützer zu finden, darunter Engelbert von Croy, Jakob Reichsfreiherr von Landsberg-Velen und Martin Gruschka, dazu Bernd Krämer, der als zweiter Campus-Geschäftsführer amtiert. Unvergessen blieb für Jakschies ein gemeinsamer Auftritt mit Hertin bei der Landesregierung in Düsseldorf. Hertin war sich seiner Sache so sicher, dass er auf Konventionen pfiff. Bei dem Gespräch mit der damaligen Gesundheitsministerin Barbara Steffens trug er keineswegs feinen Zwirn; Jeans und Lederjacke reichten. Schließlich zeigte die Ministerin Bedenkenträgern im Haus, dass sie – buchstäblich – auf den Tisch hauen konnte.
Jakschies blickte nicht nur zurück; er wagte auch einen Ausblick. Selbsthilfegruppen werden nach seiner Einschätzung immer wichtiger. Zudem forderte er angesichts der alternden Gesellschaft Ausbau der Notfall-Medizin vor allem auf dem Land sowie mehr Telemedizin: Diagnose und Patientengespräche per Videoschalte.
Apropos Video. Die Bertelsmann-Stiftung hat ihre Recherche zum Modell Balve mit Videomaterial begleitet. Eine Kurzfassung wurde vor Ort präsentiert. Jakschies startete eine Charme-Offensive bei Leinert, um die Lizenz für eine Langfassung zu erhalten. Jakschies’ Chancen stehen gut. Doch wie gut stehen die Chancen für den Erhalt der Krankenhäuser in der Region?
Landrat Marco Voge sah „das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht“. Eine Prognose wagte er nicht. Es sei zu viel Bewegung in den Gesprächen zwischen Klinik-Trägern und Krankenkassen, Bund und Land. Großen Wert legte er den begonnenen Ausbau der Notfallmedizin im Kreisgebiet. Sie sei für das Zukunftspotenzial der Region so wichtig wie die Weiterentwicklung des Campus. Voge nannte ihn „Leuchtturm“.
Blitzableiter und Nothelfer
Dabei befürchtete Balves Bevölkerung vor zehn Jahren nach dem Klinik-Aus eine finstere Entwicklung. Bürgermeister Hubertus Mühling erinnerte sich an die größte Demonstration, die er jemals im Stadtgebiet erlebt habe. Erst wurde alles Wut, dann wurde vieles gut: „Ich muss vor allem Danke sagen für das bürgerschaftliche Engagement. Hier hat der Vater Staat seine Finger nicht im Spiel gehabt.“
Tatsächlich wurden Bürgergesellschaft, Bürgerstiftung und nicht zuletzt deren Förderverein von professionell geschulten Ehrenamtlern getragen. Einer von ihnen, Alfons Rath, stand bescheiden am Rand der Festgesellschaft – so wie damals Rechtsanwalt August Watermann. Er stand nie im Zentrum, war aber immer da – als „Blitzableiter und Nothelfer“.